Kein Ärger mehr wegen Gaddafi

Der Stadtteil Pankrác (Prag 4) wird manchmal als das „Prager Manhattan“ bezeichnet, weil zu Beginn des Jahrtausends etliche höchst avantgardistische Wolkenkratzer (Beispiele präsentierten wir u.a. hier und hier) die Skyline zu prägen begannen. Aber die Idee, Pankrác zum weithin sichtbaren Ort moderner Großarchitektur zu machen, ist schon älter und reicht noch in die kommunistische Zeit zurück. Das Gebäude des heutigen Hotels Corinthia (Kongresová 1655/1, Prag 4) ist ein Beispiel dafür.

Die architektonische Gestaltung des Areals, auf dem das Hotel steht, kam man am besten verstehen, wenn man sie in den städteplanerischen Gesamtkontext der Zeit stellt. In den 1970er Jahren begann man mit dem Bau der sogenannten Magistrale, einer breit angelegten Straßenverbindung, die die nördlichen mit den südlichen Autobahnzufahrten verband, wobei sie am Hauptbahnhof vorbei durch den Stadtteil Vinohrady um die Altstadt führte. Man betrachtet das Projekt heute als eine städtebauliche Wunde im Stadtbild, aber immerhin wurde so der schnelle Durchgangsverkehr aus der Altstadt, die sonst durch das Verkehrsaufkommen ruiniert worden wäre, herausgehalten. Von Vinohrady aus war zuvor eine Durchfahrt nach Pankrác für Schnellverkehr nicht möglich, weil das tiefe Nusletal im Wege stand. Das wurde durch die Nuslebrücke behoben, die jetzt die Autos durch eine riesige vierspurige Straße, die nun Pankrác durchschnitt, weitgegeleitet wurden. In dem bisher wenig verdichteten Wohngebiet entstanden nun viele neue Hochhäuser mit Wohnungen, Hotels und vor allem Büros.

Vor allem das „Entrée“ zu dem neuen Boom-Stadttteil – dort, wo man über die Nuslebrücke von Altstadt und Vinohrady her über das Tal hineinfahren sollte – wollte man dabei aus einem optischen Guss gestalten. Damit beauftragte man das Militärischen Projektinstitut (Vojenský projektový ústav, VPÚ), das für die Planung und Durchführung größerer städtebaulicher Projekte zuständig war. Die Einfahrt über die hypermoderne, 1973 fertiggestellte Nusle Brücke (die damals noch Gottwald-Brücke hieß, nach dem ersten kommunistischen Gewaltherrscher des Landes) – wir berichteten hier – und der darin integrierten ausgesprochen avantgardistischen Metrostation Vyšehrad (erwähnten wir hier) sollte von zwei Großbauten eingerahmt werden, die die Modernität und Fortschrittlichkeit des Landes repräsentieren sollten. Von einem „Brückenkopf“ sprach man damals ganz militärisch. Und so wurde 1981 auf der rechten Seite der riesige Kulturpalast (heute Kongresszentrum) als ausgesprochenes Prestigeprojekt eingeweiht. Dem sollte auf der linken Seite ein ebenfalls großdimensioniertes Gebäude folgen – ein Hotel, das die Besucher des Kulturpalastes aufnehmen und dabei internationale Maßstäbe erfüllen sollte.

