Gedenkstein im Wald vor Komořany

Mitten im Walde, abseits des Weges an einem Abhang über dem Moldauufer bei Komořany (Prag 12) findet man diese Erinnerung an die Geschehnisse des Prager Aufstands im Mai 1945. An dieser Stelle ließ einer der Aufständischen, Jiří Dostál, sein Leben. Einer von vielen in dieser Umgebung. Kein Held, der an oberster Stelle in den Geschichtsbüchern steht, aber gerade deshalb vielleicht für alle die Menschen stehend, die sich hier dem Unrecht in den Weg stellten und dafür einen hohen Preis bezahlten.

Heute vor 79 Jahren, am 5. Mai 1945, brach der große Aufstand gegen die Nazibesetzer (über den wir bereits u.a.hierhierhier und hier berichteten) aus. Während die Rote Armee bereits auf die Stadt anrückte, griffen unter dem militärischen Kommando von General Karel Kutlvašr auf Initiative des Dachverbandes der bürgerlichen Widerstandsgruppen, dem Tschechischen Nationalrat (Česká národní rada), tausende von Bürgern zu den Waffen. Ein Kalkül mag gewesen sein, dass man der Roten Armee und den Kommunisten zuvorkommen wollte, um nach dem Sieg eine bessere politische Ausgangspositon zu haben.Das ist einer der Gründe, warum die Kommunisten nach 1948 versuchten, das Andenken an den Aufstand auszulöschen, und sogar Kutlvašr unter fadenscheinigen Vorwänden für Jahre ins Gefängnis steckten.

Zu Beginn des Aufstandes wurden im Rundfunk Aufrufe verkündet und überall in der Stadt wurden Barrikaden errichtet und deutsche Armeeeinrichtungen angegriffen. Und das auf dem östlichen Moldauufer ganz im Süden gelegene Komořany wurde einer der Hauptschauplätze der Kriegshandlungen. Das kleine Schloss Komořany (zámek Komořany) war eine der vielen Kommandozentralen der Aufständischen. Den Aufständischen gelang es schnell, die im benachbarten Modřany stationierten Truppen zu überwältigen. Die 920 Soldaten ergaben sich mehr oder weniger kampflos. Aber im nahegelegenen Zbraslav auf dem gegenüberliegenden Ufer waren noch über 4000 Mann der SS-Kampfgruppe Wallenstein stationiert – mit Jagdpanzern und Artillerie bewaffnet. 500 weiter SS-Truppen rückten aus Dolní Břežany an. In Komořany, dem natürlichen Anmarschgebiet, wurden Barrikaden errichtet. Am nächsten Tag, dem 6. Mai 1945, begannen in den Wälder südlich die Kampfhandlungen. Dabei fiel an dieser Stelle auch Jiří Dostál. Über ihn wissen wir wenig.

In den Jahren 2018 bis 2020 restaurierte ein lokaler Geschichtsverein, die 2013 gegründete Deutschmeister Infanterie z. s. auf Eigeninitiative die Gedenksteine. Wem der deutsche Name seltsam vorkommt: Es handelt sich um einen Verein, der sich eigentlich auf Reenactments in authentischen Uniformen spezialisiert hat, d.h. Nachstellungen authentischer Schlachten und Truppen. Die Deutschmeister Infanterie war ein örtliches Regiment, das in der Zeit von Königin Maria Theresia gegründet worden war, und nach dem man sich nun aus ortshistorischen Gründen nannte. Der Verein kümmerte sich nun um die teilweise unter den Kommunisten (die den Prager Aufstand gerne verheimlichten) arg verwitterten oder zerstörten Gedenksteine. Die Steine waren unmittelbar nach dem Krieg aufgestellt worden, aber 1975 ließen die Kommunisten viele von ihnen in ein Depot abtransportieren. Der Verein nahm sich nun den immer noch vielen verbliebenen Steinen im blutgetränkten Wald bei Komořany an. Es ging um deren Restaurierung. Deshalb beließ man im Falle von Jiří Dostál auf dem Stein auch das falsche Geburtsdatum, den 5.8.1921. Wir wissen heute, dass es in Wirklichkeit der 5.7.1921 war.

