Avantgarde, aber manchmal nicht alles auf Lager

Vom Parkplatz aus betrachtet sieht es bereits wie eine surreale Science Fiction-Landschaft aus: Das Haus der Wohnkultur (Dům bytové kultury) in der Budějovická 1667/64 im Stadtteil Krč (Prag 4).

Wenn man ein Beispiel für den Brutalismus sucht, der vor allem in den 1970er Jahren auch in Prag seine Spuren hinterließ (frühere Beiträge u.a. hierhierhierhier und hier), findet man hier eines der fulminantesten. Ausgetobt haben sich hier die berühmte Architektin Věra Machoninová (wir berichteten über sie u.a. hier) und ihr ebenso berühmter Mann Vladimír Machonin, nach deren Plänen das Haus in den Jahren 1972 bis 1981 erbaut wurde. Beide hatten schon mit dem Einkaufszentrum Kotva in der Neustadt 1972 bis 1975 neue Maßstäbe in Sachen avantgardistischer Architektur für den Konsum gesetzt.

Worum ging es? Sehend, dass in Sachen Versorgung mit Konsumgütern der Kommunismus im Osten dem Kapitalismus im Westen arg hinterherhinkte, versuchte es man mit dem fruchtlosen, aber für Kommunisten anscheinend naheliegenden Ansatz einer Zentralisierung nicht nur von Produktion, sondern auch des Vertriebs. So auch in der staatlichen Möbelbranche. Also plante man für Prag ein großes Möbeleinkaufzentrum, das an die neue, 1974 eröffnete Metrostation Budějovická angeschlossen werden sollte. Und repäsentativ sollte das ganze sein. Daher der pompöse Namen, Dům bytové kultury, kurz DBK. Architektonisch wollte man Avantgarde sein. Der auch im Westen damals moderne Stil aus massiven Formen in Rohbeton, Stahl und Glas, auch Brutalismus genannt, war das, was man brauchte.

Die Pläne, die Machoninová/Machonin ablieferten, entsprachen dem wohl auch. Aber sozialistischer Mangel verzögerte den Bau. Mängel machten schon während des Baus Reparaturen nötig. Offiziell tauchte Machoninová, die wohl nicht zu den größten Freundinnen des Realsozialismus gehörte und gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings protestiert hatte, nirgendwo in den Medien auf. Sie litt unter einem Verbot jeglicher öffentlicher Auftritte und wurde ständig überwacht. Aber das Ergebnis wurde dann ulkigerweise den Erwartungen gerecht. Die aus geometrischen Formen zusammengesetzte Architektur bot den geeigneten und vor allem schön sichtbaren Platz für ein modernes Möbelhaus. Der letzte Chic waren die schon beim Kotva verwendeten Verschalungen mit rost- und korrosionsfreien geriffelten Metallplatten aus einer Stahllegierung namens Atmofix. Das war schon fast das Markenzeichen der Architektenpaares.

Ursprünglich war das Gebäude in ein die Umgebung umfassendes Gesamtkonzept eingeplant. Es sollte ein Monolith werden, der – umrundet von Grünflächen – die pure Form wirken ließ. Diese Idee wurde glatt von der schnellen Entwicklung der Stadt ein- und überholt, so dass das DBK heute ein wenig eingezwängt in einem Umfeld wirkt, dass zwar teils nach dem Kommunismus entstanden ist, aber keineswegs schöner ist. Ja, und als Haus der Wohnkultur dient es heute auch nicht mehr. Denn ob das, was dann in dem zweifellos avantgardistsichen Bauwerk in den Zeiten des Kommunismus betrieben wurde, so perfekt war, bleibt dahingestellt. „Es standen ungefähr vier Küchenmodelle zur Auswahl, aber es war keines auf Lager“, erinnerte sich später eine Kundin.

Als der Kommunismus 1989 gottlob endete, zog hier zunächst einmal ein schwedisches Möbelhaus ein. Das machte keine allzu großen Änderungen nötig, aber es blieb nur so lange eine Lösung, bis sich die präziser an den Firmenkonzepten orientierten beiden Großmöbellager des Konzerns in Prag etabliert hatten. Seit 2005 gehört das Haus einem Einkaufszentrumsbetreiber. Die Nutzung als Einkaufszentrum machte große Umbauten notwendig. Die einzelnen Geschosse wurden für die Geschäfte mit Trennwänden parzelliert, sodass die bisherige Lichtdurchflutung unterbrochen wurde. Einiges vom brutalistischen Flair des Originalbaus ging verloren.

Aber eben nicht alles. Der Betreiber versuchte behutsam, die neue Funktion mit dem Denkmalschutz zu kombinieren. Und so findet man immer noch an den rohen Betonwänden die abstrakten Reliefs des bekannten Bildhauers Slavoj Nejedl (kleines Bild rechts). Draußen begeistern sowieso die raumschiffartigen Kugeln, die eigentlich nichts anderes sind als die Lüftungsschächte der in das Gebäude integrierten Metrostation, aber eben wahnwitzig futuristisch wirken (wie man auf dem großen Bild oben gut erkennen kann).

Und im ersten Stock kann man noch die Haupthalle erkennen, an deren Seiten Betontreppen in die Höhe führen, und über der – gottlob noch gut sichtbar – die originale Decke thront. Die gewellte rote Struktur ist ein echtes Kunstwerk und wirkt immer noch beeindruckend. So etwas hat man nur in den 1970ern gebaut, möchte man als Babyboomer erfreut sagen. Das DBK steht zurecht seit 1992 unter Denkmalschutz. (DD)

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