Herausragende Neorenaissance

Zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde Prag in großem Stil mit modernen Mietshäusern überzogen, deren Fassaden ein wenig die eigentliche Modernität (Stahlgerüstbauweise) kaschierten. Folglich kann man in der Stadt unzählige historistische Großgebäude bewundern.

Aus dieser Menge handwerklich solider, aber am Ende nicht herausragender Häuser sticht allerdings dieses fünfstöckige Eckmietshaus in der Vítězná 126/1, Ecke Janáčekufer (Janáčkovo nábř.) auf der Kleinseite als Besonderheit heraus. Man sieht sofort, dass hier bei der künstlerischen Gestaltung besondere Sorgfalt und besonderes Können walten. Und richtig: Sowohl die Architektur als auch die Skulpturen sind Werke herausragender Künstler. Da ist zunächst einmal der Architekt, nach dessen Plänen das Haus in den Jahren 1876/77 erbaut wurde: Josef Schulz, der zu den großen Meistern der Historismus in Prag gehörte und dort bedeutende Bauwerke hinterlassen hat, wie etwa das Nationalmuseum (wir berichteten hier) oder das Kunstgewerbemuseum (früherer Beitrag hier).

Den Namen verbindet man Schulz mit der Neorenaissance-Variante des Historismus. Die passte am Ende auch hier gut, weil es im Einklang mit dem Baustil und der skulpturalen Ausstattung der direkt nebenan befindlichen prachtvollen Brücke der Legionen (Most Legíi) steht, über die wir bereits hier berichteten. Aber vielleicht war das auch Zufall, denn damals war Neorenaissance einfach für rund zwei Jahrzehnte der absolut dominierende Modetrend in der Prager Architektur. Umso mehr muss man Schulz bewundern, dass er hier ein Gebäude erschaffen hat, das herausragt. Die große Fassade wird sehr lebhaft und abwechslungsreich von Erkern, Balkonen und Loggien aufgelockert.

Für die Durchführung der Bauarbeiten dieses durchaus komplexen Baus wurde übrigens die Baufirma von Jindřich Jechenthal angeheuert, der bei der Modernisierung dieses Teils der Kleinseite (durch die leider Teile der mittelalterlichen Stadtmauer verschwanden) eine wichtige Rolle als Financier und Bauherr spielte, und der öfters mit Schulz zuammenarbeitete. Aber natürlich sind die beiden großen Statuen neben dem Haupteingang der eigentliche Hingucker – wir sehen sie im großen Bild oben. Sie sind tatsächlich das Werk eines der großen Bildhauer Böhmens der Zeit, Josef Václav Myslbek, der hierzulande fast den Status eines Nationalbildhauers hat. Die meisten Pragbesucher kennen ihn als den Schöpfer der großen Reiterstatue des Heiligen Wenzel (früherer Beitrag hier) auf dem Wenzelsplatz. Die beiden Atlanten mit kleinen Delphinen zu Füßen sind als gelungene Frühwerke des Künstlers zu betrachten.

Eingeweiht wurde das Haus erst Anfang 1878, was man an einer Inschrift unterhalb eines Balkons an der Uferseite (Bild oberhalb link) erkennen kann (Léta Páně MDCCCLXXVIII; zu Deutsch: Im Jahres des Herrn 1878). Innen wurde das Haus ab und an zur Anpassung an veränderte Wohnstandards und zur Modernisierung markant umgestaltet, so etwa 1915 und 1926 durch den bekannte Bauunternehmer Matěj Blecha (siehe u.a. frühere Beiträge hier und hier). In den Zeiten des Kommunismus litt es an der damals üblichen Vernachlässigung und wurde deshalb im Jahr 1995 nach einem Projektplan der Architekten Miroslav und Orlin Illinčev renoviert und rekonstruiert. Das Resultat kann sich sehen lassen. Ein so schönes Haus mit so schöner Uferlage verdient schließlich auch sorgfältige Pflege. (DD)

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