- Hans Weber
- April 24, 2025
Art Déco: Wohnlich und repräsentativ
Hätte es damals schon die Zeitschrift Schöner Wohnen gegeben (die erst 1960 auf den Markt kam), dann hätte es diese Inneneinrichtung im Stil des Art Déco sicher auf die Titelseite gebracht. Es handelt sich um das Interieur der Villa in der V Tišině 782/2 im mondänen Stadtteil Bubeneč (Prag 6).

Die ist das Werk des Architekten Bohumír Kozák, der u.a. durch einige Kirchenprojekte (wir berichteten u.a. hier und hier), aber auch durch etliche Villenbauten als einer der Begründer des modernen Funktionalismus in Prag bekannt wurde. Hier haben wir es aber mit einem Frühwerk aus dem Jahr 1927 zu tun, das noch vor dem Aufkommen des Funktionalismus entstand. Auftraggeber war die Unternehmerfamilie Fejtkova, die hier bis zur Machtergreifung der Kommunisten 1948 lebte und dann nach Kanada auswanderte. Möglicherweise arbeitete Kozák bei dem Projekt mit dem deutsch-böhmischen Architekten Franz Hruschka zusammen, mit dem er öfters kooperierte.

Im Jahr 1922 wurde das bisher auf die vier Kernstadtteile (Altstadt, Neustadt, Kleinseite, Burgstadt) beschränkte „alte Prag“ zur echten Großstadt, indem es unzählige umliegende Ortschaften eingemeindete. Dazu gehörte auch Bubeneč. Die ländliche Gemeinde wurde nun städtebaulich „verdichtet“, d.h. neue Urbanisierungsprojekte wurden im großen Stil lanciert. Unmittelbar westlich des alten Dorfkerns entstand ein Nobelviertel mit Luxuswohnblocks und vielen Villen. Heute ist das so etwas wie das Botschaftsviertel Prags. Und mittendrin in diesem Viertel befindet sich die von Kozák geplante Villa in der schon 1925 angelegten Straße V Tišině (die nur in der Nazizeit einmal anders, nämlich Grundstraße, hieß).

Die Villa wurde vom Architekten in einem damals aktuellen Stil entworfen. Und das war neben dem typischen Prager Kubismus in dieser Zeit vor allem das Art Déco (der Funktionalismus, zu dessen Pionieren Kozák gehörte, kam erst in der 1930ern auf). Von außen wirkt die Villa stattlich luxuriös, aber nicht sonderlich auffallend (vor allem im Vergleich zu vielen der umligenden Luxusbauten). Der in Travertin gefasste Eingang (Bild links) sticht noch am ehesten heraus, Ansonsten ist es ein relativ konventionelles Gebäude, das sich einige klassische Stilspielregeln hält. Vieles deutet darauf hin, dass man bei der Planung vor allem an Zweckmäßigkeit und Wohnlichkeit gedacht hatte – was ja durchaus eine moderne Idee war.

Aber seine Wirkung entfaltet das Ganze erst, wenn man das Glück hat, es einmal von Innen zu sehen (was man normalerweise nicht kann). Die schlichen Stromlinienformen und das Wechselspiel edler Materialien – vor allem weißer Marmor, gemasertes und lackiertes Kirchholz und fein geschmiedete Metallgitter – wirkt einerseits sehr avantgardistisch und immer noch modern, aber auch sehr heimelig. Die Empfangshalle mit Bibliothek im großen Bild oben und der etwas darunter gezeigte Leseraum mit gemütlicher Lese-Ecke geben einen ersten Eindruck. Dabei ist alles stilistisch kohärent durchdacht. Alleine der recht abgebildete Kamin im Speisezimmer ist eine Augenweide.

Dabei ist das Ganze in keiner Weise überladen. Auf ausufernde Ornamentik wurde – ganz modern – verzichtet. Skulpturale Elemente als Dekoration findet man kaum – mit Ausnahme von unauffälligen Reliefs im Vorzimmer des Leseraums (Bild links), das möglicherweise dereinst das Musikzimmer war. Ansonsten lässt man die eleganten Formen und die Holzvertäfelungen für sich genommen wirken. Dadurch erscheint das Interieur ausgesprochen repräsentativ und zugleich auch wohnlich.

Entsprechend wird das Gebäude auch heute genutzt. Nach dem Ende des Kommunismus 1989 hatten es die ursprünglichen Besitzer zwar wieder restituiert bekommen, aber da die Familie sich mittlerweile jenseits des Atlantik gut eingerichtet hatte, beschloss sie, dass sie die Villa lieber vermieten wollte. Und so befindet sich hier heute die Residenz des portugiesischen Botschafters in Prag. Botschafter Luís de Almeida Sampaio hat der portugiesischen Diplomatie schon lange gedient und ist viel herumgekommen (u.a. Botschafter in Berlin), weshalb sein Wort, dass er das hier für eine der allerschönsten und bewohnbarsten Residenzen überhaupt hält, großes Gewicht hat.

Keine Frage: Die Kozáksche Villa in der Villa in der V Tišině 782/2 (übrigens nur 3 Fußminuten von der portugiesischen Botschaft entfernt) ist eines der vielen verborgenen kostbaren Juwele der Prager Architektur und des Kunsthandwerks, die dem touristischen Normalbesucher der Stadt notwendigerweise meist verborgen bleiben. Und sie ist ein Beweis dafür, das Prag eben mehr ist als nur die mittelterliche und barocke Altstadt, sondern auch in der Moderne – insbesondere in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik – ein wahres Paradies für avantgardistische Architekur und entsprechendes Design war. (DD)
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