Königspalast 1:2

Der Burgplatz war im Mittelalter nicht die beste Adresse. Hier wohnte das arme Burggesinde. Erst im 16. Jahrhundert fanden viele Mitglieder des böhmischen Adels, dass die Burgnähe politische Vorteile bot. Zudem hatte das große Feuer von 1541 auf der Kleinseite einigen Platz für neue Immobilien geschaffen. Und so entstanden nach und nach die schönen Paläste, die uns ´heute hier so beeindrucken. Dazu gehört auch der Palais Martinitz (Martinický palác) am hradčanské náměstí 67/8.

An dessen Stelle standen hier ursprünglich vier wesentlich kleinere gotische Häuser aus dem 14. Jahrhundert. Die wurden durch das Feuer fast vollständig zerstört. Ein Offizier namens Andreas Teyfl von Kinsdorf und Zeilberg erwarb bald darauf das Gelände und begann mit dem Bau eines neuen und größeren Gebäudes im damals hochmodischen Stil der Renaissance. Den findet man rund um den Burgplatz generell recht prominent vertreten; man denke an den Palais Schwarzenberg, der um die selbe Zeit entstand. Bevor er so richtig damit fertig war, verkaufte er das Anwesen an Georg Borsita Graf von Martinitz. Der war Oberstkanzler der königlichen Hofkanzlei und mithin ein richtig „hohes Tier“. Er erweiterte und veränderte die Pläne für das Gebäuden noch einmal in Richtung Prachtentfaltung. Nach seinem Tod 1598 erbte es sein Neffe Jaroslav Borsita Graf von Martinitz.

Der ging so richtig in die Weltgeschichte ein, denn er gehörte zu den drei königs- und kirchentreuen Gesandten des Kaisers, die 1618 von den rebellierenden Repräsentanten des Böhmischen Aufstandes in den Ständen in der Burg aus dem Fenster geworfen wurden. Alle drei überlebten den berühmten Zweiten Prager Fenstersturz, aber die Episode verursachte unglücklicherweise den Dreissigjährigen Krieg. Alles das war natürlich dem Häuslebauer extrem hinderlich, weshalb der Palast im Großen und Ganze durch ihn zwar seine heutige äußere Form erhielt, aber zu seinen Lebzeiten nicht fertig wurde. Innen wurde noch bis 1730 gearbeitet. Aber eine Grundidee wurde realisiert, wenngleich die geradezu grandiose Hybris dahinter, von der sich Graf von Martinitz treiben ließ, der Öffentlichkeit kaum bekannt wurde. Die Zeitläufe gaben sich allerdings auch alle Mühe, die Sache in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn als die Martinitz-Familie 1788 ausstarb, fiel dem neuen Eigentümer nichts besseres ein, als hier möglichst viel Wohnräume zum Vermieten einzurichten. Die Räume wurden parzelliert. Große Säle kriegten neue Stockwerke eingezogen. Bis zu 70 Familien sollen hier zum Schluss zeitweise gewohnt haben. In den 1840ern wurde ein Brennofen und eine Schmiede zugefügt. Ach, die Liste der Verwüstungen war lang und grausam. Gottlob waren aber die alten Pläne erhalten geblieben.

In den 1950er Jahren versuchte man einige notdürftige Reparaturen an den Sgraffiti auf der Fassade, aber das war nicht genug. Schließlich beschloss die Stadt Prag eine Vollsanierung und weitgehende Restaurierung im Sinne des Martinitzschen Urzustandes. Die wurde von 1967 bis 1972 sorgfältig durch den Stadtarchitekten Zdeněk Hölzel durchgeführt. Dabei entdeckte man unter dem Putz auch innen zahlreiche Wandmalereien und Holzdecken. Die Kapelle – zuvor als Speisekammer genutzt – wurde wiederhergestellt. Und als man damit fertig war, stellte sich heraus, dass Jaroslav Borsita Graf von Martinitz sich selbst und seine Heldentat (das Überleben des Fenstersturzes) durch die Raumaufteilung seines Palastes verewigt hatte. Die folgt nämlich genau im Maßstab 1:2 dem Raumplan des Alten Königspalastes in der Burg, wo der Fenstersturz stattgefunden hatte. Hier in seinen vier Wänden konnte der Königstreue selbst ein wenig König sein. Kurios! Aber man war stolz auf sich, wofür auch spricht, dass man das Wappen der Familie (zwei gegenüberstehende Seerosen, die durch eine Wurzel verbunden sind) über dem Eingang prangen ließ.

Kurzum: Außen wie innen ist wieder alles todschick. Das Gebäude gehört heute einem Investor, der die noblen Räumlichkeiten für alle Arten von noblen Events – vom Geschäftsessen bis zur Hochzeit – vermietet. Die meisten Menschen können daher nur die Außenfassade bewundern, die es aber wert ist, vor ihr länger zu vereilen. Das hat nicht zuletzt etwas mit den wundervollen Sgraffiti zu tun, die in der böhmischen Renaissance voll im Trend lagen, und die sich hier besonders liebevoll präsentieren. Die Sgraffiti (eine Kratztechnik mit mehreren unterschiedlich gefärbten Putzschichten) stellen Episoden auf der biblischen Geschichte des Josefs aus dem alten Testament (Genesis 37ff) dar. Es beginnt mit Genesis 37:26-28, in dem Josef, der Sohn des Jakobs, von seinen missgünstigen Brüdern erst einmal die Kleidung weggenommen bekommt, bevor er von ihnen in die Sklaverei nach Ägypten verkauft wird.

In Ägypten, so das zweite der Josefs-Sgraffiti, wird er Sklave des Chefs der Leibwache des Pharaos, einem gewisser Potifar. Dessen mannstolle Frau steigt Josef nach, der aber tugendhaft bleibt und deshalb denunziert und in den Kerker gesteckt wird. Das Bild zeigt die Szene aus Genesis 39:12, in der Potifars Frau noch versucht, Josef zu ergrabschen, bevor dieser panisch aus dem Schlafzimmer rennt.

Kommt das endlich Happy End für Josef… Der Pharao lädt ihn vor, findet nicht viel an ihm auszusetzen und freut sich über eine weissagende Traumdeutung Josefs, die einige Zeit später eine große Hungersnot im Lande verhindert (findet sich alles in 41:14ff). Auf dem Bild sieht man ihn vor dem Pharao stehend, der auf einem mit einem Schwan geschmückten Thron sitzt.

Kurios ist dabei nicht nur, dass die Sgraffiti nicht in der richtigen Erzählreihenfolge gekratzt wurden. Man sollte auch auf die kleinen dekorativen Ausschmückungen achten, die die drei großen Bilder um Josef umgeben. Neben den „üblichen“ Girlanden findet man auch Ungewöhnliches, wie etwa der Kuhkopf, der möglicherweise auf ein antikes Bukranion anspielt, aber schon recht seltsam wirkt.

 

Wie überhaupt die biblischen und nicht-biblischen Darstellungen auf der Fassade bei aller Kunstfertigkeit, mit der sie gemacht wurden, bisweilen etwas naiv und schrullig wirken. Man jedenfalls immer etwas zum Hingucken und Amüsieren. Der Königspalast in 1:2 hat sich jedenfalls gut erholt von den Drangsalen, die ihm einst zugefügt wurden, und ist wieder ein besonderes Renaissance-Schmückstück unter den Gebäuden des Burgplatzes. (DD)

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