Das Projekt, das noch unter dem fortschrittsbegeisterten Namen Hotel Kosmos lief (aber schon vor Eröffnung in Hotel Forum umbenannt wurde), begann 1981 mit einer Ausschreibung. Den Wettbewerb, bei dem 17 Entwürfe eingereicht wurden, entschied der Architekt Jaroslav Trávníček für sich. Sein Entwurf entsprach den zwei Hauptvorgaben, dass eine Bettenkapazit von 1000 erreicht werden müsse, und dass es architektonisch an internationalen (sprich: westlichen) Qualitätstandards genügen müsse, da man eine zahlungskräftige Kientel von Ausländern ansprechen wollte. Trávníčeks Plan war ein sehr schlankes und elegantes Turmgebäude von 155 Metern Höhe. Die vertikale Ausrichtung sollte einen Kontrast zu den zu der horizontalen Schichung des Kulturpalastes auf der anderen Seite der Achse (was man, wie das Bild links zeigt, vom Hotel schön sehen kann) bilden. Dem Ansinnen machten nachträglich die Baubehörden einen leichten Strich durch die Rechnung, indem sie die Höhe auf 90 Meter begrenzten, worauf die Denkmalsbehörden noch einmal sieben Meter abzogen, weil sie fanden, dass sonst die Aussicht von der Altstadt geschädigt würde.

Trávníček machte aus der Not eine Tugend und modifierte seinen Entwurf so, dass er die quantitativen Vorgaben erfüllte, aber weiterhin schlank aussah und das Stadtbild nicht störte. Er teile den Gebäudekörper in zwei hintereinader versetzte Kuben, was zumindest von der Altstadtseite her nicht den klobigen Eindruck mehr erweckte, den eine solch massive Höhenreduzierung sonst bewirkt hätte. Die veränderten Pläne wurden 1982 fertiggestellt, aber erst 1985 konnte man mit den Bau beginnen, nachdem die Regierung endlich das Geld zur Verfügung gestellt hatte. Um das internationale Qualitätsniveau zu erreichen, heuerte man sicherheitshalber ausländische Firmen für die Durchführung an, darunter der jugoslawische Baugesellschaft und die österreichische Firma Warimpex. Die Bauzeit betrug 48 Monate. Man vermutete später, dass die Auslagerung auf ausländische Firmen nicht nur die Qualität sicherte, sondern den Bau (man rechnete damals bei lokalen Unternehmen mit einer Bauzeit von 7 1/2 Jahren) auch beschleunigte. Jedenfalls konnte Anfang 1988 die Eröffnung stattfinden.

Dazwischen hatte der Architekt noch einen Kampf um die Innengestaltung zu gewinnen. Dafür hatte man einen ungarischen Architekten namens Josef Kiralý eingestellt, der aber den modernistischen Stilvorgaben und dem funktionalistisch-brutalistischen Gesamtbild desTrávníčekschen Entwurfs nicht viel abgewinnen konnte und versuchte, das Hotel im Stile althabsburgischer Kaffeehausromantik mit viel Säulen und Plüsch zu dekorieren. Trávníček wirkte dem entgegen und konnte über ein Sonderbudget moderne Künstler wie das Bildhauerehepaar Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová, den Bildhauer und Keramiker Jan Hána oder den Glaskünstler Pavel Hlava mit der künstlerischen Ausgestaltung beauftragen, um so auf hohem Niveau stilistische Stimmigkeit zu erreichen. Was wohl auch gut gelang. Von dieser Einrichtung ist heute fast nichts mehr zu sehen. Schon ein Jahr nach Eröffnung brach der Kommunismus zusammen und mit ihm die Nachfrage nach Staatshotels. Gemäß westlichen Standards bemäkelten einige Architekturkritiker, dass das Gebäude doch nicht mit den neuesten Stilentwicklungen der 80er wie Postmoderne oder Dekonstruktivismus mitgehalten habe (was angesichts des Auftrags, bewusst modern und eher konstruktivistisch zu sein, natürlich nicht auch nicht intendiert war).

Wie dem auch sei, das Hotel (in dem auch das erste Glücksspielkasino nach dem Kommunismus eröffnet wurde) ging 1998 in die Hände eines privaten Unternehmens über, der 1962 gegründeten maltesischen Hotelkette Corinthia, und wechselte entsprechend den Namen. Die ließ das Hotel vom Architekturbüro Levis & Hickey kräftig umbauen und innen von der Firma Design International Limited neu gestalten, so dass die durchaus hochwertigen Kunstwerke des Ursprungsbaus verschwanden. Der Architektur war das neue Design aber durchaus angemessen (siehe das Bild der Treppe in der Eingangshalle links). Da das Ergebnis des Umbaus sich aber immer noch sehen lassen konnte, war das Fehlen der Originalinneneinrichtung nicht das größte Problem, dessen man sich zu gewärtigen hatte.

