Der Volkszorn wächst in Osteuropa

Viele Länder Osteuropas hängen an russischen Energielieferungen. Mangels Alternativen droht die Lage noch kritischer zu werden. Die steigenden Preise machen die Bevölkerung bereits jetzt unruhig.

Der Name der Kundgebung war Programm: „Die Tschechische Republik zuerst.“ 70.000 Menschen brüllten am Wochenende drei Stunden lang ihre Wut über hohe Energiepreise und gegen die Ukraine-Politik auf dem Prager Wenzelsplatz heraus. Der sofortige Rücktritt der Regierung wurde verlangt. Dabei hatte die Fünf-Parteien-Koalition gerade erst nach 22 Stunden Parlamentsdebatte ein Misstrauensvotum überstanden.

Der Prager Volkszorn wirft ein Schlaglicht auf wachsenden Instabilitäten in Zentral- und Südosteuropa mit seinen schwachen Koalitionsregierungen, steigender Inflation bei abflachendem Wirtschaftswachstum, zunehmenden pro-russischen Stimmungen und der großen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Da muss man von der kleinen Republik Moldau, die beim Gas zu 100 Prozent an Gazprom hängt und mal um mal Zahlungsaufschub erbittet, gar nicht erst reden.

Die Bulgaren wählen im Oktober zum vierten Mal binnen zwei Jahren ihr Parlament und die Übergangsregierung bringt Gazprom als Gaslieferanten wieder ins Spiel. In der Slowakei ist Ministerpräsident Eduard Heger fast täglich mit dem Überleben seiner Koalition befasst. In Montenegro stürzte die Regierung Mitte August. In Polen versuchen die Regierenden, mit Zuschüssen zur teuer gewordenen Heizkohle die Stimmung vor den Wahlen 2023 nicht umkippen zu lassen.

Selbst im mit harter Hand regierten Ungarn, wo Regierungschef Viktor Orbán seine Position in der Wahl im Frühjahr bestätigen konnte, kam es wegen der angespannten Wirtschaftslage zu Protesten gegen die Regierung. Da wird schon positiv registriert, dass in Kroatien, das im Januar der Europäischen Währungsunion beitreten will, eine exzellente Tourismus-Saison und gute Wachstumsperspektiven zeigt.

Gasversorgung „noch kritischer geworden“

Die Ratingagentur Fitch hat dieser Tage die große Abhängigkeit der Region von russischen Energielieferungen hervorgehoben. Bis auf Rumänien, das sich weitgehend selbst versorgt, sei die Lage überall „noch kritischer geworden“. Alle Staaten bemühten sich um alternative Lieferanten. Allerdings, so schreiben die Fitch-Fachleutet: „Für die Slowakei, die Tschechische Republik und Ungarn sehen wir noch erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich langfristiger Alternativen, einschließlich der potentiellen Kosten für zusätzliche Infrastruktur und Finanzierungsquellen.“

Zwar fielen die Wachstumsdaten für das erste Halbjahr in Zentral- und Südosteuropa meist positiv aus, doch erwarten die meisten professionellen Beobachter in den kommenden Quartalen sinkende Werte des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Technische Rezession heißt das dann. Die mit großem Abstand größte Volkswirtschaft zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer, Polen, ist dabei „der negative Ausreißer in der Region“, wie die Volkswirte der Raiffeisenbank International schreiben. Im zweiten Quartal lag das BIP zwar noch 5,5 Prozent über Vorjahresquartal, aber 2,3 Prozent unter dem Wert von Januar bis März 2022.

Staatshilfen auf Dauer unerschwinglich teuer

Negativ überrascht hat vergangene Woche die Inflationsrate mit 16,1 Prozent. Dabei stehe den Polen der Höhepunkt der Inflation erst noch bevor, analysiert die ING-Bank und erwartet knapp unter 20 Prozent Anfang 2023. Die Regierung bereite zwar Ausgleichsmaßnahmen gegen den Energiepreisschock vor, aber: „Diese aufrechtzuerhalten ist vielleicht unerschwinglich teuer.“ Das Budgetdefizit dürfte 4,4 Prozent erreichen.

Auch Ungarn kämpft mit hohen Ausgleichskosten. Vor der Wahl hatte die Regierung Renten erhöht, Preisdeckel auf Sprit und Hypothekenzinsen verordnet, Lebensmittel subventioniert. Zunächst bis Oktober. Bald nach der Wahl wurden zur Finanzierung Steuern für kleine und mittlere Betriebe erhöht, was Proteste auslöste.

Jetzt kündigte Wirtschaftsminister Martin Nagy weitere Unannehmlichkeiten an: „Früher oder später müssen Preisobergrenzen auslaufen, da es sich nicht um marktfreundliche, sondern um marktfeindliche Schritte handelt.“ Die Frage sei nur „wie schnell und wie man die Marktpreise wieder einführen kann“. Überdies trüben sich die Wachstumsperspektiven bei 13,7 Prozent Inflation ein. „Die Rezession pocht an die Tür“ , schreibt die Erste Bank aus Wien.

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