Friedhof voller Überraschungen

Von den beiden schönen Friedhöfen im Stadtteil Smíchov (Prag 5) ist er der weniger bekannte. Im etwas außerhalb der Zentren Viertel Malvazinky gelegen, kommen sicher noch weniger Touristen zufällig hier vorbei, als es beim ein wenig bekannteren Kleinseitner Friedhof (Malostranský hřbitov) der Fall ist, der ebenfalls in Smíchov liegt. Dabei gehört er wirklich zu den schönsten der Stadt, der Malvazinky Friedhof (Hřbitov Malvazinky).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Smíchov zu einem großen Industriestandort geworden, was ein enormes Bevölkerungswachstum zur Folge hatte. Dadurch entstand naturgemäß bald der Bedarf an einem großen öffentlichen Friedhof. Im jahre 1875 kaufte die Stadtregierung des damals noch nicht zu Prag gehörenden Smíchov (die Eingemeindung erfolgte erst 1922) ein größeres Grundstück, um dort einen städtischen Friedhof anzulegen. Das Grundstück befand sich auf dem Land eines ehemaligen Gehöftes, das 1628 von einem Kleinseitner Bürger namens Tomáš Malvazy gegründet worden war, und nach dem nunmehr das ganze Ortsviertel (čtvrť) Malvazinky benannt wurde. Die Planung des neuen Friedhofs wurde em bekannten Architekten Anton Viktor Barvitius (wir stellten ihn bereits u.a. hier und hier vor) übertragen. Und schon im Jahre 1876 wurde der Friedhof feierlich eröffnet.

Der nächste Schritt erfolgte am 13. September 1894. An diesem Tag wurde der Grundstein für eine neue große Friedhofskirche gelegt (normalerweise begnügen sich Friedhöfe mit dem kleineren Format einer Kapelle). Und schon am 28. Mai 1896 wurde das wiederum von Antonín Barvitius entworfene Bauwerk feierlich geweiht. Die neue Kirche der Heiligen Philippus und Jakobus (Kostel svatého Filipa a Jakuba) wurde mit Hilfe von Materialien erbaut, die noch von dem 1891 erfolgten Abriss der gleichnamigen Barockkirche weiter innerhalb von Smíchov, am heutigen Arbes Platz erhalten waren. Auch die Glocken der alten Kirche wurden übernommen. Allerdings war der Stil ein gänzlich anderer. Arbitius legte hier ein beachtliches Meisterwerk der Neoromanik in Prag vor, stilecht mit schönen Rundbögen bei Fenstern und Arkaden.

Die Kirche wurde – obwohl sie sich von ihrer Größe her dazu eignete – natürlich zunächst hauptsächlich für Beerdigungszeremonien genutzt und nur ab und an für reguläre Gottesdienste. Die fanden in der Regel für bei den kirchlichen Gedenktagen für die namengebenden Heiligen Philippus und Jakobus, sowie an Allerseelen statt. Nur ab 1928 wurden für einige Jahre regelmäßige Gemeindegottesdienste hier abgehalten. Die bisherige, recht karge Innenausstattung wurde 1913 grundlegend erneuert. Es kamen Fresken und ein großer Hauptaltar dazu. Einige der Figuren des Hauptaltars wurden in den 1980er Jahren bei einem Einbruch gestohlen. Das Innere kann man natürlich nur bei Beerdigungen sehen, d.h. es ist normalerweise nicht zugänglich. Aber die Freskenmalerei der damaligen Zeit kann man auch bei den Grabmalereien in den Arkaden (links) außen studieren. Das Ganze hinterlässt den Eindruck einer damals recht wohlhabenden Gemeinde hier in Smíchov.

