Das Kloster, das die Gamer begeistert

Es ist ein fast mystischer Herzensort für das Geschichtsverständnis der Tschechen: Das Kloster Sázava, hoch über dem gleichnamigen Fluss in der gleichnamigen Kleinstadt Sázava gelegen.

Der Ort ist rund 40 Kilometer südöstlich von Prag entfernt und lässt sich von dort aus direkt bequem per Regionalbahn zu erreichen. Schon seine Gründungsgeschichte hat etwas Mythisches an sich. Der Legende nach traf der böhmische Herzog Oldřich bei einem Ausritt im Walde am Ufer des Flusses auf den späteren Heiligen Prokop, der dort vorbildlich fromm als Eremit lebte und dem Herzog Wasser anbot, das sich prompt in standesgemäßen Wein verwandelte.

Der schwer beeindruckte Herrscher konnte gar nicht mehr anders und sagte dem Eremit prompt alle Unterstützung beim Bau eines Klosters am Orte zu. Diese schöne Geschichte kann man glauben oder auch nicht. Sicher ist überliefert wohl, dass der fromme Prokop hier tatsächlich im Jahre 1009 als Eremit hauste, und dass sich immer mehr begeisterte Schüler um ihn herum versammelten und so etwas wie eine Kommune bildeten, die sich immer mehr zu einem Kloster verdichtete. Auf jeden Fall erhob Herzog Oldřich 1032 das Ganze tatsächlich auch formell zu einem Kloster des Benediktinerordens, der das westliche Verständnis von Mönchstum damals geradezu definierte. Und Prokop wurde Abt von Sázava, was er bis zu seinem Tod 1053 blieb.

An die benediktinischen Klosterregeln und den römischen Ritus hielt man sich in Sázava in der Tat getreulich. Aber ansonsten ging man zunächst einen eher ostorientierten Sonderweg. Prokop hatte Verbindungen zum Kiewer Rus. Zudem war das Christentum über das Großmährische Reich nach Böhmen gedrungen und dieses war wiederum von den aus dem heutigen Bulgarien kommenden Slawenaposteln  Kyrill und Method (früherer Beitrag u.a. hier) missioniert worden. In Böhmen gab es einen hart ausgefochtenen Wettbewerb zwischen dem deutschen Kirchenverständnis (das strikt auf Latein bestand) und dem slawischen Verständnis, das sich des Kirchenslawischen bediente. Dabei vermischten natürlich oft auch sich Politik und Glauben miteinander. Prokop machte Kloster Sázava zu einer Hochburg des Kirchenslawischen. Unter den Klöstern in Böhmen (von denen es das vierte gegründete war), war es das einzige seiner Art. Zugleich wurden hier altslawische Bücher in Glagolitischer Schrift gesammelt und sogar produziert, von denen man in der Bibliothekssammlung immerhin durch neuere Bücher (links oberhalb ein Bibelfragment aus dem frühen 15. Jahrhundert) einen Eindruck gewinnen kann.

Denn: Die alten Bücher aus den Zeiten Prokops und seiner unmittelbaren vier Nachfolger gibt es nicht mehr. Im Jahre 1097 machte man mit der Anweisung von Papst Johannes XIII. ernst, der das Prager Bistum (zu dem Sázava gehörte) 973 nur unter der Bedingung eingesetzt hatte, dass dort Lateinisch gepredigt würde. Der neue Abt Dethard führte Latein ein und entsorgte die glagoltische Bibliothek. Zudem wurde es dem „linientreuen“ Kloster Břevnov (wir berichteten hier) in Prag unterstellt, verlor sozusagen seine Selbständigkeit. Die „slawischen“ Mönche wurden vertrieben und „lateinische“ zogen ein.

