- Hans Weber
- April 24, 2025
Biene mit spießiger Ästhetik
Heute ist der 1. Mai – der Tag der Arbeit. Da ist an dieser Stelle immer Arbeiterromatik zu bewundern, deren Spuren man in Prag überall findet. So wie dieses schmucke Relief, das definitiv nicht aus den Zeiten stammt, als die Kommunisten schon an der Macht waren. Aber sie planten natürlich auch damals bereits böse Dinge.

Dabei hatte es mit dem Gebäude am Tylovo náměstí, 15/3 (Tyl Platz) ganz harmlos mit einer zünftig böhmischen Gaststätte (hostinec) angefangen. In den Jahren 1879/80 ließ nämlich der Grundbesitzer und Gastwirt František Možný hier neben dem Marktplatz ein damals noch dreistöckiges Gebäude im Stil der damals modernen Neorenaissance bauen, in dem dann seine Gaststätte U Možných (Bei Možný) betrieben wurde. Die Baupläne stammten entweder von dem Architekten Antonín Bureš oder dem vor Ort ungleich bekannteren Alois Bureš (einem späteren Bürgermeister von Vinohrady) entworfen. Genaueres weiß man nicht, weil die Pläne anscheinend nur mit „A. Bureš“ signiert wurden.

Um zusätzliche Gästezimmer für das der Hostinec angeschlossene Hotel Možnýs einrichten zu können, erweiterte man 1882 den Bau zur Rückseite, so dass nun eine weitere Fassade in der dahinter liegenden Lublanšká 146/46 entstand. Hier findet man nicht nur immer noch den Schriftzug U Možných über dem Portal, sondern kann auch einen Eindruck bekommen, wie die Fassade im Stil der Neorenaissance ursprünglich aussah (siehe kleines Bild oberhalb links). Im Erdgeschoss der Seite auf der Lublanšká befindet sich heute übrigens wieder eine Gaststätte, die immerhin im Namen an das alte U Možných erinnert.

Bei der vorderen Seite zum Tyl Platz sieht man nichts mehr von Možný und auch nichts mehr von der Neorenaissance-Fassade. Denn in den 1930ern begannen hier umfangreiche Umbauten. 1932 wurden zunächst einmal eine 4. und 5. Etage durch den Architekten und Bauunternehmer Alois Vavrouš aufgesetzt. Und 1937 (eine Zeit, das die Neorenaissance völlig „out“ war) ersetzte die Firma des Bauunternehmers Karel Skorkovský – ein Pionier neuer Betontechniken und des Autobahnbrückenbaus – die Fassade komplett. Sie behielt die Struktur der alten Fassade bei, aber die alte Ornamentik verschwand. Das ganze bekam einen nüchternen und fast funktionalistischen Touch – so wie wir es heute noch sehen.

Mit dem neuen und modernen Stil kamen auch neue Besitzer. Možnýs Gaststätte gab es da schon lange nicht mehr. 1938 eröffnete hier die Prager Zentrale der Konsum-Genossenschaft Včela (Spotřební družstvo Včela). Und die brachte das steinerne Relief über dem Haupteingang an. Včela – zu Deutsch: Biene – was war das überhaupt? Zurück zum Ursprung: Die genossenschaftliche Organisation wurde 1905 als Zentraler Arbeiter-Konsumverein (Ústřední dělnický spolek konsumní; abgekürzt: ÚDSK) von Angehörigen der böhmischen Sozialdemokratischen Partei (Česká strana sociálně demokratická, abgekürzt ČSSD) gegründet, die sich 1878 noch als Teil der österreichen Sozialdemokraten formiert hatten, aber ab 1897 als eigene separate Landespartei agierten. Es ging dem Konsumverein um freiwillige Selbstorganisation von Arbeitern (eine recht liberale Form des Sozialismus), die sich zusammen organisierten, um günstiger das Lebensnotwendige erwerben zu können (Kaufkraftbündelung).

