- Hans Weber
- March 27, 2025
Die ehemalige Synagoge von Karlín
In der irrigen Annahme, die Juden hätten bei der Besetzung Prags während des Zweiten Schlesischen Krieges mit den preußischen Okkupanten kollaboriert, und aus einem sehr intoleranten Katholizismus heraus, hatte Königin Maria Theresia 1744 das jüdische Ghetto in Prag gewaltsam aufgelöst und die Bewohner vertrieben. Viele Juden siedelten sich in den kleinen Dörfern außerhalb der Stadt an, etwa in Karlín.

Zwar kehrten viele von ihnen zurück, als die Königin ihren Erlass 1748 rückgängig machte. Aber in Karlín verblieben doch größere Anzahl von Juden ansässig. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs die Ortschaft enorm und zwar Dank einer intensiven Industrialisierung. Es gab unzählige (deutsch-) jüdische Fabrikanten und Arbeiter, die die Entwicklung vorantrieben. 1851 bekam Karlín auch formell erstmals eine eigene jüdische Gemeinde mit Rabbiner. Damit war klar: Eine Synagoge musste her. Die wurde in den Jahren von 1857 bis 1861 durch den Bauunternehmer und Architekten Josef Blecha geplant und erbaut. Sie befindet sich in der Vítkova 243/13 in Karlín (Prag Bezirk 8).

Dem folgten andere jüdische Einrichtungen, etwa eine Schule im Jahre 1869, ein Frauenverein 1890 oder eine recht einflussreiche Wirtschaftsvereinigung 1906. Diese Einrichtungen und auch die Synagoge waren zurecht auf ein Wachstum der jüdischen Gemeinde angelegt. Denn schon 1890 gab es in Karlín 1205 Juden, was immerhin 14% der Bevölkerung entsprach, eine Zahl, die sich bis 1921 (ein Jahr bevor Karlín dann als Stadtteil zu Prag eingemeindet wurde) noch einmal verdoppelte. Karlín gehörte bald zu den größten und prosperierendsten jüdischen Gemeinden in Böhmen bzw. ab 1918 der Tschechoslowakei.

Der Synagogenkomplex wuchs auch. 1898 wurde hinter dem Gartenhof zweistöckiges Haus für den Rabbiner und 1904 ein ebenerdiges Winterbethaus (auch Wintergarten, bzw. zimni zahrada, genannt) angebaut. Blecha hatte die Synagoge in einer damals für Gebäude dieser Art typischen Kombination von neoromanischen und orientalischen („maurischen“) Stil entworfen (ein anderes Beispiel dafür zeigten wir hier). In den Zeiten der Ersten Republik fand man das anscheinend antiquiert. Man beließ zwar die alte Fassade, aber innen gestaltete der Architekt und Bildhauer Leopold Ehrmann (der u.a. 1924 das hübsche und originelle kubistische Grab von Franz Kafka entworfen hatte) die Synagoge im Stil des Funktionalismus um.

Das passte zur Gemeinde, die sich als sehr fortschrittlich sah. Zu den prominenten Mitgliedern gehörte zum Beispiel die deutsch-jüdische Lenka Reinerová, die den Kommunisten nahestand (mit denen sie sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 überwarf), und die damals zu den wichtigsten Literaten des deutschsprachigen Prags gehörte. In den 1930er Jahren war Isidor Hirsch, der sich als Gelehrter und Übersetzer alter hebräischer Schriften einen Namen als intellektuelle Größe gemacht hatte. Anfang 1939 wurde das so blühende jüdische Gemeindeleben durch den Einmarsch der Nazitruppen brutal beendet. Die Synagoge wurde geschlossen und Hirsch abgesetzt. Er starb schon 1940. Den Holocaust in seinem vollem Umfang erlebte er so nicht mehr. Im Jahre 2014 wurde eine Gedenktafel (in Tschechisch und Hebräisch) zu seinen Ehren an der Fassaade der Synagoge angebracht.

Unmittelbar nach dem Weltkrieg wurde die Synagoge an die jüdische Gemeinde zruückgegeben, aber nach dem Morden der Nazis gab es keine Gemeinde mehr, die die Synagoge tragen konnte. 1950 verkaufte man sie an die Tschechoslowakische Hussitische Kirche (Církev československá husitská), die auch andernorts Synagogen übernahmen (wir berichteten u.a. hier) und dabei sehr sorgfältig mit dem jüdischen Erbe der Gebäude umging. Die Umwidmung in eine christliche Kirche macht innen Umbauten notwendig, die 1953 von dem Architekten Emil Rabenstein durchgeführt wurden. Seither ist das Gebäude – wenngleich so diskret, dass der ursprüngliche Charakter des Bauwerks nicht verfremdet wird – mit protestantischer/hussitischer Symbolik verziert. Sowohl auf dem Dach (siehe großes Bild oben) als auch über dem EIngang (Bild links) sieht man das Kreuz mit Kelch, der an das traditionelle hussitische Symbol des Laienkelchs erinnert.

Nach dem Ende des Kommunismus gab es 1990 erst einmal eine eingehende Renovierung. Das große Hochwasser 2002, das in Karlín besonders schlimm wütete hinterließ allerdings große Schäden am frisch renovierten Bau. Die wurden allerdings schnell behoben. Die Fassade der (als Kirche nun nur zu Gottesdienstzeiten geöffneten) alten Karlíner Synagoge ist blitzblank in Schutz. Alles ist makellos restauriert. Zusammen mit der Tafel für Isidor Hirsch brachte man übrigens auch eine zweite Gedenktafel an, für die vielen, vielen Opfer des Holocausts aus der einst so lebendigen jüdischen Gemeinde der ehemaligen Synagoge. (DD)
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