Expressionistischer Funktionalismus

Es handelt sich um eines der ästhetisch anspruchsvollsten Gebäude des Funktionalismus der Ersten Republik in Prag – vielleicht auch deshalb, weil der Architekt dabei noch mit Elementen des Expressionismus mit seinem Hang zur dynamischen Stromliniendesign spielte. Das kann man an der großen Laterne an der Ecke des Gebäudes und den elegant geschwungenen kleinen Balkonen gut erkennen, die das Haus zu einem besonderen „Hingucker“ macht.

Die Rede ist vom Purkyně Palais (Palác Purkyňova), gelegen dan der Ecke Spálená 74/2 und Purkyňova 74/2. Der Palais wurde in den Jahren 1927 bis 1928 als Prager Verwaltungsgebäude der österreichischen Donau Versicherung errichtet, die 1867 gegründet worden war, was ulkigerweise, aber rein zufällig das selbe Jahr war, in dem Johann Strauß seinen berühmten Donauwalzer komponierte. Neben Ungarn war die Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg das einzige ehemalige Habsburgerland, in dem die Versicherung noch operieren konnte. Das endete 1938, als die Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, während sie gleichzeitig von den Nazis in Österreich gleichgeschaltet wurde. Am Ende stand eine Fusion mit der deutschen Concordia-Versicherung und das Auslandsgeschäft wurde abgewickelt. Auch das Inlandsgeschäft in der Tschechoslowakei endete bald und wurde kurz darauf auch von den Nazis zerschlagen. Seither residiert hier im Purkyně Palais keine Versicherungsverwaltung mehr. Heute ist das Gebäude in Prag ein Bürohaus mit einem Café und einer kleinen Einkaufspassage im Erdgeschoss.

Aber warum heißt das Ganze nicht „Donau Palais“, so wie das zweite Geschäftsgebäude der Versicherung in Prag, der 1928 ganz in der Nähe erbaute Palác Dunaj? Der Grund ist in der Vorgeschichte des Gebäudes zu suchen. Vorher stand hier ein klassizistisches Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert. Hier lebte zuletzt und starb 1869 Naturforscher und Philosoph Jan Evangelista Purkyně, über den wir bereits hier berichteten. Der war einer der großen Wissenschaftler Böhmen, dem vor allem die Biologie (Zellforschung, Physiologie) und die Kriminalistik (er entdeckte den Nutzen des Fingerabdrucks) bereichert hatte. Schon ein Jahr zuvor war sein Sohn Karel Purkyně früh und unvollendet gestorben, ein damals berühmter Maler des von Gustave Courbet beeinflussten Realismus. Kurz nach dem Tod der beiden großen Böhmen wurde eine besonders elaborierte Gedenkplakette angebracht. Nach dem Abriss des alten Gebäudes, wurde sie am ersten Stock des neuen Versicherungsbaus angebracht, wo ihr schnörkelig-klassizistischer Stil in starkem Kontrast zum streng modernen Funktionalismus des Hauses steht.

Entworfen hat das neue Gebäude war kein Geringerer als der Architekt Adolf Foehr (wir berichteten hier und hier), ein Schüler von Jan Kotěra (siehe u.a. hier), der zu den Begründern der modernen Architektur in Böhmen zählte. Weil er „Deutscher“ (d.h. deutschsprachiger Bürger der Tschechoslowakei) war, musste Foehr bisweilen bei öffentlichen Baufträgen Diskriminierungen seitens der Tschechen ertragen, aber er kompensierte das bei großen privaten Bauaufträgen, mit denen er das moderne Prag entscheidend mitprägte. Und der Purkyně Palais ist sicher ein schöner Beleg dafür. Die Art-Déco-Passage, die sich der Palais mit dem Nachbargebäude (Haus 6) teilt, gehört jedenfalls zu den schönsten Ihrer Art.

Durch die Glasdecke der Passage mit ihren kleinen Geschäften kann man recht klar die Innenhofarchitektur des Gebäudes erkennen. Während der Palais von außen einen für ein funktionalistisches Gebäude recht konservativen und ebenmäßigen Eindruck hinterlässt, präsentiert sich das Ganze innen als strikter und zugleich verwinkelter und mit weniger Zugeständnissen an den gefälligeren Expressionismus versehen.

Das Gebäude wurde u.a. 1946, als langfristige Folge des Abzugs der Donau Versicherung, behutsam umgebaut. Die letzte große Renovierung erfolgte 1992 bis 1994, wodurch die Folgen der Vernachlässigung in den Zeiten des Kommunismus behoben wurde. Die Freunde der Architektur von Expressionismus und Funktionalismus können sich darüber freuen. (DD)

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