Der Ring, der vor Geistern schützt

Dort, wo die engen Gassen der Altstadt am engsten und malerischsten sind, befindet sich das Haus zum Goldenen Ring (dům U zlatého prstenu). Ein Ort auf so geschichträchtigem Boden schreit geradezu nacht einer passenden Nutzung. Und richtig: Seit 2016 befindet sich hier eine Nebenabteilung des Stadtmuseums von Prag. Und die genießt den Schutz eines magischen Rings.

Recht eingezwängt in der Týnská 630/6 gelegen, befindet es sich – wie der Straßenname sagt – direkt am berühmten Týnský dvůr (dt.: Teynhof oder auch Ungelt). Das war im Mittelalter ein umzäuntes Areal für ausländische Händler, die versuchten, in Prag ihre Waren loszuwerden. Hier gab es Unterkunft, Kirche, Spital, Taverne, Ställe und Lagerräume. Hier konnte der König den Schutz und die Rechtssicherheit für die Händler in unsicheren Zeiten gewährleisten und die Händler zahlten dafür gerne eine Gebühr. (wir berichteten bereits hier). Das Haus zum Goldenen Ring befindet sich quasi an der Außenmauer des Týnský dvůr.

Die enge Straßenführung drumherum (die einen unregelmäßigen, siebeneckigen Grundriss des Hauses zur Folge hatte) suggeriert bereits mittelalterliche Ursprünge. Und tatsächlich wird das Haus erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt und zwar als Eigentum eines gewissen Dietrich von Rechcer. Die Besitzer wechselten immer wieder und im Mittelalter befand sich hier stets ein sogenanntes Maßhaus. So nannte man einen Bierausschank in einem zweistöckigen Vorraum. Man sieht erkennt das gut auf dem Bild rechts. Heute ist hier der Kassenraum und ein kleiner Laden des Museums. Ein anderer Besitzer war ein gewisser Tomášek, der es immerhin zum Bürgermeister der Weinberge außerhalb der Stadt brachte, dem heutigen Stadttteil Vinohrady.

Allerdings ist von dem ursprünglichen mittelalterlichen Gebäude nur noch wenig erhalten geblieben.Es handelt sich im wesentlichen um das Eingangsportal (u.a. gut zu erkennen im großen Bild oben) und eine schlichte, mit Balken versehene Holzdecke im ersten Stock (Bild links). Das ist immerhin schon eine Seltenheit. Anfang des 17. Jahrhundert gehörte das Haus einem gewissen Jan Kaše od Adama a Lukáše. In dieser Zeit war die Gotik schon lange nicht mehr modern.

Folglich gab es im Jahre 1609 einen grundlegenden Umbau im Stil der böhmischen Renaissance. Dieser Umbau prägt (weil spätere barocke Renovierungen nur geringfügig ausfielen) bis heute im Kern das Gebäude. Drinnen sind eine elaborierte Holzdecke und vor allem etliche noch sichtbare Wandmalereien beredte Zeugnisse des Stilwandels, der hier damals stattfand. Der Besitzer, der das Ganze veranlasst hatte, stand aber anscheinend während des Böhmischen Ständeaufstands 1618 und der darob folgenden Schlacht  am Weißen Berg (tschech.: Bila Hora; wir berichteten u.a. hier) von 1620 nicht auf der siegreichen Seite der Habsburger. Es kam zur Enteignung und ein Pro-Habsburger zog hier ein.

Das soll ein gewisser Šimon, genannt Prsten (= Ring), gewesen sein. Nun ist ja Haus am Goldenen Ring der Name des Hauses und seit dem 17. Jahrhundert befindet sich über dem Eingang tatsächlich ein Hausschild in Form eines Goldrings.In einer Zeit, da es noch keine Hausnummern gab, dienten Hausschilder der individullen Kenntlichmachung von Häusern. Das findet sich in diesem unseren Beitrag erklärt. Ob das Hausschild etwas mit dem Namen des neuen Besitzers zu tun hatte? Wir wissen es nicht. Schöner ist natürlich die alte Prager Legende, die das Ganze umgibt. Da heißt es,dass dereinst eines der vielen Stadtgespenster, die auf dem nahen Altstädter Ring (wo sich auch die Hinrichtungsstätte der Altstadt befand!) herumspukten, den Ring verloren habe. Der damalige Besitzer des Hauses fand den Ring und brachte ihn über der Haustür an. Es erwies sich nämlich, dass der Ring dem Haus magischen Schutz vor Geistern und anderen bösen Kräften des Übernatürlichen sicherte.

Zu den ebenfalls herausragenden Merkmalen des Renaissance-Umbaus gehört auch der Innehof mit seinen schönen Arkaden (Bild rechts), der im Sommer als Außengastronomie des Museumscafés genutzt wird. Das Haus war unter dem Kommunismus in öffentlicher Hand und nach dem Ende des Spuks (den leider kein goldener Ring hatte verhindern können) dachte man über eine neue Nutzung nach. Am Ende entschied man sich für eine Galerie, wozu man das Gebäude behutsam umabuen musste, um den neuen Zweck und die historische Substanz des Gebäudes miteinander zu versöhnen. Damit beauftragte man den kroatisch-tschechischen Architekten Vlado Milunić (bekannt als Ko-Architekt des berühmtesten modernen Gebäudes in Prag, dem Tanzenden Haus (wir berichteten hier), der die komplexe Aufgabe mit Bravour löste.

1998 wurde die Galerie für Wechselausstellungen eröffnet. Im jahre 2016 wurde es schließlich dem Museum der Hauptstadt Prag (Muzeum Hlavního Mesta Prahy), das wir hier vorstellten, zugeteilt. Während das Hauptgebäude des Museums neben einigen Wechselausstellung hauptsächlich die stehende Sammlung präsentiert, gibt es in der „Filiale“ des Hauses zum Goldenen Ring ausschließlich Wechselausstellungen zur Stadtgeschichte. Die zeichnen sich oft durch ihre hohe didaktische Qualität und der klugen Kombination von digitaler Präsentation und echten Artefakten aus. Im Bild links sieht man Fragmente feiner gotischer Bildhauerei aus einer Ausstellung 2023 über Prag unter Karl IV..

Ein Besuch der Ausstellungen im Museum lohnt sich eigentlich immer. Meist sind sie auch für englischsprachige Besucher (nicht zuletzt durch professionell gemachte Audios) gut aufbereitet, so dass man nicht Tschechisch können muss, um die Informationsflut zu bewältigen. Darüber sollte man aber nicht das Gebäude selbst außer Acht lassen, das für die Ausstellungen das perfekte Ambiente bietet. Überall finden sich noch Relikte aus der Geschichte des Hauses, insbesondere im Keller (wo sich die Garderobe befindet), wo Gewölbe und Durchgänge immer noch aussehen wie dem Mittelalter entsprungen. Und vor eventuellen Gespenstern, die gerade in Prag in solch alten Gemäuern sonst ja gerne hausen, ist man schließlich durch den Goldenen Ring über dem Eingang geschützt. (DD)

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