Dostál kam wohl ursprünglich aus dem 80 Kilometer östlich von Prag gelegenen Ort Vysoké Mýto. In seiner Jugend war er Mitglied von Junák, einer großen Pfadfinderorganisation. Die Pfadfinder (in Tschechisch Skaut genannt, eine tschechische Verballhornung des englischen Scout) sahen sich selbst auch als überparteiliche Organisation, die der Republik und ihren Idealen diente. Folglich standen sie im Nazi-Reichsprotektorat von Anfang an unter Generalverdacht und wurden 1940 auf Anordnung von Karl Hermann Frank als besatzungsfeindliche Organsiation verboten. Viele Mitglieder wechselten in den Untergrund. Als der Prager Aufstand ausbrach formierte sich Junák spontan neu. Überdurchschnittlich viele Junák-Mitgleider oder frühere Junák-Mitglieder meldeten sich freiwillig bei den Truppen der Aufständischen. So auch Dostál, der einige Zeit zuvor in Modřany eine technische Ausbildung abgeschlossen hatte. Schon am zweiten Tag des Aufstandes fand er den Tod. Er war wohl versetzt worden und war von Točná, wo sich ein kleiner Flugplatz befand, über den wir bereits hier berichteten, nach Komořany gekommen. Dort, wo heute im Wald der Gedenkstein für ihn steht, wurde ihm der Schädel zerschmettert.

Es nutzte ihm daher nichts mehr, dass die Aufständischen an diesem Tag substanzielle Versärkung bekamen. Die sogenannte Wlassow Armee bestand eigentlich aus ehemaligen Sowjetsoldaten, die ab 1944 unter dem Kommando von General Andrei Andrejewitsch Wlassow auf Hitlers Seite gegen Stalins Sowjetunion kämpften. Nun besannen sie sich vor Ort in Prag eines anderen. Weder Hitler noch Stalin. Auf Schloss Komořany verhandelten sie mit den Aufständischen, um mit ihnen die Nazis zu bekämpfen, ein Angebot, das – trotz des eher schlechten Leumunds der Wlassowtruppen – nicht abgelehnt wurde. Der massive Ansturm der SS wurde so verlangsamt. Es gelang der SS zwar nach der Eroberung von Schloss Komořany fast bis zum Zentrum von Modřany vorzudringen, wo sie am 7. Mai zunächst einmal von den Wlassow-Soldaten zurückgedrängt wurde, konnte aber am Tag darauf wiederum die Wlassow-Soldaten in Bedrängnis bringen, die sich darob zurückzogen. Am 8. Mai hatte eigentlich die Wehrmacht vor General Kutlvašr und den Aufständischen kapituliert. Heute wird daher der 8. Mai als Tag des Sieges (Den vítězství) gefeiert. In der Zeit des Kommunismus ging das nicht und man feierte am 9. Mai, dem Tag als die Rote Armee einzog. Wirklich zu Ende war es mit den Kämpfen aber sowieso noch nicht.Am 9. Mai zog man sich aus Modřany zurück und am 10. Mai fielen bei der Rückeroberung von Komořany durch die Aufständischen (diesmal schon von der Roten Armee unterstützt) die letzten Schüsse des Weltkriegs auf Prager Boden.

Die letzten Schüsse in der Tschechoslowakei selbst fielen erst am 12. Mai bei der Schlacht von Slivice in Mittelböhmen. Der Grund, warum deutsche Truppen auch nach der Kapitulation noch weiterkämpften, war die vergebliche Hoffnung, zu den amerikanischen Truppen durchzustoßen, die schon am 6. Mai Pilsen befreit hatten. Man wollte nicht der Roten Armee in die Hände fallen. Das Waldstück vor Komořany ist voller Gedenksteine wie dem von Jiří Dostál. Oft blieben sie namenlos und nur von wenigen Gefallenen kann man überhaupt so viel über ihr Leben und ihren Tod herausbekommen wie bei Dostál. Der Wald ist ein Ort zum Nachdenken über das, was hier einst geschah, und was sich nie mehr wiederholen darf. Und die Stadtregierung von Prag 12 tut viel, um die Erinnerung wach zu halten. Im Jahr 2020, dem 75. Jahrestag des Kriegsendes, eröffnete man den sogenannten Freiheitsweg 1938-1945 (Stezka svobody 1938-1945), auf dem man über 10,5 Kilometer die Schauplätze von damals erwandern kann. Ausführliche Informationstafeln finden sich am Wegesrand. Der Weg führ durch eine angenehme und sanfte Hügellandschaft. Erinnerten einen die Tafel nicht an die damaligen Geschehnisse, könnte man sich kaum vorstellen, dass hier soviele Menschen wie Jiří Dostál einst ihr Leben ließen. (DD)

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