- Hans Weber
- March 27, 2025
Enttäuschter Panslawist
Vinohrady, das bis 1922 als eigenständige Stadt noch nicht zu Prag gehörte, war immer auch eines der beliebten Viertel für Dichter und Schriftsteller. Auf die ist man irgendwie stolz und ehrt sie allerorten mit Gedenktafeln.

So auch František Kvapil, dessen bronzene Gedenktafel mit Portraitrelief man am Erdgeschoss des vierstöckgen Wohnhauses in der Korunní 1151/67 (Prag 3) bewundern kann. Der ist nicht zu verwechseln mit den ungleich bekannteren Schriftsteller und Regisseur Jaroslav Kvapil, dem Eheman der noch bekannteren Schauspielrrin Hana Kvapilová (wir berichteten über sie bereits hier), mit dem ihn auch kein Verwandtschaftsverhältnis verbindet. Er verfügte aber über alles, was es für einen Schriftsteller und Dichter braucht, so etwa die Erfahrung als Redakteur der tschechisch-patriotischen Zeitschrift Hlas národa (Stimme der Nation) in den Jahren 1886–90. Zudem beflügelte ihn seit 1893 seine Tätigkeit Nationalmuseum, wo er es 1909 sogar zum Direktor brachte. Abgerundet wurde seine Bildung durch unzählige Reisen ins nahe und ferne Ausland, insbesondere nach Polen.

Seine eigenständigen literarischen Werke hatten damals durchaus Erfolg. Indes als bleibende und zeitlose Klassiker konnten sich seine Hauptwerke, wie etwa Zpěvy knížecí (Fürstenlieder) von 1883, Ženy a milenky slovanských básníků (Die Frauen und Geliebten der slawischen Dichter) von 1893 oder sein letztes Werk Modré ostrovy (Blaue Inseln) von 1926 (postum), das einige literarische Erinnerungen und Skizzen enthält, nicht etablieren. Man stufte ihn damals gerne als begabten, aber nicht übermäßig originellen Epigonen des wesentlich bekannteren und populäreren Schriftstellers Jaroslav Vrchlický (wir erwähnten ihn u.a hier, hier und hier) ein, der damals zu den Stars der böhmischen Schriftsteller- und Dramatikerszene gehörte.

Seine eigentliche Bedeutung liegt in seinem Wirken als Übersetzer. Er sah sich selbst nicht nur als tschechischer Patriot, sondern vor allem als Panslawist, der ein umfassendes Interesse für die Kultur aller slawischen Völker entwickelte und zahlreiche ihrer Sprachen fließend beherrschte. Aus dem Russischen ins Tschechische übersetzte er u.a. Puschkin, aus dem ukrainischen Schewtschenko (über den wir u.a. hier und hier berichteten), aus dem Slowenischen Prešeren, aber vor allem lag ihm die polnische Literatur am Herzen, insbesondere der Nationaldichter Mickiewicz. Nach seiner Pensionierung konzentrierte er sich primär auf die Übersetzungsarbeit, die sich durch hohe Qualität auszeichnete und viel zur Verbreitung der verschiedenen slawischen Literaturen in Böhmen bzw. ab 1918 der Tschechoslowakei beitrug.

Die Unabhängigkeit der zuvor unter der Habsburger Krone regierten slawischen Länder im Jahre 1918 – allen voran das eigene – hätte eigentlich für ihn ein innerer Triumph sein müssen, aber leider trübte hier ein bitterer Wermutstropfen die Freude. Die von ihm ersehnte slawische Eintracht löste sich in Grenzkonflikten zwischen den irgendwie territorial recht undefinierten Nationen, die sich nun selbstbestimmen sollten, auf brutale Weise auf. Dazu gehörte 1919 der recht blutige Siebentagekrieg zwischen Polen und der Tschechoslowakei um das Gebiet um Teschen. Über den Konflikt verlor Kvapil viele der wertgeschätzten Freundschaften mit vilen literarischen und panslawistischen Mitstreitern in Polen. Die Enttäuschung war groß. Bis an sein Lebensende bedauerte er den Unfrieden zwischen Tschechen und den von ihm stets als Brudervolk betrachteten Polen zutiefst. Die Bronzetafel zu seinen Ehren in der Korunní wurde in den 1930er Jahren hier angebracht und erinnert daran, das Kvapil in diesem Haus lange lebte und am 19. Oktober 1925 hier starb. (DD)
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