Ein bedeutendes Zentrum von Glauben und Kultur blieb es aber, vor allem nachdem Gründer Prokop 1204 heilig gesprochen worden war, was Sázava zu einem Wallfahrtsort erster Güte machte (nicht zuletzt, weil er der erste Böhme war, der zum Heiligen erhöht wurde). Angesichts des großen Wunders, das er vollbracht hatte, war sein Bestehen auf der slawischen Sprache vergessen und vergeben. Der Legende nach soll Prokop nämlich der Teufel erschienen sein, aber der Heilige zeigte ihm das Kreuz und kettete ihn an einen Pflug und zwang ihn, das Feld zu beackern. Das – plus die Sache mit dem Wein für Oldřich – zwang die Kirche geradezu, den Mann heilig zu sprechen. Natürlich findet man das auch im Kloster bildlich dargestellt, und zwar bei den herrlichen barocken Fresken im Kreuzgang (Bild oberhalb links).

Unter der Ägide der Mönche aus Břevnov wurde der Klosterkomplex vergrößert und modernisiert. Unter Prokop befanden sich nur hölzerne Gebäude hier, von denen Archäologen kaum noch etwas gefunden haben. Immerhin wurde unter Abt Vít (Veit), der übrigens ein Neffe Prokops war, um 1070 ein steinernes Kirchengebäude im heutigen Klostergarten errichtet, ein kleiner quadratischer Bau mit vier Apsiden, dessen Fundament heute freigelegt und sichtbar sind (Bild rechts). Der letzte „slawische“ Mönch Božetěch hatte kurz darauf mit einem größeren romanischen Kirchenbau begonnen, der aber erst im 12. Jahrhundert von den „lateinischen“ Mönchen fertiggestellt wurde. Reste davon sind der Krypta der heutigen Barockkirche zu besichtigen.

Gleichzeitig wurden zahlreiche Wirtschaftsgebäude aus Stein erstellt. Um 1250 setzte die gotische Bauphase ein, die ab 1360 mit den Plänen des großen Baumeister Matthias von Arras (der zu den Erbauern des Prager Veitsdoms gehörte) für den Bau einer großen gotischen Kathedrale ihren Höhepunkt erreicht hätte. Aber dieses auf lange Zeit geplante Projekt kam nie zum Abschluss. Als im Zuge der Hussitenkriege 1421 die Hussiten das Kloster besetzten, war es mit den Bauarbeiten zu Ende. Den Torso des nicht fertiggestellten Schiffes kann man nocht sehehn (Bild oberhalb links), aber das Kloster hörte auf, Kloster zu sein, und wurde dem (hussitischen Adels-) Geschlecht der Herren von Kunštát als Eigentum zugesprochen.

Danach wechselten die Besitzer mehrere Male. Währenddessen verfiel das Kloster langsam. 1588 sah Kaiser Rudolf II. es immerhin für notwendig an, wenigstens die Gebeine des Heiligen Prokop aus den Ruinen zu retten, um sie in die Allerheiligenkirche (Kostel Všech svatých) in der Prager Burg zu schaffen, wo sie bis heute ruhen. Instandgesetzt wurde im Kloster selbst aber nichts. Insofern grenzt es fast an eine Wunder, dass im Saal des Kapitelhauses Gewölbe mit Wand- und Deckenfresken auf dem 14. Jahrhundert recht unbeschadet die zweckentfremdende Nutzung überlebt haben. An den Decken befinden sich Engelsgestalten, während man an den Wänden einen großen Marienzyklus bewundern kann (Bild oberhalb rechts). In dieser künstlerischen Qualität und diesem Erhaltungszustand findet man so etwas selten.

Was nichts daran änderte, dass das Kloster der Vernachlässigung anheimfiel. Es selbst musste abwarten bis der Dreissigjährige Krieg kam. Der ging für die protestantische Seite verloren und danach setzten die siegreichen Habsburger auf eine rigorose Politik der Re-Katholisierung. Das Klosterleben in Böhmen gedieh wieder. Der damalige Abt von Břevnov, Augustin Jeronim Seifert von Löwenthal, kaufte das Klosterareal 1663 dem letzten weltlichen Besitzer, Johann Viktorin Karl von Waldstein (aus dessen Familie der große Feldherr Wallenstein stammte, den bekanntlich Schiller bedichtete), ab. Und so wurde die Kirche von 1663 bis 1687 im frühbarocken Stil neu erbaut und zwar so positioniert, dass der Torso des nie vollendeten gotischen Baus erhalten blieb, was bis heute optisch recht reizvoll und kontrastreich aussieht.

