- Hans Weber
- April 24, 2025
Hier gab es Karl May auf Tschechisch
Ein kleines Meisterstück in Sachen Industriearchitektur mitten in der Neustadt. Genauer: In der Opatovická 160/18, wo man das alte Gebäude von Verlag und Druckerei Josef R. Vilímek (Nakladatelství a tiskárna Josef R. Vilímek) bewundern kann. Hier wurde einst den Tschechen Karl May nahe gebracht.

Die Geschichte begann mit Josef Richard Vilímek, seit 1852 Herausgeber der populären Humoristické Listy (Humoristische Blätter), der 1872 in der Neustadt einen eigenen Verlag gründete. Das Geschäft lief gut. Bald konnte noch eine Buchhandlung eröffnet werden. Aber der richtige unternehmerische Geist kam in die Sache, als Vilímek 1886 das Geschäft an seinen Sohn Josef Richard Vilímek jr. übergab. Der hatte den Riecher, sich rechtzeitig um tschechische Übersetzungen von ausländischen Super-Bestsellern zu bemühen, die er in sorgfältig illustrierten Ausgaben (er beschäftigte bedeutende Künstler wie Zdeněk Burian) herausgab. Der Riesenhit waren dabei die Werke von Karl May (der heute wahrscheinlich bei den Tschechen noch beliebter ist als in Deutschland). Es begann mit Der Sohn eines Bärenjägers, der ab 1890 in zwölf Folgen in Vilímeks Zeitschrift Naší mládeži (Unsere Jugend) veröffentlicht wurde. Ab 1892 kam auch Jules Verne ins Repertoire und bald darauf der Erfinder des Sherlock Holmes, Arthur Conan Doyle. Und viele mehr. Vilímeks Verlag gehörte bald zu den Großen im Lande.

1899 machte ein Brand im väterlichen Verlagsgebäude in der Spálená den Umzug in die nahe Ferdinandova třída (man blieb also in der Neustadt) nötig. Aber das reichte nicht. Es musste ein zusätzliches Gebäude als Hauptstandort her. Von 1928 bis 1930 entstand dieses Gebäude hier in der Opatovická, entworfen von dem Architekten Jan Chládek, der in den Jahren 1911 bis 1913 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei der Architektenkoryphäe Otto Wagner studiert hatte, von dem er einen gewissen Hang zu historisierender Architektur übernommen hatte. Die halbrunde Fassade des Gebäudes mit den modernen, aber klassizistisch angeordneten Pilastern und den geometrischen Ornamenten ist jedenfalls eine beindruckende Kombination von Tradititon und Moderne. Sie unterstreicht sowohl den kulturellen als auch den industriellen Auftrag, den das Gebäude erfüllen sollte . Den Bau führte die Baufirma Bohumil Belada aus.

Und es lohnt sich ein Ausflug in die nahe Spálená 89/15. Dort war das alte Neorenaissance-Gebäude, das der Vater als Verlagshaus genutzt hatte, und das nach dem Brand wieder hergerichtet wurde. Über einen Hinterhof (der über einen kleinen, sehr versteckten Durchgang erreichbar ist) gelangt man weiter zum Innenhof des neuen Gebäudes in der Opatovická 160/18, das dadurch mit dem alten Gebäude verbunden wurde. Der Hof ist etwas heruntergekommen und ein paar Eimer Farbe täten gut. Er ist aber eigentlich sehr prachtvoll und repräsentativ angelegt.

Während die äußere Front zur Opatovická hin trotz aller klassizistischen Referenzen den industrie-architektonischen Charakter des Bauwerks betont, liebte Architekt Chládek hier anscheinend das historistisch Verspielte. Man kann sich vorstellen, dass sich Vilímek jr. hier so etwas wie eine Ruheoase gegönnt hat. Jedenfalls erinnert das Ganze ein wenig an einen Renaissance-Palais. Die große Terrasse, die Erker, die Arkaden mit den freistehenden Säulen darüber und die kleine Grünfläche in der Mitte (die heute leider arg verwahrlost aussieht) müssen schon recht spektakulär ausgesehen haben, als sie zu Vilímeks Zeiten noch frisch waren. In solch einem Hinterhof eines „profanen“ wirtschaftlichen Nutzgebäudes hätte man so einen Schatz nicht erwartet.

1933 (fünf Jahre vor dem Tod von Vilímek jr.) wurde die Firma in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, geleitet von seinem Schwiegersohn Jan Sainer. Der Verlag erwarb sich fortan eine zusätzliche Reputation für gehobene Kunstbuchausgaben. Alles das hörte 1949 auf. Die Kommunisten waren an der Macht. Druckerei und Verlag wurden liquidiert und verstaatlicht. Er wurde in die staatliche Buchproduktion eingegliedert. Nach dem Ende des roten Spuks wurde das Gebäude durch direkten Verkauf an eine Firma privatisiert, die dann prompt unter dem Namen Vilímek agierte, was zu heftigen Rechtsstreitereien mit Vilímeks Nachfahren führte, bis 1994 das Haus wieder verkauft wurde.

Seither haben sich in dem recht großen Gebäude zahlreiche Firmen und Institutionen eingemietet. Darunter ist sogar wieder eine Druckerei (wie zu Vilímeks Zeiten) und zur Abwechslung eine kleine Moschee. Ja, und wenig außer der Architektur selbst erinnert noch an das Stück bedeutender Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, dass hier dereinst seinen Platz hatte. Denn leider sieht die Fassade heute schon ein wenig vernachlässigt und trübe aus. Sie könnte Anstrich und Renovierung gebrauchen. Nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man auf dem Fries über den hohen Erdgeschoss verbleichte Reste des Namenszuges der Firma sehen: Nakladatelství Jos. R. Vilímek. (DD)
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