Es kam die Erste Tschechoslawische Republik (1918) und mit ihr politische Umbrüche im Parteiensystem. Als sich 1921 Teile der Partei abspalteten, um die Kommunistische Partei zu gründen, teilten sich beide Gruppierungen – Sozialdemokraten und Kommunisten – eine zeitlang den Konsumverein. In den 1930er Jahren, als man hier am Tylovo náměstí einzog, war der Verein aber bereits fest in kommunistischen Händen. 1931 gründeten die Sozialdemokraten ihren eigenen Konsumverein Rovnost (Gleichheit) und die Kommunisten benannten den alten ÚDSK-Verein, den sie nun endgültig steuerten, in Včela um. Der verfolgte zumindest vordergründig weiterhin einen guten Zweck. Und so steht auch auf dem Kernstück des Reliefs über dem Eingang das anrührende Wort bratrství (Brüderlichkeit).

Die Včela betrieb weiterhin eine Kette von Läden, in denen nicht so gut betuchte Menschen gut und preisgünstig einkaufen konnten. Gleichzeitig diente das Hauptgebäude am Tyl Platz aber auch dazu, Listen mit vertrauenwürdigen Genossen anzulegen, die irgendwo im Genossenschftssystem Funktionen ausübten, über die man weitere Linientreue einschleusen konnte, um so die Sozialdemokraten zu verdrängen und Machtmittel an die Hand zu bekommen. Die Včela war damit zugleich eine brave Genossenschaft, aber auch ein strategisches Werkzeug der Kommunsiten, um sich ein „menschliches Anlitz“ zu verschaffen, und im leninistische Unterwanderungs- und Infiltrationstaktiken zu planen und umzusetzen. Als die Kommunisten dann 1948 die Macht ergriffen, spielte die „Biene“ im nunmehr staatlich kontrollierten Zentralrat der Genossenschaften (Ústřední rada družstev) eine wesentliche Rolle. Einige wichtige Amtsträger des Regimes, wie etwa der stalinistische Staatspräsident Antonín Novotný, kamen aus der Včela-Genossenschaft.

Als Včela hier einzog, gab es bereits klare Weisungen aus Moskau, dass die Zeit avantgardistischer Experimente vorbei sei, und dass in Sachen Ästhetik sozialistischer Realismus und Zuckerbäckerstil strikt angesagt seien. Folglich ist das über dem Eingang werbende Relief arg bieder, altmodisch und strotzt von dick aufgetragener Allegorik. Das Medaillon in der Mitte (mit der Aufschrift bratrství ) zeigt die klassischen Symbole der Arbeiterklasse (hauptsächlich Zahnräder) und der Bauern (Pflug). Da es sich aber um eine Konsumgenossenschaft handelt, befindet sich auch noch eine große Einkauftasche dazwischen. Eingerahmt wird das Medaillon von den üblichen kraftvollen sozialistischen Realkörpern: Links eine muskulöser Arbeiter mit Hammer (Bild oberhalb rechts) und rechts eine barbusige Allegorie der Landarbeiterin mit Korb. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr schon bei solch frühen Manifestationen des Sozailsitsichen Realismus, der radikal-progressive Anspruch der Kommunisten mit der extrem antiquierten und recht spießigen Ästhetik kollidierte.

Auch die „Biene“ hat hier ihre Zeit schon länger hinter sich. In kommunistsichen Zeiten wurde das Hauptquartier verlegt. Es wurden hier fortan hauptsächlich Wohnungen vermietet. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude privatisiert. EIn großer Umbau, bei dem unter anderem ein zusätzlicher Dachboden hinzugefügt wurde, erfolgte 1997. Kurz danach wurde dann hier das Clarion Hotel Prague City eröffnet. Das wird solide nach kapitalistischen Prinzipien betrieben. Ob sich die Gäste Gedanken über dieses kleine Stück kommunistscher Ästhetikgeschichte über dem Eingang machen, wenn sie unter dem Relief in das Hotel eintreten? (DD)
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