Andere Gebäude kamen dazu und manche erhaltene gotische Teile, wie etwa der Kreuzgang, wurden neu künstlerisch ausgestattet. Nach Beschädigung durch einen Brand im Jahre baute der berühmte Barockarchitekt Kilian Ignaz Dientzenhofer (wir erwähnten ihn u.a. hierhierhier und hier) und gestaltete wesentliche Teile noch einmal neu. Vor allem die Kirche nahm sich nun extrem prachtvoll aus. Dazu trug aber auch die Innenausstattung dabei, etwa das große Altarbild der Mariä Himmelfahrt des Malers Johann Peter Molitor (wir erwähnten ihn hier und hier) und die den Altar umgebenden Heiligenstatuen des Bildhauers Richard Georg Prachner. Kurz: Das Kloster schien zu gedeihen – besser denn je! Aber die Zeit der Aufklärung kündigte schwere Zeiten für Kirchen und Klöster an…

Am 4. November 1785 hob Kaiser Joseph II. im Zuge seiner Kirchen- und Klösterreform das Kloster auf und säkularisierte es. Die Kirche und ein Gebäude wurden 1788 der örtlichen Pfarre als Gemeindekirche übergeben, der Rest des recht großen Areals mit vielen Wirtschaftsgebäuden ging in einen Fonds über, der das gesamte Klostereigentum versteigern sollte. Das war ein langwieriger Prozess, bei dem am Ende Wilhelm Tiegel von Lindenkron, ein Artillerieoffizier, der 1817 zum Ritter geschlagen wurde, als Besitzer hervorging. Der verwandelte mit erstaunlich wenigen baulichen Veränderungen den Komplex in eine weltliche Residenz. Das augenfälligste Relikt aus seiner Besitzerzeit ist das hübsche klassizistische Familienmausoleum neben der Kirche, in dem er und seine Frau ihre letzte Ruhe fanden.

Der Erbe des Ritters verkaufte das Klosterareal (wie gesagt: ohne den Besitz der Pfarrei) 1869 an einen gewissen Johann Friedrich Neuberg, der eine entscheidende bauliche Veränderung in Auftrag gab. Der Klausurbereich im Vorbau wurde recht radikal im Stil der Neorenaissance umgebaut, wozu der charakteristische vierkantige Turm gehört, durch den das Gebäude den Charakter eines fast italienisch wirkenden Schlosses bekam. Aber schon 1876 verkaufte Neuburg das Ganze wieder an den Landbesitzer Friedrich Schwarz. Die Erben von Schwarz behielten dann das Klosterareal bis zur Enteignung durch die Kommunisten 1948, wobei sie schon in den 1930er Jahren einige Parzellen verkauft hatten. Eine davon wurde mit Gebäude vom Abt des Prager Emmausklosters in Prag, Arnošt Vykoukal, der 1942 von den Nazis umgebracht wurde, erworben, der hier eine neue Ausstellung über das geschichtsreiche Kloster eröffnete.

Das Interesse an der Geschichte wuchs und es begann eine Ära der Erforschung des Klosters, die vor allem mit dem Namen des Benediktinerpaters Karel Method Klement verbunden ist. Von 1940 bis zu seinem Tod 1957 erforschte er das Areal mit archäologischer Kompetenz. Er legte die erwähnten gotischen Fresken im Kapitelhaus wieder frei, fand die alte Grablege Prokops und führte eine systematsche Bestandsaufnahme durch. Darüber veröffentlichte er fleißig, sodass Kloster Sázava wieder ins nationale Andenken gerückt wurde. Der Hintergedanke, dass man das klösterliche Leben dort wiederbeleben könne, scheiterte zwar an Nazis und Kommunisten, aber auf seine eigene Weise wurde Sázava wieder zu einem Wallfahrtsort. Man konnte es nicht mehr ignorieren, dass das ein tschechischer Herzensort war. Vor einigen jahren hat man Klement dafür ein Denkmal mit Portraitbüste an der Gartenmauer des Klosters errichtet (oberhalb links).

