Gelungener Kompromiss

Architekten mússen ab und an Kompromisse eingehen, wenn es der Kunde so will. Das, so ist zu vermuten, war bei dem Wohn- und Bürohaus Štefánikova 247/17 im Stadtteil Smíchov der Fall. Der Architekt Leo Lauermann musste wohl zwei durchaus gegenläufige Stilvorstellungen unter einen Hut bringen.

Lauermann war eigentlich einer der großen Vertreter des Funktionalismus in Prag. Er war an der Planung eines der radikalsten Projekte dieses Stils, dem riesigen Wohnkomplex im Stadtteil Bubeneč (Prag 7), den der Volksmund als Moloch (Molochov) bezeichnet, und über den wir schon hier berichtet haben, Man kann ja auch nicht sagen, dass der größte (mittlere) Teil der Fassade nicht den Kriterien des Funktionalismus gehorcht – gerade Linien, reine Zweckorientierung, keine Ornamentik, kein Rückgriff auf historisierende ästhetische Muster. Das war, als Lauermann das Haus in den Jahren 1935/36 erbaute, einer der großen Modetrends der Architekur, der gerade in Prag große Verbreitung fand.

Gleichzeitig gab es aber auch einen gegenteiligen Trend, der den historischen Rückgriff – wenngleich in simplifizierter Form – wieder in den Mittelpunkt stellte. Oft handelte es sich um einen nur noch auf puren Foren basierenden, aber auf jeden Fall sehr streng reduktioinistischen Neoklassizismus. So etwas wird heute häufig mit dem Monumentalklassizismus der Nazis oder dem stalinistischen Zuckerbäckerstil verbunden, die diese Ästhetik auf die Spitze trieben, aber tatsächlich handelte es sich um einen internationalen Stil, der in abgewandelter Form auch in den Vereinigten Staaten oder Westeuropa Mode war. So auch in der Ersten Tschechoslowakischen Republik.

Offensichtlich wollte der Auftraggeber, die örtliche Sparkasse (spořitelna) die vermutlich sehr avantgardistisch-funktionalistischen Ideen Lauermanns irgendwie abfedern, um mit einer eine „volkstümlicheren“ Bildersprache die elementaren Instinkte potentieller Kunden werbewirksam anszusprechen. Folglich sind Erd- bzw. Eingangsgeschoss und der Fries ganz oben unter dem Dach definitiv recht unfunktionalistsich. Allegorische Figuren (untern) und der Böhmische Löwe als Wappen sprechen eine klare historisierende Sprache. Dazu hat der Architekt in sehr geschickter Weise einen klassizistischen Stil angedeutet, ohne ihn stilwidrig (gegenüber dem Fumktionalismus) zu imitierend. Keine Säulen, sondern nnur im klassizistischen Rhytmus vage angedeutete Kapitelle. Insgesamt ist das Ganze trotz seiner Widersprüche ein recht gelungener Kompromiss (1937 musste Lauermann so etwas wieder tun, aber da hatte er ja schon Übung….). Dass man einen kleinen Vorhof durch Rückversetzung des Gebäudes schuf, erwies sich auch als gute ästhetische Lösung.

Umgesetzt wurde der Plan von der Firma des Architekten und Bauunternehmers František Troníček. Die Eröffnung der Sparkassenfiliale (mit Wohnungen darüber) erfolgte 1936 (die Jahreszahl steht oben im Fries neben dem böhmischen Wappen). In den letzten Kriegsmonaten wurde das Gebäude beschädigt, aber im Juli 1946 begann man mit einer umfassenden Instandsetzung, die aber keine radikalen Änderungen mit sich brachte. Die kamen erst als 2001 nebenan das riesige neue Einkaufszentrum Nový Smíchov gebaut wurde. Das wollte man anscheinend auch von der Štefánikova aus zugänglich machen. Heute ist das pseudo-klassizistische Erdgeschoss mit der alten Aufschrift spořitelna kein Eingang mehr für eine große Sparkassenfiliale, sondern ein innen nicht mehr als Funktionalismus der 1930er erkennbarer Passagendurchgang. Äußerlich hat das Gebäude aber seine interssante und widersprüchliche Ästhetik bewahrt. (DD)

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