- Hans Weber
- October 6, 2024
Jugendstil, der das Stadtbild prägte
Es schadet nichts, wenn ein Künstler auf der Fassade seines Ateliergbäudes schon zeigt, was er kann. Wer im Stadtteil Karlín am Atelier O.Rákosník in der Křižíkova 452/64 vorbeigeht, wird zweifellos erahnen, dass hier dereinst jemand diese Botschaft verstanden hatte. Mehr und üppiger geht es in Sachen Jugendstil nicht mehr. Hier verstand sich jemand auf große Effekte!
Um das Werk und die Leistung des Bildhauers Otakar Rákosník zu verstehen, muss man vor allem die Zeit um 1900 verstehen. Prag und sein vorstädtisches Umfeld expandierten in dieser Zeit. Alte Dörfer wurden zu Städten, neue Stadtteile wurden geradezu neu aus dem Boden gestampft (z.B. Vinohrady). Damals liebte man elaboriert ausgestaltete Häuser im Stil des Historismus oder man ging mit der Mode und dekorierte Fassaden im Jugendstil. Äußerlich sollte auf jeden Fall der Eindruck von Historizität oder individueller künstlerischer Gestaltung entstehen. Aber natürlich war das, was man in dieser Expansionsphase Prags baute, eine moderne und industrialisierte Art des Bauens. Es ging größtenteils um große Mietsblöcke mit Stahlgerüstbauten, deren Wände schnell hochgezogen wurden. Aber der Schein musste gewahrt bleiben. Dafür sind heutige Touristen, die durch Prag schlendern, dankbar, denn so entstand trotz aller „Massenarchitektur“ oft ein wunderschönes Stadtbild.
Die andere Seite der Medaille: Kunst musste auch massentauglich werden und in professionell-industriellen Stil produziert werden. Dabei künstlerische Standards der Höchstqualität zu wahren, ist nicht einfach. Aber genau das zu tun, nahm sich Rákosník zusammen mit seinem Ko-Partner Antonín Štrunc) vor, als er um 1900 (genaues Datum nicht bekannt) eine eigene, recht große Firma gründete, die dem Aufbau des modernen Prags ein schmuckes und ästhetisch hochwertiges Gesicht verpassen sollte. Die Firma Rákosník expandierte Dank guten Marketings und hoher Qualität schnell und deshalb konnte man sich schon 1910 leisten, sich von dem prominenten Architekten Bohumil Šterba ein schönes großes Gebäude bauen lassen – eben das in der Křižíkova, das immer noch mit fein ziselierter Schrift über den Eingängen für die längst nicht mehr existierende Firma wirbt.
Die Firma gab durch unzählige Aufträge dem gerade im Wachsen begriffenen Karlín ihr heutiges Gesicht. Man schmückte dabei auch das dortige Nationalhauses aus.Unzählige Aufträge in Prag, aber auch in anderen Städten in ganz Böhmen folgten. Nach dem Tod Otakar Rákosníks 1938 übernahm sein gleichnamiger Sohn das Geschäft. Der beschäftigte Künstler und Desiger der Spitzenklasse, etwa Jaroslav Horejc, der als ein Großmeister des tschechischen Art Déco (der Jugendstil war inzwischen „out“) gilt (wir berichteten u.a. hier). Dann kam das traurige Ende. 1948 beendeten die gerade an die Macht gekommenen Kommunisten das freie Unternehmertum und damit auch die Firma Rákosník. Sie erstand auch dem dem Ende der Tyrannei 1989 nicht wieder auf.
Heute ist das Haus ein Miets- und Bürogebäude. Aber die vollendet schöne Jugendstil-Dekoration der Fassade, die auch proper in Schuss gehalten wird, erinnert immer noch an seine Geschichte der Firma Rákosník. Hier war einmal ein hoch-produktives Unternehmen am Werke, das mit seinem Tun das Stadtbild Prags mehr geprägt hat, als man zunächst erahnt. Und für den Fan des Prager Jugendstills ist ein Besuch Karlín (wo die Firma im großen Stil wirkte) sowieso ein „Muss“. Dabei sollte man es nicht versäumen das Haus in der Křižíkova 452/64 näher zu beäugen. (DD)
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