Haus mit Sowjetdenkmal

Dass in Prag eine Denkmalstafel die Rote Armee feiert, kommt definitiv eher selten vor. Im Gegenteil: Nicht nur der im Jahre 2020 erfolgte Abriss des Denkmals für Marschall Iwan Stepanowitsch Konew, der im Mai 1945 die sowjetischen Truppen nach schweren Kämpfen nach Prag hinein führte, zeigt, dass die meisten Tschechen heute die Rote Armee nicht primär als Befreier vom Nazijoch sehen. Auch sind die durch die Stadt rollenden Sowjetpanzer, die 1968 den Prager Frühling niederschlugen nicht vergessen.

Um so erstaunlicher ist der Anblick der erstaunlich großen Bronzetafel an der Ecke des Hauses am Smetanovo nábřeží 329/18 (Smetana Ufer), dessen von Fahne, Blumen und rotem Stern umschmückter Text übersetzt lautet: „Mit der Sowjetunion in alle Ewigkeit! In diesem Haus befand sich von Mai bis November 1945 das Hauptquartier der sowjetischen Armee, der Befreierin des tschechoslowakischen Volkes.“ Zur Sicherheit ist der Text nicht nur in tschechischer, sondern auch in russischer Sprache hier eingegossen. Starker Tobak, in der Tat! Aber vielleicht auch lehrreich, weil man sonst ein falsches Bild der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte der Tschechoslowakei verinnerlichen könnte. Anders als etwa in Polen, wo die Rote Armee ein kommunistisches Regime mit direkter Gewalt (etwa durch die brutale Zerschlagung der Heimatarmee) etablierte, kamen die Kommunisten in der Tschechoslowakei 1948 durch ihre relative Stärke bei Wahlen (immerhin 31,05% bei den Wahlen von 1946) und durch strategische Fehler und naives Agieren der bürgerlichen Parteien friedlich und ohne formale Außerkraftsetzung der Demokratie an die Macht. Denn die Rote Armee, die ihnen mit Gewalt hätte helfen können, war in der Tat am 15. November 1945 abgezogen. Zur gleichen Zeit zogen auch die US-Truppen aus dem von ihnen besetzten westlichen Teil des Landes ab.

Nun ist es natürlich nicht so, als ob die Sowjetunion den Systemwechsel in ihr Lager nicht auf andere Weise betrieben hätte. Im Hauptquartier der Roten Armee am Smetana Ufer und in der neu besetzten Botschaft wurden die Kommunisten gefördert und gehätschelt. Das Hauptquartier diente auch dazu, Agenten für den NKWD (dem damaligen Staatssicherheitsdienst der UdSSR) werben, die die politischen Institutionen der Tschechoslowakei infiltrierten. Zudem herrschte ein gewissen Misstrauen gegenüber den westlichen Staaten, die ja 1938 durch das aufgezwungene Münchner Abkommen es möglich gemacht hatten, das Hitler große Teile des Landes zugesprochen bekam. Die Sowjetunion hatte dies als einziges wichtiges Land von Anfang verurteilt. Sie bekam deswegen einen ungerechtfertiten Vertrauensvorschuss, der unmittelbar nach 1945 zu engen politischen und ökonomischen Verflechtungen zwischen beiden Ländern führte. Große Teile auch der bürgerlichen Parteien wurden davon auch mental beeinflusst und begannen mit einer sozialistischen Transformation des Landes (m. etlichen Verstaatlichungen). Bei der Machtübernahme der Kommunisten war die Sowjetunion daher sicher ein wichtiger und aktiver Hintergrundfaktor. Aber im Kern dürfte die Politik nach dem Abzug der Roten Armee im November eigentlich sehr wohl in der Lage gewesen sein, das Debakel abzuwenden.

