Brücke mit Tierköpfen

Seit letztem Monat hat Prag eine neue Moldaubrücke. Oder genauer gesagt: Am 28. Juli 2023 um 14.00 Uhr weihten Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda und sein (für Verkehrspolitik zuständiger) Stellvertreter Zdeněk Hřib die Štvanice Brücke (Štvanická lávka). Sie ist nicht nur die 20. Brücke, die nun innerhalb der Stadt die Moldau quert, sondern auch noch eine Besonderheit. Sie ist die einzige der Brücken, die ausschließlich als Fußgängerbrücke konzipiert wurde.

Nun könnte man einwenden, dass man die älteste aller Moldaubrücken in Prag, die mittelalterliche Karlsbrücke (Karlův most), auch nur als Brücke für Fußgänger (meist Touristen) kennt. Aber das ist eine relativ neue Entwicklung. Bis in die 1970er Jahre fuhren noch Autos über die Brücke, davor – Ende des 19. Jahrhunderts – querte hier eine Straßenbahn den Fluß. Und davor waren es Kutschen und Fuhrwerke. Bei der Štvanice Brücke ist das anders. Sie wurde von Anfang an als Fußgängerbrücke geplant und wäre technisch auch nicht für Autos und Straßenbahnen benutzbar. Neben der Karlsbrücke könnte man noch die Neue Troja Brücke (nový Trojský most) erwähnen, die aber nicht die Moldau vollständig überquert, sondern nur zu einer Insel in der Mitte führt. Und so ist die neue Štvanice-Brücke die einzige reine und unverfälschte Brücke für Fußgänger und Radfahrer, die die Moldau komplett überspannt..

Die Brücke wird auch HolKa-Fußgängerbrücke (ein Wortspiel, da „Holka“ in Tschechisch auch „Mädchen“ bedeutet) genannt, weil sie den Stadtteil Karlín (Ostufer) mit dem Stadtteil und Holešovice (Westufer der Moldau) verbindet, wobei man in der Mitte des Flusses noch einen Geh- und Fahrradweg auf die nördliche Seite Moldauinsel Štvanice hinunter- bzw. hinauf gehen kann (deshalb der Name der Brücke!). Von der Brücke kann man nun als Fußgänger in Ruhe und ohne von Autos bedrängt zu werden, eine schöne Aussicht auf Kleinseite und Burg genießen. Es ist nicht so, dass es bisher keine Brücke gab, die die beiden Stadtteile verband. An der südlichen Seite findet sich die dicht befahrene Hlávka-Brücke (Hlávkův most), über die wir schon hier berichteten. Zwischen ihr und der neuen Brücke liegt noch das sogenannte Negrelli Viadukt (Negrelliho Viadukt), die älteste reine Eisenbahnbahnbrücke Prag (Einweihung 1850) und somit ungeeignet für Fußgänger.

Die neue Brücke schließt also eine Lücke, aber natürlich zu einem hohen Preis. Bisher hatte es nämlich eine besonders attraktive Art, den Fluss zu überqueren und dabei sogar einen Inselstop einzulegen, nämlich die putzige und erst 2015 in Betrieb genommene Fähre P7 (wir erwähnten sie bereits hier), die nur wenige Meter stromabwärts ihre Wege zog, Die bot ein ganz besonderes Moldau-Überquerungserlebnis, wurde aber mit der Eröffnung der Brücke eingestellt. Irgendwie trauert man ihr dann doch nach, der kleinen Fähre, auch wenn die Brücke eine noch so schöne Aussicht zu bieten vermag.

Zwischen Idee und Umsetzung gab es bei der neuen Brücke allerlei Verzögerungen. 1999 fasste Oberbürgermeister Jan Kasl erstmals den Plan, hier eine Füßgängerbrücke zu bauen, was vor allem vom Stadtrat von Prag 7 (Holešovice) unterstützt wurde. Es wurde umgehend ein Wettbewerb für die Gestaltung ausgeschrieben und schon im nächsten Jahr kürte eine Jury unter der Leitung der renommierten Architektin Alena Šrámková, die bekannt war für ihre Vorliebe zum architektonischen MInimalismus . Aber dann kam das große Hochwasser von 2002. Es zeigte sich, dass der Siegerentwurf nicht hoch genug war und auch sonst den Fluten nicht getrotzt hätte. 2006 diskutierte man sogar, das Projekt ganz fallenzulassen, weil es so schwierig und kostentreibend sei, eine höhere Brücke im gewünschten Maße barrierefrei zu machen. Unter Oberbürgermeister Pavel Bém fasste die Stadt 2008 dann doch den Beschluss, den Brückenbau auch noch in ein großes Neugestaltungsprojekt für die Štvanice zu integrieren. Es gab noch einmal eine vom Rat von Prag 7 initiierte, aber schnell fruchtlose Diskussion, ob nicht ein Teil der Brücke aus aus schwimmenden Pontons bestehen solle, die im Flutfall eingezogen werden könnten.

