Lehrling Lada: Der Beginn einer Künstlerkarriere

Der Karlsplatz (Karlovo náměstí) inmitten der Neustadt bietet ein sehr abwechslungsreiches Spektrum an Häusern in verschiedensten Architekturstilen. Ein besonders opulentes Beispiel für den Neorenaissancestil ist das am Karlovo náměstí 557/30 gelegene Haus zum Goldenen Ochsen (dům U zlatého vola), das sich sogar rühmen kann, einem berühmten Bewohner ein Dach über dem Kopf geboten zu haben.

Für das dreistöckige Miets- und Geschäftshaus musste ein älteres Gebäude mit mittelalterlichen Ursprüngen weichen. Dessen Name Zum Goldenen Ochsen wurde aber für das neue Gebäude, das der Architekt und Bauunternehmer Karel Janda in der Mitte der 1890er Jahre erbaut hatte, beibehalten. Es war eine Erinnerung daran, dass der heutige Karlsplatz, als er im 14. Jahrhundert von Kaiser Karl IV. gegründet wurde, Viehmarkt (Dobytčí trh) hieß und auch es war – siehe dazu auch diesen früheren Beitrag. Erst als das Vieh dort nicht mehr verkauft wurde und der Platz zwischen 1843 und 1863 schrittweise in eine Park- oder Grünanlage verwandelt wurde, benannte man ihn 1848 in Karlsplatz um.

Und so steht es nun da, das Haus zum Goldenen Ochsen, dass nur noch nominell etwas mit Viehhandel zu tun hat. Den Rückgriff auf die italienische Renaissance-Architektur, der ja wiederum ein Rückgriff auf die römische Antike war, wurde durch den Architekten sehr konsequent betrieben. Man sieht das sehr schön an den drei Büsten im Mittelrisalit über dem zweiten Stock, wo wir Kopien antiker Büsten bewundern können: Links der Kopf des Apollon von Belvedere, in der Mitte die sogenannte Juno Ludovisi und rechts der Kopf der Diana von Versailles.

Bemerkenswert ist auch der Eingang, der einer römischen Aedikula, einem Kleintempel, nachempfunden ist. Aber nicht das ist der Grund, warum das Haus einen prominenten Platz in der Ortsgeschichte der Neustadt einnimmt. Denn hier machte einer der großen Künstler des Landes seine ersten Schritte: Josef Lada. In Deutschland kennt man ihn meist nur als genialen Original-Illustrator von Jaroslav Hašeks Roman vom guten Soldaten Švejk. Aber er war mehr als das. „Lada ist Ihr größter Maler“, soll Pablo Picasso einmal bei einer Nachkriegsausstellung tschechoslowakischer Kunst gesagt haben – und er meinte es. Gleichzeitig kennt man ihn hierzulande als Schriftsteller, Märchen- und Kinderbuchautor (der berühmte Kocour Mikeš, den man in Deutschland als Kater Mikesch kennt, wurde von ihm 1936 erdacht) oder Bühnenbildner mit einem unverkennbaren tschechischen Sinn für volkstümlichen, aber subtilen Humor. Mehr über ihn haben wir hier geschrieben.

Als er in das Haus zum Goldenen Ochsen zog, stand er jedoch noch ganz am Anfang seines beruflichen Lebenswegs. Im Jahre 1901 war er erstmals aus seinem Heimatdorf Hrusice nach Prag gezogen, wo er eine Lehre als Bühnenmaler begann und in das Joaneum, einem katholischen Lehrlingsheim in der Salmovská 1538/8 (Neustadt), einzog, das man im Bild rechts sehen kann. Das streng katholische Reglement dort behagte ihm nicht und er wurde nur zu niederen Arbeiten wie Farbeimerschleppen ausgenutzt, während man ihn aber nicht künstlerisch förderte. Er fühlte sich, wie er später schrieb, „wie ein Vogel im Käfig“ Und „der Aufseher, der Priester, sah streng aus, eher wie ein Inquisitor.“ Nach wenigen Monaten ging er, nur um kurz darauf wieder nach Prag zu kommen, wo er bei dem Buchbinder Jan Karásek wieder eine Lehre begann. Und zwar genau im Haus zum Goldenen Ochsen (nur wenige hundert Meter vom Joaneum entfernt).

Dort war die Buchbinderei und Meister Karásek lebte hier auch mit seiner Familien. Mit seinen Mitlehrlingen verstand sich Lada bestens und Karásek schien ein guter Lehrmeister zu sein. Die Arbeit machte Spaß. Und 1902 bekam er (im Alter von 15 Jahren) sogar eine Festanstellung. Das Haus empfand er auch als angenehmen Ort zum leben: „Das Haus ,U zlatého vola‘ war damals ein Palast und bestand aus drei Teilen. Vorne auf dem Platz das Hauptgebäude; zweitens kleiner; und dann noch eins, in dem es auch Ställe für Drogeriepferde gab. Zu diesem letzten Hausteil führten großzügige Durchgänge durch die beiden Vorderhäuser“, schrieb er später in seinen Erinnerungen.

Das Gute daran war, dass Karásek ihm auch Zeit ließ, seine eigentlichen künstlerischen und literarischen Talente weiter zu entwickeln. Die örtliche Lage war günstig, denn in der Nähe befand sich der Verlag und die Buchhandlung von Jan Ott, der sich einen Namen durch schön gestaltete und illustrierte Lexikoneditionen geschaffen hatte, darunter die tschechische Edition von Brehms Tierleben, die Lada eingehend studierte. Er übernahm erste Aufträge als Bühnenmaler für Amateurtheater-Gruppen. 1904 kam der erste Durchbruch. Die renommierteste Kulturzeitschrift des Landes, das Almanach Máj, druckte vier seiner Zeichnungen ab. Damit war der Weg Ladas irgendwie vorgezeichnet.

1905 schloss er zwar seine Gesellenprüfung als Buchbinder bei Karásek ab, beschloss aber zugleich, den Beruf des Buchbinders aufzugeben, um Maler und Zeichner zu werden. Er zog um, allerdings nicht weit weg vom Haus zum Goldenen Ochsen. Neue Heimstatt für den Beginn des Künstlerlebens war in Sichtnähe das alte Barockhaus U Šálků auf der gegenüberliegenden Seite des Karlsplatzes. Schon 1906 zog er andernorts innerhalb Prags um. Das U Šálků wurde leider 1938 abgerissen. Heute steht hier ein modernes Büro- und Einkaufsgebäude aus viel Glas und Stahl (siehe Bild links), das sich etwas wie ein Fremdkörper in der Umgebung des Karlsplatzes ausnimmt, den Lada wohl sehr schätzte.

Die Buchbinderei von Jan Karásek, der sich zweifellos sehr um den Lebensweg Ladas verdient gemacht hatte, gibt es hier im Haus zum Goldenen Ochsen schon lange nicht mehr. Im Erdgeschoss, wo er seine Auslagen hatte, befinden sich heute ein Bekleidungsgeschäft und eine kleine Apotheke. Nicht einmal eine Plakette erinnert daran, dass hier eine Künstlerkarriere ihren Anfang nahm. Die Schönheit der Neorenaissance-Fassade kann man aber immer noch genießen – wie damals in Ladas Zeiten. (DD)

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