In Stein gebautes Lob des Telefons

Das Telefon nimmt einen bedeutenden Platz in der Fortschrittsgeschichte der Menschheit ein. Einen interessanteren Ort, diesen Fortschritt zu feiern als die Telegraphen- und Telefonzentrale (Telegrafní a telefonní ústředna) in der Fibichova 1500/19-21 im Stadtteil Žižkov (Prag 3) kam man sich kaum ausdenken. Hübsch in Stein gemeißelt prangt das Telefon hier über dem Eingang.

Nun, ein modernes Smartphone ist das natürlich noch nicht. Aber man fing ja auch klein an. Als 1882 in der Altstadt die erste Telefonzentrale eingerichtet wurde, gab es insgesamt 11 Telefonanschlüsse in Prag. Im Jahr darauf waren es immerhin schon 187 Nutzer, die sich immerhin von den Telefonisten und Telefonistinnen satte 53.000 Verbindungen manuell herstellen ließen. Danach ging es mit der Telefoniererei so aufwärts, dass man 1889 größere Räume im riesigen Hauptpostamt in der Neustadt einrichten musste. Zwar wurden irgendwann nach dem Ersten Weltkrieg vom Nutzer selbst wählbare Telefonnummern erfunden, die ihnen erlaubten, selbständig Verbindungen herzustellen, aber das funktionierte nur bei lokalen Telefonaten. Bei Fern- und Auslandsgesprächen mussten noch Telefonistinnen und Telefonisten die Verbindung herstellen. Und auch die nahmen so zu, dass man Anfang der 1920er Jahre über eine große neue Lösung nachdenken musste.

Dafür gewann man den renommierten Architekten Bohumír Kozák, der zwischen 1921 und 1926 hier eine Telefonzentrale von gigantischen Ausmaßen erbauen ließ. Kozák ist Architekturkritikern als Meister des modernen Funktionalismus (ein Beispiel hier) der 1930er Jahre geläufig, aber zu dieser Zeit profilierte er sich noch als Vertreter des Rondokubismus, einer typisch tschechischen historisierenden Form des Kubismus. Eines seiner Beispiele dafür ist das Hus Haus (Husův dům) in der Neustadt , über das wir hier berichteten, und eben auch die Telefonzentrale in Žižkov. Die war sein bedeutsamstes Werk in diesem Stil, weshalb er sich auch auf der Fassade namentlich verewigen ließ (Bild rechts).

Das Gebäude ist geradezu monumental und war vor der Errichtung des nahgelegenen Fernsehturms (wir berichteten hier) das Wahrzeichen des Stadtteils schlechthin. Je 22 Fensterachsen misst die Fassade zur Fibichova und je 19 zur Kubelíkova und Křížkovského. Die beiden oktagonalen Ecktürme machen das Ganze noch beeindruckender und geben dem Gebäude eine burgenhafte Erscheinung. Drinnen gab es hier die modernste Technik der Zeit und es arbeiteten über 350 Leute hier, die Verbindungen durch das Stöpseln von Kabelanschlüssen herstellten. Im ersten Betriebsjahr wurden hier 6.606.205 Gesprächsminuten abgewickelt. Gleichzeitig befand sich hier noch ein großes Telegraphenamt. In den 1930er Jahren zog hier zudem das Forschungsinstitut des Postministeriums ein, das erste Experimente mit dem entstehenden Medium Fernsehen machte und 1936-38 erste Testsignale aussendete.

Darüber hinaus wurde auch die ästhetische Seite nicht vernachlässigt. Der bekannte Bildhauer Ladislav Jan Kofránek (wir erwähnten ihn u.a. hier und hier) steuerte die skulpturale Ausstattung der Fassade bei. Über den beiden Haupteingängen sind das zum Beispiel zwei überlebensgroße allegorische Statuen, eine männlich, eine weiblich. Sie haben einen thematischen Bezug zum Gebäudezweck. Über dem linken Eingang werden dargestellt (siehe Bild oberhalb links): Der Postdienst (Mann mit einem Postrohr und einem Falken zu Füßen) und die Allegorie Kurzschrift/Stenographie (Frau mit einem Bleistift und Notizbuch, wiederum mit Falken zu Füßen. Beim rechten Eingang (Bild oberhalb rechts) sieht man eine Allegorie auf den Wohlstand (Frau mit Früchten und Füllhorn) und auf das Telefon (Mann mit Taube und einem Strommast zu Füßen).

Auch an anderen Stellen auf der Fassade findet man Kunst mit Bezug auf Post- und Telefondienste im weitesten Sinne. So etwa dieses Terracotta-Relief von Telefon-Leitungsmasten (links). Man sollte sich die Zeit nehmen, die ganze Fassade nach solchen putzzigen Details abzususchen. In den 1970ern wurde die Stöpselei der Telefonisten selbst im technologisch etwas rückständigen Kommunismus zunehmend obsolet. Für das Mehr und Moderner plante man nun ein neues Gebäude und so eröffnete man (ebenfalls in Žižkov) 1980 das Zentrale Telekommunikationsgebäude (Ústřední telekomunikační budova), über das wir hier berichteten.

Die Telefonzentrale verschwand zuerst, dann das Telegraphenamt. Einige Verwaltungseinheiten der Posten blieben noch eine zeitlang. Auch sie zogen irgendwann aus. 2006 bis 2010 fand hier eine Tierklinik ihr Domizil, die das Gebäude innen recht unsanft behandelte. Wunderschöne Sgraffiti im Treppenhaus wurden zum Beispiel zerstört. Und ab 2010 stand das Gebäude leer und ungenutzt. Zu groß und unzeitgemäß schien es zu sein. Die städtische Prager Immobilienverwaltung (Pražská správa nemovitostí) startete 2016 einen öffentlichen Wettbewerb für Ideen zur sinnreichen Nutzung des kulturhistorisch bedeutenden, aber recht unpraktischen (außer für obsolete Telefondienste) Gebäudes. Alles mögliche vom Wohnkomplex über Büros oder gar einem Jazzklub kamen dabei zusammen. Aber nichts, was die Verwaltung zu einem überzeugenden Beschluss inspirierte. Immerhin hat man sich 2022 zu Renovierungsarbeiten (vor allem am rechten Turm) aufgerafft, um dieses architektonische Juwel, das ein in Stein gebautes Lob des Telefons ist, nicht dem Verfall durch Leerstand auszuliefern. (DD)

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