Aber das konnte das Projekt nicht aufhalten. 2017 gab es einen neuen Architekten-Wettbewerb. Von den 53 eingereichten Entwürfen setzte sich im Dezember des Jahres der der Architekten Petr TejMarek Blank und Jan Mourek durch, ein Team, das sich auf moderne Brücken spezialisiert hat, etwa bei der Fußgängerbrücke in Příbor (2018). Der Entwurf führte den minimalistsichen Ansatz des Entwurfs, den Šrámková und ihre Jury im Jahr 2000 erkoren hatte, fort, ergänzte ihn aber so, dass den hinzugekommenen Anforderungen in Sachen Flutsicherheit und Barrierefreiheit genüge getan wurde. Zwischen 2020 und 2023 wurde die 3,50 Meter breite Brücke gebaut, die sich nun über 38 Meter zwischen Karlín und der Štvanice-Insel, 149 Meter zwischen der Insel und Holešovice und weitere 70 Meter über der Insel (Auf- und Abstiegsrampe) erstreckt. 352 Millionen CZK (ca. 14,5 Millionen Euro) betrugen die Kosten. Durchgeführt wurden die Arbeiten von der Bau- und Konstruktionsfirma Skanska.

Nicht jedermann gefiel die Brücke nach Eröffnung. Es gab Mäkeleien. Die pure weiße Farbe, so mutmaßten Kritiker sei riskant, weil sie wohl Unmengen von Sprayern anlocken werde. Auch könne die helle Farbe Dank starker Reflexion zu Lichtverschmutzung führen. Auch den schmucklos wirkende minimalistischen Stil mochte nicht jeder, weil er eher an Fabrikarchitektur erinnere. Aber unterm Strich scheint die Brücke von den Spaziergängern und Radfahrern, für die sie gedacht ist, begeistert aufgenommen worden sein. Sie nutzen sie in Massen und genießen dabei vielleicht die Aussicht. Und ganz so schmucklos ist die Brücke dann doch nicht, denn es gibt durchaus allerlei Kunst am Bau. So zum Beispiel die etwas überlebensgroße weibliche Statue am Fuße der Rampe zur Insel. Es handelt sich um eine Allegorie zum Thema Fluß (Řeka). Der Bildhauer fertigte sie in Absprache mit den Architekten aus dem selben Material wie die Brücke an des Jan Hendrych (den erwähnten wir u.a. bereits hier und hier). Man hat es also hier mit einem Gesamtkunstwerk zu tun.

Und dann gibt es da noch kleine, aber putzige künstlerische Details. Die jeweiligen Enden der aus hartem Kunststoff angefertigten Geländer, die sich an beiden Seiten über die ganze Brücke ziehen, sind mit abschlüssen versehen, die Tierköpfe darstellen. Nicht irgendwelche Tiere, sondern welche mit Bezug auf den jeweiligen Ort, an dem der Teil der Brücke endet. Entworfen hat sie der Bildhauer und Restaurator Aleš Hvízdal, der gerne in vielen seiner Werke Tiermotive präsentiert (ein Beispiel sieht man hier).

Nicht irgendwelche Tiere hat Hvízdal hier angebracht, sondern welche mit Bezug auf den jeweiligen Ort, an dem das Brückenende jeweils endet. In Karlín ist es zum Beispiel ein Pferdekopf – ein klarer Hinweis auf die riesige Reiterstatue (erwähnt u.a. hier) des Hussitenheerführers Jan Žižka, die hoch über Karlin thront, wenn nicht gar das Stadtbild dominiert (siehe Bild rechts), und die man auch von der Brücke aus sehen kann. Man ist hier halt stolz darauf, dass dort oben auf dem Vítkovberg die größte Pferdeskulptur der Welt steht, die daran erinnert, dass 1420 dort Žižka das Heer Kaiser Sigismunds schlug und Prag vor der Einnahme rettete. Und dieser Tatsache trägt nun der kleine bronzene Pferdekopf am Ende des Brückengeländers auf seine Weise Rücksicht.

Während dies angesicht des riesigen Pferdes spontan einleuchtet, wird sich manch einer fragen, weshalb denn am Ende des Geländers zur Insel Štvanice ein kleiner Hasenkopf aufgesetzt wurde. Nun, dazu muss man wissen, das Štvanice das tschechische Wort für Hetzjagd ist. Die wurden hier im 17. Jahrhundert vom Adel veranstaltet und die Opfer waren nebst Füchsen meist die flinken Hasen, auf die man die ebenfalls flinken Hunde losließ. Das war grausam, zumal die Insellage (damals ohne Brücke) am Ende dem Hasen nie echte Fluchtchancen ließ. So etwas tut man gottlob hier schon lange nicht mehr, aber der Name der Insel erinnert halt daran. Deshalb der kleine Hasenkopf zum Gedenken an schrecklichere Zeiten.

Und dann sind da noch die beiden Rinderköpfe die das Geländer an der Seite von Holešovice abschließen. Von hier aus kann man direkt auf die Prager Markthallen (Pražská tržnice), über die wir bereits hier berichtet haben. Dazu muss man wissen, dass die ursprünglich im späten 19. Jahrhundert als der Zentralschlachthof von Prag erbaut wurden, wo damals dann das Leben unzählicher Rinder endete. Man sieht: Die Brücke ist doch durchdachter, als der Betonminimalismus zunächst suggeriert.

Zur Zeit wird noch kräftig an dem zweiten Teil des Gesamtplans gearbeitet, der die schön grün bewachsene und an Attraktionen reiche, aber etwas vernachlässigte Štvanice-Insel aufbessert, was der Brücke zusätzliche Bedeutung verschaffen würde. Während die Brücke in neuem Glanz erstrahlt, ist die Insel noch ein wenig Baustelle (Bild links). Ihre städteplanerischen Sinn wird die Brücke als Herzstück eines Ausflugsareals dann voll ausleben können. (DD)

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