Japanophiler Böhme

Nein, wir befinden uns hier nicht in 日本, dem Land der Aufgehenden Sonne, sondern unweit des Ufers der Moldau. Genauer gesagt, in Roztoky u Prahy, einem etwas außerhalb Prags liegenden nördlichen Vorort der Hauptstadt Tschechiens. Das hier ist die Vila Malá Sakura – auf Deutsch: Villa Kleine Kirschblüte, oder, wie es der damalige Besitzer vielleicht am liebsten gehabt hätte: ヴィラ小さなさくら. Sie ist das Zeugnis der Japan-Begeisterung eines Ur-Böhmen namens Joe Hloucha, der in Wirklichkeit als Josef Hloucha geboren wurde.

Und zwar 1881 als Sohn eines Brauers. In die Fußstapfen des Vaters wollte er wohl nie treten. Stattdessen nahm er eine Arbeit im  Náprstek-Museum an, der großen ethnologischen Sammlung Prags (wir berichteten hier), wo er sich besonders im Selbststudium in die japanische Kultur und Sprache vertiefte. Damit bereitete er seine schriftstellerische Karriere vor, die 1905 mit dem Japan-Roman Sakura ve vichřici (Sakura im Sturm) begann. Zu diesem Zeitpunkt glich er Karl May, der auch nie die Länder besucht hatte, die er so lebhaft beschrieb. Dabei wollte er es aber nicht belassen. Schon 1906 machte er sich auf die Reise, um sein Traumland persönlich kennenzulernen. Hilfreich war dort, dass er nicht der einzige japanophile Böhme war, und er auf engagierte Landsleute traf, die ihm Tür und Tor öffneten, etwa der Geschäftsmann und Diplomat Karel Jan Hora, dessen japanische Frau exzellent Tschechisch sprach, oder der Architekt Jan Letzel (wir erwähnten ihn bereits hier), der 1915 die Industrieausstellungshalle in Hiroshima bauen sollte, die 1945 eines der wenigen Gebäude war, das durch den Atombombenabwurf nicht völlig zerstört wurde, und seither eine Gedenkstätte ist.

Das Hloucha in Japan heimlich eine Japanerin namens Tama geheiratet habe, wie der Klatsch später verbreitete, gehört wohl in den Bereich der romantischen Fiktion, genährt vielleicht durch seinen Gesellschaftsroman Tama-san von 1936. Tatsächlich war er von 1937 bis 1939 mit der Schauspielerin Bela Tringlerová verheiratet). Aber auch ohne japanische Braut profitierte er enorm von seiner Reise. Denn mit seinem neu erworbenen Wissenstand erwarb sich Hloucha den Ruf, nicht nur ein fiktionaler Schriftsteller (dessen 1926 veröffentlichte Pohádky japonských dětí – Japanische Kindermärchen – sich besonderer Popularität erfreuten), sondern auch anerkannter wissenschaftlicher Japanologe zu sein, der in renommierten Zeitschriften wie Český svět publizierte. Er wurde geradezu eine Autorität in Sachen japanischer Kultur. Und er legte eine private Sammlung japanischer Kunst und Antiquitäten an. Die kostete ein Vermögen und fortan war Geldmangel der ständige Begleiter Hlouchas. Zurück in Böhmen, ließ er sich das Erbe seines Vaters vorab auszahlen (so dass sein Bruder Karel die Brauerei alleine fortführen konnte).

Er ging fortan international auf Vortragsreisen und war als Berater (vor allem für Architekten, die gerade auf einer Japan-Modewelle schwammen) eifrig nachgefragt. 1924 beschloss er, für seine mittlerweile riesige Sammlung in der Tiché údolí 81 in Roztoky ein passendes Domizil zu erwerben. Von dem Architekten Antonín Landa ließ er sich ein älteres Haus aus dem Jahr 1855 mit dem Namen U Zlatohlávků (Zum Goldfinken) im japanischen Stil umbauen und nannte es fortan Malá Sakura. 1925 war es fertiggestellt, aber da befand er sich schon wieder auf einer Japanreise, die so teuer war, dass er das Haus 1926 wieder verkaufen musste. Als Käufer fand er allerdings einen Gleichgesinnten, nämlich den Unternehmer und Hotelier Josef Jiroušek, der daran ging, auch den Garten noch üppiger japanisch zu gestalten, u.a., indem er ein schon bald sehr florierendes Teehaus bauen ließ. Sein Architekt František Illich ließ sich dabei von Hloucha beraten – und auch für das nächste Projekt. Das Teehaus war so ein Erfolg, dass Jiroušek beschloss, auf dem Nachbargrundstück ein riesiges Hotel mit Namen Velká Sakura (Große Kirschblüte) im passenden japanischen Stil zu bauen, das 1928 fertiggestellt war.

Dieser Teil von Roztoky bestand nun aus einem großen japanischen Ensemble von Häusern und Gärten. Beim Publikum fand soviel Exotik großen Anklang. Das Glück währte nur bis zur Nazibesetzung im Reichsprotektorat. Die Nazis beschlagnahmten das Hotel für ihre Zwecke und zu Ende des Krieges diente es als Lazarett. Dabei ging schon einiges vom japanischen Charme zu Bruch. Unter den Kommunisten wurde es als Krankenhaus endgültig verwüstet. In den 1980er Jahren war es dann so oft lieblos umgebaut worden, dass außer am Giebel der Gauben kaum noch etwas Japanisches zu erkennen war. Man muss schon genau hinschauen, um zu sehen, dass man es mit einem besonderen und historisch wertvollen Gebäude zu tun hat (Bild oberhalb rechts).

Die eigentliche Villa Hlouchas blieb in Privatbesitz. Es ging im Lauf der Zeit auch vieles vom Originaldesign verloren (das Teehaus gibt es nicht mehr; die Fassade ist deutlich weniger reich ornamentiert), aber der japanoide Grundcharakter blieb wenigstens erhalten. Insbesondere das Drachenornament unter dem Giebel, das geschwungene japaniserende Dach und der Treppenaufgang mit einem japanischen Torbogen, auch Torii (鳥居) genannt (Bild links), seien erwähnt.

Und Hloucha? Der kam nie so recht finanziell über die Runden. 1930 musste er Teile seiner Sammlung in Berlin bei einer Auktion verkaufen. 1943 kaufte ihm das Náprstek-Museum (wo er einst gearbeitet hatte) abermals einen Teil ab. 1948 versuchte er erfolglos, noch einmal einen Teil an den Staat zu verkaufen. Schließlich schenkte 1955 er die Sammlung und seine Bibliothek an den Staat, wofür er dann eine eher bescheidene Sonderrente zugesprochen kam, die er bis zu seinem Tod 1957 bezog. Seine Sammlung jedoch bildete den Grundstock der japanischen Sammlung der Nationalgalerie, womit ihm auch ein würdiges Denkmal gesetzt wurde. (DD)

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