Und tatsächlich: Während unter dem Kommunismus mit kirchlichem Kulturgut normalerweise recht ruppig oder zumindest nachlässig umgegangen wurde, ließen selbst die Kommunisten im Falle von Sázava Milde walten. Bis 1957 durfte sogar Pater Klement bei der Erforschung und Instandsetzung mithelfen. 1962 wurde es zum nationalen Kulturdenkmal erklärt und von 1969 bis 1980 wurden umfangreiche archäologische Untersuchungen unter der Leitung des Prager Forschungsteams von Květa Reichertová und Petr Sommer. Unsachgemäße Veränderung früherer Umbauten wurden rückgängig gemacht, passende Ergänzungen, wie das Tor zum Hofeingang (Bild oberhalb rechts), das der Architekt Břetislav Štorm 1960 entwarf, wurden hinzugefügt.

Nach dem Ende des Kommunismus waren Restitutionsfragen zu klären. Die Erbin der enteigneten Familie Schwarz verkaufte aber ihren Anteil an die Denkmalsbehörde, sodass diese und kirchliche Eigner sich das Areal heute aufteilen. Die Denkmalbehörde besitzt den historisch relevanten Teil des Klosters (bis auf die Kirche in Gemeindehand). Aufwendige Restaurierungsarbeiten wurden zwischen 2018 und 2021 durchgeführt. Obwohl etwas abgelegen, ist strömen an Wochenenden unzählige Besucher zum Kloster oder schauen sich die Ruheoase des Klostergartens an (Bild links). Die Kirche ist zudem einer der beliebtesten Orte zum Heiraten in Tschechien.

Inzwischen ist der Ort, an dem Böhmens erster Heiliger Wunder vollbrachte, nicht nur ein Ort nationaler tschechischer Mythenbildung. Denn Kloster Sázava inspiriert heutre spielbesessene Computerfreaks aus aller Welt. Zu den erfolgreichsten Rollenspiel-Games des Jahre 2018 gehörte das vom Prager Unternehmen Warhorse Studios entwickelte Spiel Kingdom Comes: Deliverance, eine Rittersaga aus der Zeit der Wirren unter König Wenzel IV. zu Beginn des 15. Jahrhunderts, das von den Kritikern u.a. gelobt wurde, dass es sehr geschichtstreu ist. Die wesentlichen Szenen spielen im sorgfältig digital rekreierten Kloster Sázava, dessen Original deshalb von einem ganz neuen Publikum besucht wird, das man sonst nicht immer an solchen Orten findet. Inzwischen bietet man sogar gesonderte Touren mit Führungen für Gamer von Kingdom Come: Deliverance an.

Trotz der vielen Umbauten, die das Kloster im Laufe der Jahrhunderte durchmachte, finden die Spiele-Fans noch genügend von dem, was sie aus ihrem Lieblingsspiel kennen. Die Beliebtheit von Kloster Sázava speiste sich anscheinend auch immer daraus, dass man die Zeichen der Zeit erkannte.

Kurzum: Wenn der Heilige Prokop heute einen ruhigen und einsamen Platz für sein Eremitenleben bräuchte, müsste er sich zumindest an Wochenenden einen anderen Ort suchen als diesen hier, wo er einst für Herzog Oldřich Wasser zu Wein verwandelte und später den Teufel an den Pflug spannte. Aber er könnte auch stolz darauf zurückblicken, dass er hier etwas erschaffen hatte, was die Jahrhunderte überdauerte. (DD)

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