Der spät Geehrte

Bohuslav Martinů gehört zweifellos neben Leoš Janáček zu den ganz großen tschechischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Darüber war die die ganze Welt schnell einig. In seinem Heimatland war er jedoch in den Zeiten des Kommunismus lang mit einem Bannfluch belegt. Denkmäler und Gedenktafeln zu seinen Ehren gibt es deswegen hierzulande erst seit dem Ende der Tyrannei 1989 – so auch diese Gedenkbüste in der Na Kampě 512/11 auf der Kleinseite nahe der Karlsbrücke.

In diesem Haus wohnte Martinů nach 1906, als er aus Mähren kommend am Prager Konservatorium sein Studium begann. „In diesem Haus lebte während seiner Studienzeit der tschechische Komponist Bohuslav Martinů 1890-1959“, besagt die Inschrift unter der Büste. Das Studiium engte ihn arg ein, wie er fand, und er schaffte das Diplom am Ende nur knapp. Aber sein Talent war groß; bald spielte er die zweite Violine bei der Tschechischen Philharmonie (Česká filharmonie). Bei großen Lehrern bildete er sich aus, etwa bei Josef Suk oder ab 1923 in Paris bei Albert Roussel. Als 1939 die Nazis in seine Heimat einmarschierten, blieb er in Frankreich. Als die Deutschen hier auch einfielen, floh er im letzten Moment in die USA. Dort lehrte er bis 1953 Komposition, unter anderem an der renommierten Princeton University. Obwohl 1955 in die prestigereiche American Academy of Arts and Letters gewählt, zog es ihn nach Europa zurück, zunächst nach Nizza und Rom, dann – ab 1956 – endgültig in die Schweiz, wo er schließlich, hoch geehrt seinen Lebensabend verbrachte.

In die inzwischen kommunistisch regierte Tschechoslowakei konnte er nicht zurück, obwohl er mit dem Gedanken gespielt hatte. Denn dort galt der Anhänger der Ersten Republik und der westlichen Demokratie als politisch „unzuverlässig“. Insbesondere der Bildungs- und Kulturminister Zdeněk Nejedlý machte aus seiner Abneigung keinen Hehl, weil er die Musik Martinůs nicht verstand und sie ihm nicht genügend „proletarisch“ war. Der Minister ließ sich bisweil nicht nur von ideologischem Eifer, sondern auch von persönlichen Abneigungen leiten ließ. Es heißt, er habe ein Denkmal für den eiegntlich völlig unumstrittenen Antonin Dvořák nur deshalb nicht in Prag genehmigt, weil dessen Tochter vor urlanger Zeit seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte (wir berichteten hier). Wie dem auch sei, Martinů war offiziell als bourgeoiser Formalist verpönt und wurde weder aufgeführt noch irgendwo positiv rezensiert. Und wer als Kulturschaffender Nejedlýs Missfallen erregte, konnte schnell im Gefängnis landen, wie etwa der spektakuläre Fall des anerkannten Musikwissenschaftlers Josef Hutter zeigte, der als schon von den Nazis verfolgt worden war, und 1950 Opfer eines stalinistischen Schauprozesses wurde.

Und so kam es, dass einer der ganz großen Komponisten der Tschechen seine größten Werke meist im Ausland schrieb. Darunter finden sich zahlreiche Symphonien (hier die sechste) oder die heitere Sinfonietta Giocosa von 1940, die er angeblich während einer Straßenbahnfahrt komponiert hatte. Das Orchesterwerk Memorial to Lidice von 1943 ist eines seiner politischen Stücke zum Gedenken an die Ermordung der Menschen des Dorfes Lidice ein Jahr zuvor durch die Nazis aus Rache für das Attentat auf Reinhard Heydrich. Nennenswert sind auch seine zahlreichen Balette, wie etwa Špalíček (1932/33). Auch insgesamt 16 Opern gehören dazu, insbesondere die spektakuläre und dramatische Oper The Greek Passion (1961). Seine Werke wiesen ihn (ähnlich wie Igor Strawinski) als einen Meister des musikalischen Neoklassizismus aus, der die Emotionalität des vorher allesbeherrschenden Romantizismus überwand, und formalere und tonalere Kompositionen, die auf die Wiener Klassik zurückgriffen, bevorzugte.

Nach dem Ende des Kommunismus 1989 beeilte man sich, die Ehrung nachzuholen. Schon 1990 entstand ein Denkmal für ihn in seiner Geburtsstadt Polička. Im mährischen Brno folgte ein Denkmal für Martinů im Jahr 2007. Wiederum in Polička wurde 2009 ein eigenes Museum und Forschungszentrum (Centrum Bohuslava Martinů) gewidmet, das sein Andenken pflegt. Und das sind nur einige Beispiele für Ehrungen des Komponisten.

In Prag wurde nicht nur an der Manes-Brücke (Mánesův most) eine Plakette in den Boden eingelassen, sondern im Jahre 1998 auch eben jene Büste mit Plakette an dem Haus angebracht, in dem er seine Studienzeit hier verbracht hatte. Es handelt sich übrigens um ein ursprünglich barockes Gebäude mit dem Namen Haus zur Gelben Rose (U zlaté růže), das 1835 durch den Architekten Karel Pollak im neoklassizistischen Stil umgebaut wurde – was eigentlich recht gut zu Martinů neoklassischer Musik und auch zu dem formstrengen Sockel und der (recht konventionellen) Gestaltung der Büste passt.

Ach ja, ehe man es übersieht. Unter der Büste mit der großen Plakette für Martinů befindet sich eine kleinere Plakette aus Bronze. Sie erinnert daran, dass in dem Haus von 1930 bis zu seinem Tode 1976 der bekannte Filmschauspieler Eduard Kohout wohnte, und der durch Filme wie Kouzelný dům (Magisches Haus, 1939), Jan Hus (1954) oder Spalovač mrtvol (Der Kremator, 1969) sich eine lange und erfolgreiche Karriere im Lande sicherte. Der Text lautet übersetzt: „In diesem Haus lebte, schuf und starb von 1930 – 1976 der tschechische Nationalkünstler Eduard Kohout, ein tschechischer Schauspieler.“ (DD)

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