Idylisches Dorf und Filmkulisse

Die Umgebung von Prag ist reich an kleinen Dörfern mit idyllisch anmutendem Dorfkern. Das gilt auch für die ansonsten landschaftlich etwas eintönige Moldauebene im Kreisgebiet von Mělník, kurz bevor der Anstieg zum Erzgebirge (tsch.: Krušné hory) beginnt. Hier findet man etwa 25 Kilometer nördlich von Prag das kleine Örtchen Vrbno, dessen Kern seit 2004 zurecht eine geschützte Denkmalzone (památková zóna) ist, die sogar immer wieder einmal als Filmkulisse dient.

Die Ursprünge reichen tiefer in die Vorgeschichte zurück, als man es hier auf den ersten Blick sehen kann. Es lohnt sich, den kleinen historischen Lehrpfad um den Ort zu erwandern. Da lernt man, dass ganz in der unmittelbaren Umgebung Archäologen in den letzten Jahren reichliche Funde aus der Steinzeit (rund 5000 v. Chr.) und aus der Bronzezeit (rund 2000 v. Chr.) ausgegraben haben. Der Ort als feste dörfliche Siedlung dürfte im 11. Jahrhundert gegründet und seither kontinuierlich besiedelt worden sein, urkundlich erwähnt wird es aber erst im Jahre 1241. Die frühe Besiedlung mag viel damit zu tun haben, dass die die flache Flussauenlandschaft gut bewässert und auch recht fruchtbar ist. Aber die Nähe zum Fluss hat auch is heute ihre dunklen Schattenseiten, wie noch zu sehen sein wird.

Im Mittelalter gehörte das Dorf erst zur Herrschaft von Mělník, dann einer örtlichen Adelsfamilie namens Mléčkové z Vrbna. Schon im Jahr 1257 (hier, S.11f) ist dokumentiert, dass die Kirche (und damit wohl das ganze Dorf) dem soeben von der großen böhmischen Heiligen Agnes von Böhmen gegründeten Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern (Rytířský řád křižovníků s červenou hvězdou). Womit wir beim eigentlichen Kern des Kerns des Dorfes sind, der Kirche der Kreuzerhöhung (Kostel Povýšení sv. Kříže).

Deren Ursprünge gehen mindestens bis in das 12. Jahrhundert zurück. Bevor die Kirche in den Besitz der Kreuzherren überging, gehörte sie wohl einer Krankenhausbrunderschaft. Es handelte sich um einen einfachen rechteckigen Bau ohne Glockenturm im Stil der Romanik. Der ist im Kern und in seinen Dimensionen auch immer noch erkennbar. Die einfache und robuste Konstruktion weist darauf hin, das die Kirche auch als Wehrkirche konzipiert war. Bei Renovierungsarbeiten nach dem Hochwasser von 2002 fand man übrigens auch Reste eines romanischen Portals, das in gotischer Zeit übermauert worden war. Heute kann man den von den Restauratoren sorgfältig freigelegten Torbogen außen vom Kirchhof aus bewundern – direkt neben einer groß dimensionierten Grabstatue in Engelsform aus dem späten 19. Jahrhundert.

Ebenfalls bei den Renovierungen fand man eine mittelalterliche Wandmalerei der Kreuzerhöhung – und zwar im Chor, der im 14. Jahrhundert, also in Zeiten der Hochgotik, an die Kirche angebaut wurde. Immer wieder gab es auch danach kleinere Umbauten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde erst der spätgotische Glockenturm hinzugefügt.

Und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unternahm man schließlich eine behutsame Barockisierung, wie das bei Kirchen in dieser Zeit ausgesprochen häufig getan wurde. Die barocke Neugestaltung veränderte bei näherer Betrachtung den optischen Grundcharakter der kleinen Dorfkirche schon recht beträchtlich, ohne dass die romanisch/gotische Struktur verschwand. Von außen kann man das am deutlichsten bei dem kleinen Vorbau für den heutigen Haupteingang sehen (kleines Bild links), der sich durch einen sehr klassisch anmutenden Giebel auszeichnet.

Insgesamt repräsentierte die Barockzeit mit ihrem bescheidenen, aber dennoch sichtbaren Prunk auch ein wenig den ökonomischen, kulturellen und sozialen Auschwung in dieser Zeit. So ist im Jahr 1764 für die Kinder des Dorfes erstmals eine richtiggehende Schule für die dokumentiert. Nicht nur die Kirche, sondern auch das Dorf als solches wurde immer mehr modernisiert.

Im Jahre 1790 baute man noch auf dem Gelände des Kirchhofs eine kleine Kapelle an, die lange Zeit als Leichenhalle diente. Sie war der Heiligen Barbara (sv. Barbora) gewidmet. Sie ist achteckig im Grundriss. Innen sieht sie – anscheindend als Folge von Hochwassern – arg beschädigt und ebenso arg heruntergekommen aus. Aber von außen verleiht sie mit ihrer ungewöhnlichen Form dem Dorf eine originelle architektonische Note.