Zu alledem passt auch, dass die Gedenktafel für die Tätigkeit des Hauptquartiers wahrscheinlich noch vor 1948 an der Hauswand angebracht wurde. Rückblickend würde heute wohl niemand mehr behaupten, die Rote Armee sei die „Befreierin“ des Landes gewesen. Womit wir schon bei dem Haus sind, das auch unabhängig von der Tatsache, dass es 1945 kurz als sowjetisches Armeehauptquartier diente, eine interessante Geschichte aufzuweisen hat. Erbaut wurde es nach Plänen des Architekten Konstantin Mráček in den Jahren 1893 bis 1897. In dieser Zeit war der Historismus in Prag groß Mode und auch dieses Gebäude ist eindeutig historisch. Aber in einem eher ungewöhnlichen Stil. Die meisten historistischen Gebäude der Zeit imitierten die böhmische oder die italienische Renaissance (die durch den Bau des Nationaltheaters 1881 so etwas wie ein tschechischer Nationalstil wurde und bis heute große Teile des Prager Stadtbild prägt). Mráček wählte jedoch die in Mitteleuropa nur selten als künstlerisches Vorbild gewählte Mráček mit ihren durch helle Sichtelemente gegleiderten Ziegelbauweise. Genauer: Es lehnte sich an das am Stadtrand von Brüssel in den Jahren 1867 bis 1889 erbaute von dem Architekten Charle-Albert (eigentlich Albert Charle) entworfene Château Charle-Albert, das wegen seiner burgartigen Gestalt Mráček wohl tief beeindruckt hatte.

Durch seine Höhe und seine ungewöhnlich pittoreske Form und durch seine Lage direkt an der damals recht neuen Uferpromenade der Moldau ist das vierstöckige mit unzähligen Erkern versehene Haus schon recht auffällig im Vergleich zu den anderen historistischen Häusern der Umgebung. Schon bevor die Rote Armee das Haus übernahm, lockte es prominente Bewohner an. So etwa der große expressionistische Maler Oskar Kokoschka, der hier von 1934 bis 1938 wohnte und auch ein Atelier hatte. Er hatte als „entarterter“ Künstler vor Hitlers Terror aus Deutschland fliehen müssen und fand hier in der recht liberalen Tschechoslowakei seine Exilheimat. Als die Nazis auch hier einfielen, floh er weiter nach England. Als er aus dem Haus auszog, zog Jiří Trnka hier ein. Der war Maler, Drehbuchautor und der große Pionier des Puppentrickfilms schlechthin und weltweit. Hier eine Kostprobe. Ganz offensichtlich zog das Haus Künstler an.

Ulkigerweise wurden weder Kokoschka, noch Trnka außen durch eine Plakette oder Tafel geehrt, sondern der wesentlich weniger bekannte (aber deswegen natürlich nicht unbedeutende) Bildhauer und Medailleur Josef Šejnost. Der wohnte von 1905 bis 1941 (seinem Todesjahr) in dem Haus. Neben dem Eingang zur Uferseite befindet sich eine runde Gedenkplakette aus Bronze mit einen Seitenportrait des Künstlers. Darunter teilt eine Marmorplatte mit Goldlettern mit, dass hier seinerzeit Šejnost gelebt und gewirkt hat. Durch Šejnost wurde vor allem die Gestaltung von Münzen zu einer anerkannten und populären gehobenen Kunstform, wozu nicht zuletzt seine Kreation des Jubiläusdukaten für den Heiligen Wenzel (Jubilejní svatováclavský dukát) im Jahre 1923 beitrug. Kurz: Man kann mit dem Haus vielfach schönere historische Erinnerungen verbinden als die, dass es das Hauptquartier der Roten Armee in Prag war.

Und weiterer Beitrag zur Reputation als Künstlerhaus war – zumindest für diejenigen, die zurecht die Kulinarik als hohe Kunst sehen – der renommierte Feinschmeckertempel Restaurant Bellevue, der

seit der Zeit nach dem Kommunismus dem Haus mondänen Glanz verlieh. Dass ist allerdings 2020 ganz in die Nachbarschaft (Karoliny Svetle 208/34) umgezogen. Die Wohnungen werden zur Zeit renoviert und in einem Teil des Gebäudes soll ein Luxushotel entstehen – mit bestem Blick auf Moldau und Altstadt. Nach Künstlerdomizil, Armeequartier und Gourmet-Mekka stehen wir somit am Anfang einer neuen Metamorphose des Hauses, das wohl in jeder Hinsicht ungewöhnlich ist. (DD)

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