Hus vor dem Geheimdienstarchiv

Heute ist – wie an jedem 6. Juli – der Tag der Verbrennung des Jan Hus ( Den upálení mistra Jana Husa). Der ist in Tschechien ein Staatsfeiertag und es gibt arbeits- und schulfrei. Geregelt gemäß § 1 des Gesetzes Nr. 245/2000 Sb. Ulkigerweise ist das erst ab dem Jahr 2000 so, als das Gesetz verabschiedet wurde. Allerdings besteht kein Zweifel daran, das der große Frühreformator Jan Hus schon lange vorher so etwas wie eine nationale Heldengestalt war – wie dieses imposante Hus-Denkmal am am Branické náměstí (Braník Platz) im Stadtteil Braník (Prag 4) eindrücklich bestätigt.

Für manch patriotischen Tschechen ist nicht Martin Luther, sondern Hus der eigentliche Erfinder der Reformation. 1400 in Prag zum Priester geweiht, hatte er früh die Missstände der damaligen Kirche benannt, als das waren: Verweltlichung, Machstreben, Anhäufung von Reichtum statt Armutsgelübde, Ablasshandel. Theologische Dispute löste er über die Frage des Laienkelchs aus, die eng mit dem Ideal der christlichen Urgemeinde zusammenhing.Zudem predigte in Tschechisch für das Volk und nicht im elitären Latein. Je mehr Anhänger Hus‘ Ideen in Böhmen fanden, desto mehr sah die Kirche ihn als einen gefährlichen Ketzer. Er wurde 1415 zum Konzil von Konstanz eingeladen, um sich zu rechtfertigen. Dabei sicherte ihm Kaiser Sigismund freies Geleit und Schutz zu. Kaum war Hus in Konstanz angekommen, brach der Kaiser das Versprechen und Hus wurde kurzerhand als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Für die Tschechen wurde er zum Symbol der Glaubensfreiheit und der tschechischen Nationakultur – und ein Beispiel für die Perfidie deutscher Fremdherrscher.

Das Sandsteindenkmal für Jan Hus hier am Branické náměstí wurde in den Jahren 1903-1905 von dem Bildhauer Jindřich Říha erschaffen.(den erwähnten wir bereits hier), der eine gewisse Vorliebe für nationale Themen hatte – zu denen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem erstarkenden Zeitalter des tscohechischen Nationalismus, geradezu zwingend die Gestalt des Jan Hus gehörte. Říha hat Hus weit sichtbar auf einen hohen, klassisch gestalteten kubischen Sockel gestellt. Die eine Hand in Predigtpose in die Höhe haltend, die andere an sein Herz drückend, strahlt Hus hier eine mediative und offenkundig Trost im Glauben suchende Aura aus. Auf einem kleinen Sockel unterhalb davor müsste man das vor einer aufgeklappten Bibel stehende (Hus wollte, dass sich die Kirche an das geschriebene Wort hielt) allgenwärtige hussitische Symbol der (Laien-) Kelches sehen. Das gab es da auch, aber es ist wohl kürzlich abhanden gekommen. So sieht man hier zur Zeit nur die Bibel (Bild oberhalb rechts).

An beiden Seiten des Sockels befinden sich zwei sitzende Statuen mit hoher und unübersehbarer Symbolkraft. Rechts ruht sich ein ritterlich gerüsteter Krieger aus, der daran erinnert, dass die Hussiten nach dem Tod Hus‘ sich in einem bis 1434 andauernden Krieg gegen Sigismund behaupten mussten. Sie erwiesen sich dabei als militärisch außerordentlich geschickt, so dass an dessen Ende dann ein Triumph für die Konfessionsfreiheit stand – bis zum Dreissigjährigen Krieg, als dessen Resultat die Habsburger das zuvor (nicht zuletzt aufgrund der hussitischen „Vorarbeiten“) deutlich mehrheitliche Land recht brutal zwangskatholisierten. Der Kämpfer sieht hier recht nachdenklich und nicht brutal kriegerisch aus. Er scheint ernsthaft in die Glaubenslehre Hus’s vertieft zu sein. Links sieht man hingegen eine junge Frau in Bauerntracht, mit der der Künstler wohl ausdrücken wollte, dass das Hussitentum eine Religion für das einfache Volk und nicht nur die mächtigen Kirchenbonzen war. Schließlich hatten sie dereinst im südböhmischen Tábor eine Art Mustergemeinschaft gegründet, die für damalige Verhältnisse ausgesprochen demokratisch war. Auch hatten Frauen eine höhere Stellung in vielen hussitischen Gemeinschaften, obwohl Ganze noch weit entfernt von voller Gleichberechtigung war.

Der Bildhauer Říha hatte bereits 1900 ein recht ähnliches Denkmal für Hus in Lomnice nad Popelkou entworfen, bei dem Hus allerdings nicht von einem Ritter und einer Bauernmagd flankiert ist, sondern von zwei antikisiert dargestellten Knaben mit recht loser Bekleidung in Form eines drapierten Lendenschurzes, was irgendwie nicht zu dem eher puritanisch angehauchten Hus passte. Die Bildsprache des Hus-Denkmals am Branické náměstí ist da schon etwas angemessener und ausgereifter. War ja auch der zweite Versuch. Das Denkmal wurde übrigens von einem lokalen Bürgerverein aus Spenden finanziert. Den Beschluss hatte man schon 1902 gefasst und schon im Jahr darauf hatte man genug Geld, um dem Künstler den Auftrag geben zu können. Seither mag sich allerlei rund um den Platz verändert haben, aber das Denkmal steht hier unverändert seit 1905 und kann sich dabei als eines der größeren und imposanteren unter den vielen Hus-Denkmälern der Stadt sehen lassen. Ab und an merkt man, dass Wind, Wetter, Erosion, Flechtenbewuchs und auch Vandalismus ihm zu schaffen machen. Dann wir restauriert, so wie zuletzt grundlegend im Jahr 2009.

Vor dem Denkmal für Hus befindet sich eine neuere Gedenkplatte für aus dem Ortsteil stammende Gefallene des Prager Aufstands gegen die Nazis im Mai 1945 (wir berichteten u.a. hierhier und hier). Ein angemessener Ort für das Gedenken. Das wird auch in dem stilistisch eher wenig dazu passenden großen Büroblock (Branické náměstí 777/2) gepflegt, vor dem das Denkmal heute steht, und das wohl in den 1970er Jahren errichtet wurde. Es handelt sich um ein rein funktionalistisches Gebäude im Stil des späten Realsozialismus. Denn drinnen befindet sich jedoch heute das das 2008 gegründete Archiv bezpečnostních složek (Archiv der Sicherheitsdienste). Dort sind die Schandtaten der kommunistischen Geheimdienste bis 1989 aufbewahrt und stehen Historikern zur Verfügung oder auch Bürgern, die sich über das informieren wollen, was man ihnen einst angetan hat. Das Hus-Denkmal, die Tafel für die Aufständischen und das Archiv sind schon fast so etwas wie ein Ensemble des Leidens der Tschechen in ihrer Geschichte. Ein Grund mehr, dem Denkmal heute einen Besuch abzustatten. (DD)

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