Der kleine Kirchhof wurde übrigens im Jahre 1880 aufgelöst. Nur wenige Grabsteine blieben erhalten, darunter das oben erwähnte Engelsgrab der Familie Plačký, die – wenn man von der Größe des Grab Schlüsse ziehen will – wohl im Dorf eine wichtigere Rolle spielte.

Die lange Prägung durch Kreuzherren und Kirche hat das Dorf auch sonst ihren Stempel aufgedrückt. Schon an der im 18. Jahrhundert errichteten Friedhofsmauer findet man außen eine kleine barocke Nischenkapelle, die dem böhmischen Nationalheiligen Nepomuk (sv. Nepomucký) geweiht ist (Bild links im Vordergrund), der allerdings schon seit langem die Nepomuk-Darstellung zu fehlen scheint. Und am Ausgang des Kirchplatzes hin zur Hauptstraße findet sich die ähnlich dimensionierte Kapelle der Fünf Wunden Christi (Kaplička Nejsvětějších Pěti ran Kristových) aus dem Jahr 1705 (kleines Bild rechts). Leider auch sie ein wenig renovierungsbedürftig.

Und rund um den Kirchplatz stehen allerlei hübsche alte Gebäude. Dazu gehört das katholische Pfarrhaus (Haus 1, Bild links), das in dieser Form hier seit 1862 steht. Sehen kann man unter anderem noch die alte Schule von 1878 (Haus 60), die alte Gaststätte (Haus 27) und natürlich hauptsächlich viele größere Bauernhöfe mit ihren typischen Hoftorbögen, von denen das Haus Nr. 4 (rechts) zu den schönsten gehört.

Haus Nr 25, gegenüber der Kapelle der Fünf Wunden Christi, stammt aus dem späten 19. Jahrhundert und wurde danach immer wieder umgebaut. Das ist aber nicht das Besondere daran. Man muss nahe herankommen, um neben der Haustür ein kleines Metallschild zu sehen (Bild links). Es zeigt uns, wie hoch das Wasser beim großen Moldauhochwasser von 2002 stand, das verheerende Verwüstungen verursachte. Insgersamt wurde 30 Häuser in Vrbno so zerstört, dass sie abgerissen wurde. Einer der Schutzdämme, die das Dorf von einem nahe vorbeilaufenden Nebenkanal der Moldau trennt, hielt dem Wasserdruck nicht mehr stand, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Trotz der Reparaturarbeiten, die danach erfolgten, brach an einer anderen Stelle beim (geringfügig kleineren) Hochwasser von 2013 abermals ein Damm. Und wieder richtete das Wasser Zerstörungen an. Das ist der Grund, warum die Schönheit des Dorfes sich bisweilen immer noch mit dem Eindruck eines gewissen Verfalls vermischt. Spuren einer solch geballten und doppelten Verwüstung sind halt schwer zu tilgen.

Aber die Gewalt der Wassermassen dürfte den Bewohnern des Ortes in früheren Zeiten gewiss ebenfalls vertraut gewesen sein – möglicherweise noch gravierender, denn bis Ende des 19. Jahrunderts war der Fluss noch ungebändigt. Vermutlich sind solche Ereignisse damals sogar wesentlich häufiger auf der Tagesordnung gewesen. Man denke an das große Hochwasser von 1890, das weiter oberhalb in Prag sogar Teile der Karlsbrücke zerstörte. Das betraf auch Vrbno und Umgebung. Der Fluss lag dereinst sogar näher am Dorfe, wie ein heute toter Flussarm zeigt, der sich nur wenige Meter vom Dorfkern befindet. Der lädt wiederum zu einem (Hunde-) Spaziergang in einer idyllischen Auenlandschaft ein und hat seine einstige Gefährlichkeit wohl weitgehend eingebüßt. Und man kann nur hoffen, dass die repararierten Dämme zum Kanal beim nächsten Hochwasser halten werden.

Trotz der noch verbliebenen Spuren der letzten Hochwasser-Katastrophen ist und bleibt das Dorf ein kleines romantisches Idyll. Die hübschen Häuser des Dorfkerns und die kleinen verwunschenen Sträßchen haben deshalb schon seit längerem als Drehort das Interesse der Filmschaffenden geweckt. Etliche tschechische, aber auch internationale Fernseh- oder Kinofilme wurden hier in Vrbno gefilmt. Dazu gehören die Artistenserie Circus Humberto aus dem Jahr 1988, die historische Krimiserie Dobrodružstvá kriminalistiky (in Deutschland.: Täter unbekannt – Sternstunden der Kriminalistik), die in den Jahren 1989 bis 1993 lief, die tschechische Maigret-Verfilmung Maigretův první případ (dt.: Maigrets erster Fall) von 1991 oder die internationale Victor Hugo-Verfilmung von Les Misérables mit Liam Neeson aus dem Jahr 1998. Bleibt zu hoffen, dass der Filmruhm dafür sorgt, dass Vrbno seine schönen Glanz bald wieder neu aufpolieren kann. (DD)

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