Kein versuchter Selbstmord im Malteserpalast

Mit aufgeschnittenen Pulsadern und dem verzweifelten Schrei „Mozart!“ auf den Lippen finden seine Lakaien ihn hier im ersten Stock. Sein perfider Mord an dem genialen Komponistenrivalen hat Antionio Salieri endgültig den Wahnsinn getrieben. Gleich wird er in die Zelle einer Anstalt gebracht, wo er bis zum Lebensende höhnisch grinsend über seine Untat brüten wird.

Das ist natürlich Unsinn. Salieri hat weder Mozart heimtückisch umgebracht, noch sich je selbst das Leben nehmen wollen. Und schon gar nicht hier in Prag, im Großprior Palast (Velkopřevorský palác) am Velkopřevorské náměstí 485/4 (Ecke Lázeňská) inmitten der Kleinseite. Vielmehr handelt sich hier um die Eingangsszene des berühmten, aber völlig fiktiven Mozart-Films Amadeus des tschechisch-amerikanischen Regisseurs Miloš Forman. Aus dem Eingangsportal, das man im großen Bild oben sieht, wird Salieri weggetragen, um in den folgenden Szenen in der Invalidenanstalt (Invalidovna) im weiter außerhalb liegenden Stadtteil Karlín zu landen, das der echte Salieri wahrscheinlich nie im Leben gesehen hat (wir berichteten hier).

Dadurch, dass die Eingangsszene des Film in der Nacht spielt, konnte der Regisseur verschleiern, dass das hier unmöglich Salieris Privathaus hätte sein können, selbst wenn er in Prag und nicht in Wien gewohnt hätte. Denn über der Tür erkennt man tagsüber, was man in der Filmszene der Dunkelheit wegen nicht sieht, nämlich das vermutlich von dem bekannten Bildhauer Matthias Bernhard Braun in Stein gemeißelte achteckige Kreuzsymbol des Malteserordens. Die Malteser hatten sich nach dem Ersten Kreuzzug als geistlicher Ritterorden gegründet. Mitte des 12. Jahrhunderts waren etliche böhmische Ritter des Orden nach dem Zweiten Kreuzzug aus dem Heiligen Land zurückgekehrt und bauten hier an dieser Stelle einen kleinen Festungshof. Und seither war der Gebäudekomplex eigentlich immer in irgendeiner Form eine Zentrale des Ordens in Böhmen bzw. Tschechien – und nie eine Komponistenheimstatt.

Dort wurde zwischen 1156 und 1159 die Kirche St. Maria unter der Kette (Kostel Panny Marie pod řetězem) erbaut, über die wir bereits hier berichteten, und die an den Komplex des heutigen Palastes angrenzt. Der ursprüngliche Komplex war im romanischen Stil gehalten. Nach Zerstörungen in den Hussitenkriegen wurde er völlig gotisiert. Neue spätgotische Elemente kamen um 1530 hinzu, bis man ihn 1610 in einen Renaissancepalast umwandelte. Eigentlich hat das Gebäude alle bis dato aktuellen Baustile durchspielt. Das, was wir heute sehen, ist das Ergebnis der völligen Barockisierung des Palastes im Jahe 1725. Während die Kirche im wesentlichen ihr gotisches Äußeres bewahrt hat und nur innen barockisiert wurde, sieht man im Palast reinen Barock innen wie außen.

Als Architekt für den barocken Neubau zeichnete sich der Italienisch-Schweizer Bartolomeo Scotti verantwortlich (wir erwähnten ihn bereits hier), der hier möglicherweise einige erste Barockisierungsschritte des Architekten Carlo Lurago (auch hier und hier) fortsetzte. Den Auftrag dazu hatte der damalige Großprior des Ordens in Böhmen, Carl Leopold von Herberstein, erteilt. Denn das Gebäude, das seit dem Mittelalter auch ein Hospital beherbergte, war seit 1626 der offizielle Sitz des Grosspriors (vorher seit 1516 nur eines Generalpriors), des höchsten Repräsentanten des Ordens. Als Großpriorspalast diente der Palast bis 1952. Dann wurde ervon den Kommunisten enteignet und war eine zeitlang ein Museum für Musik. Die bestohlenen Malteser bekamen den Palast erst 1991 wieder restituiert als der Kommunismus sein verdientes Ende gefunden hatte.

Der Großprior und die Verwaltung des Ordens in der Tschechischen Republik (der 1991 auch sonst recht große Ländereien zurückerstattet bekommen hatte) sitzt immer noch hier. Aber das ist nicht die einzige Nutzung des riesigen Gebäudes. Wer heute durch das Eingangsportal geht, aus dem 1984 der Film-Salieri herausgetragen wurde, betritt zum Beispiel das äußerst gepflegte Café de Paris, das – wie der Name sagt – französische Cuisine serviert. Das ist sicher dem Standort geschuldet, denn direkt gegenüber auf dem Vorplatz befindet sich das ebenfalls recht repräsentative Palais Buquoy (Buquoyský palác), das die französische Botschaft beherbergt. Das passt zusammen. Möglicherweise machen die Botschaftsangehörigen und Diplomaten des gehobenen Dienstes hier täglich gerne ihre Mittagspause.

Die mit herrlichen barocken Deckengemälden versehenen Repräsentativsäle im ersten Stock sind leider normalerweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich – weil Privatbesitz der Malteser. Das gilt auch für einige Gemäldereste des früheren Renaissance-Palastes, die sich unten im Keller des Gebäudes befinden. Aber man kann einen Blick in den Innenhof werfen. Alleine die mit barocken Rocaillen versehenen orginalen Laternen aus Gusseisen im Eingangsbereich zum Hof, die ebenfalls mit dem Kreuzsymbol der Malteser versehen sind, sind sehenswerte Kleinode.

Und dann gibt es noch zur Ostseite des Palastes einen kleinen Garten, an dessen Mauer außen sich die berühmte John-Lennon-Mauer befindet (mit Genehmigung der Malteser), über die wir hier berichteten. Drinnen gibt es u.a. die legendäre Beethoven-Platane, unter der angeblich Ludwig van Beethoven 1796 bei einem Besuch in Prag (wir berichteten hier) selig geruht haben soll, während er frisch verliebt von der angebeteten Josephine Gräfin Clary und Aldringen geträumt haben soll. Im Frühjahr kann man mit Entzücken den Rhododendron blühen sehen. Auch dies eine von unzähligen kleinen grünen Ruheoasen, die man in Prag finden kann. (DD)

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