Denn, wie sich herausstellte, war einer der größten Anteilseigner der Hotelkette eine Außenhandelsgesellschaft Libyens, die mehr oder minder komplett dem dortigen Diktator, dem gefährlich-wahnwitzigen Muammar al-Gaddafi, und seiner Familie gehörte, die so ihr kleptokratisch erworbenes Geld investierten. Das war in Tschechien (wo man den Diktator irgendwie als alten Lakaien Moskaus einstufte) schon ein Manko im öffentlichen Ansehen. Schlimmer noch: Er und seine milliardenschwere Familie standen seit 1986 auf der Sanktionsliste der USA. Theoretisch hätte jeder US-Bürger, der in diesem Hotel übernachtete, nach seiner Rückkehr als Kriminelle gegolten und bis zu 10 Jahre im Knast verschwinden können. Zudem gab es immer wieder Attentatsdrohungen oder zumindest -befürchtungen, so dass es im Hotel oft (meist falschen) Alarm gab und das Haus voller Polizisten wimmelte. Das konnte den Gästen ein wenig die Stimmung verderben.

Nun, nachdem 2004 Gaddafi den USA und der Welt halbwegs glaubwürdig versichern konnte, dass er nicht mehr an die Produktion von Massenvernichtungswaffen denke, hob man die Sanktionen auf – sehr zur Erleichterung des Hotelmanagements. Und Gaddafi fiel danach dann auch noch als weiterhin bestehendes Reputationsrisiko für das Hotel 2011 weg, als er im Zuge eines Aufstandes gegen sein tyrannisches Regoime von Rebellen getötet und sein Vermögen konfisziert wurde. Das Hotel hat immer noch einen starken Anteil von Eignern aus der arabischen Welt und es ist auch bisweilen der Austragungsort von verschiedenen arabisch-tschechisch-europäischen Treffen und Konferenzen, aber die bewegen sich im Rahmen des Legalen und Legitimen.

Und überhaupt: Es ist ja auch naheliegend, das Hotel in die engere Wahl zu ziehen, wenn man ein schönes Veranstaltungserlebnis organisieren will. Schon von der Restaurantebene im ersten Stock kann man schöne Ausblicke genießen (siehe Bild oberhalb rechts). Ganz großartig wird es in dieser Hinsicht bei den Seminarräumen in den oberen Stockwerken. Die bieten eine unglaublich tolle und weite Aussicht über Prag und Umgebung. Im Bild links sieht an den Blick über den Stadtteil Vinohrady mit der schönen Kirche der Heiligen Ludmilla (über die wir schon hier berichteten) in der Mitte, geknipst während eines Roundtables der Menschenrechtsorganisation Forum 2000 im Jahre 2022. So macht das Tagen Spaß!

Und wer es bodennäher liebt, kann sich auf die das Hotel umgebende Terrasse im brutalistischen Stil auf Erdgeschosshöhe (Bild rechts) begeben, um den Blick über den steilen Abgrund des Nusletals und die wuchtige Brücke zu genießen. Zudem ist man verkehrsgünstig günstig angebunden, entweder durch die große Zubringerstraße über die Brücke oder mit der nur wenige Meter entfernten Metro. Kurz: Das Hotel Kosmos/Forum/Corinthia hat den Wechsel vom kommunistischen Stadtplanungsprojekt über die Wirren mit Gaddafi hin zum modernen und beliebten Touristen- und Konferenzhotel jedenfalls gut bewältigt. (DD)

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