Ja, und seit 1876 liegt auch genügend Zeit zurück, dass hier ein wunderschöner alter Baumbestand aufwuchs. Der Friedhof mutet wie ein kleiner Landschaftspark an und lädt gerade an warmen Sommertagen zu kleinen meditativen Spaziergängen im „Grünen“ ein. Hinzu kommt – vor allen in den älteren Teilen des Areals – ein reicher Schatz an prachtvoller Sepulkralkultur. Sie schlägt sich nicht nur in schönen Grabsteinen, sondern auch in vielen stattlichen Mausoleen nieder, wie wir sie hier im Bild rechts bewundern können. Wie es so oft auf alten Friedhöfen der Fall ist, bekommt man hier im Malvazinky Friedhof einen Eindruck von der Entwicklung von Kunst, Bildhauerei und Architektur der letzten anderthalb Jahrhunderte.

Und bei einem solchen Spaziergang durch die Gräberreihen findet man natürlich auch die Grabstätten berühmter Menschen. Zuvörderst wäre da der Schriftsteller Jakub Arbes zu nennen, einem der Begründer der tschechischen phantastischen Literatur, über den wir schon hier berichteten. (Bild links). Der war der literarische „Local Hero“ und viele seiner Geschichten spielen sogar in Smíchov, etwa die berühmte Geschichte Newtons Hirn (Newtonův mozek) von 1877. Auf dem Grabstein befindet sich ein hübsches Portrait-Medaillon.

Auch die Brüche und Widersprüche der tschechischen Geschichte spiegeln sich hier wieder. So findet man hier sowohl das Grab eines der kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei, nämlich Antonín Novotný, als auch das Grab des wackeren „Untergrundbischofs Kajetán Matoušek, der tapfer gegen die Kommunisten Widerstand leistete. Nach der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings wirkte er in einer Art Untergrundkirche, denn die kommunistische Führung verweigerte ihm jegliche Akkreditierung. Erst mit dem Ende des Kommunismus im Jahre 1989 durfte er wieder öffentlich auftreten.

Nicht vergessen darf man natürlich das Grabmal eines lokalen, recht göttlichen Sängers, der allerdings so bedeutend war, dass wir noch gesondert darüber berichten werden.

Aber es gibt auch viele überaus interessante Gräber, die nicht die letzte Ruhestätte eines besonder berühmten Menschen markieren, aber dennoch überaus beeindruckend sind. Unweit des Haupteingangs befindet sich zum Beispiel das Grab von Karel Smutný, der von 1871 bis 1933 lebte. Die bronzene Büste auf dem Grabstein wirkt kolossal und zeigt den Verstorbenen in einer Uniform mit einer riesigen Bärenfellmütze. Das weist ihn eindeutig als Angehörigen der damals in Russland kämpfenden Tschechoslowakischen Legion aus, worauf er wohl sehr stolz war – warum sonst dieser Grabschmuck? Sogar mit seinem Militärtitel Podplukovni, was soviel wie Oberstleutnant bedeutet? Die Legionen waren autonome Truppeneinheiten, die die Alliierten der Entente aus Exiltschechen, Kriegsgefangenen und Überläufern aus der kakanischen Armee zusammengestellt hatten, die nicht mehr für das Habsburgerreich, sondern für die Unabhängigkeit und Freiheit der Tschechoslowakei kämpfen wollten (frühere Beiträge u.a. hierhierhier und hier). Die in Russland operierenden Einheiten kämpften noch gegen die kommunistischen Bolschewiki als der tschechoslowakische Staat bereits gegründet worden war (1918). Die letzten Legionäre kehrten erst Ende 1920 zurück. Gerne häte ich gewusst, was für eine Geschichte hinter Karel Smutnýs Grab steht, aber leider ließ sich das nicht herausbekommen. Aber sein Grab hat ihn in der Tat verewigt. Und es wird der Rolle der Legion in der tschechischen Nationalmythologie voll gerecht.

Kurz: Das nach einer Erweiterung im Jahre 1897 nunmehr 7,58 Hektar (ursprünglich waren es 3,2 Hektar) umfassende Friedhofsareal von Malvazinky, das heute mit rund 13.400 Gräbern der viertgrößte unter den Prager Friedhöfen ist, hält viele Überraschungen bereit. Und die können sogar mehrere Besuche rechtfertigen. (DD)

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