Meyers „aufgeklärte“ Zensur

Durch den Eingang dieses Hauses wurden unzählige Male auf Karren Bücher hineingefahren, die dann manchmal als unverdächtig das Haus wieder verlassen und bei den Buchhändlern verkauft werden durften. Des öfteren wurden sie auch einbehalten und kundigen Beamten zur Zensur übergeben, die dann über Wohl und Wehe entschieden. Deshalb heißt dieses zweistöckige Gebäude in der früheren Gemeindehofstraße (heute U Obecního dvora 798/5) in der Altstadt immer noch Dům U Censorů (Haus zum Zensoren).

Die Bücherzensur wurde in Prag – als Teil des habsburgisch-österreichischen Herrschaftsbereich – in dieser Zeit recht professionell und bürokratisch ausgeübt. Das Habsburgerreich wurde unter der österreichischen Erzherzogin und böhmischen Königin Maria Theresia politisch in Richtung Aufklärung reformiert. Nun identifizieren wir den Begriff Aufklärung meist mit geradezu unbeschränkter Geistesfreiheit im Snne eines Kant oder Voltaire. Aufklärerische Werte sind demgemäß natürlich völlig unvereinbar mit Zensur. Aber das ist zu einfach gedacht. Gerade der Aufgeklärte Absolutismus, wie in Maria Theresia verfocht, hatte als Primärziel die Errichtung einen am Wohl der Untertanen ausgerichteten Vernunftstaat, was einen rational ausgrichteten Staatsapparat, aber auch den selbstdisziplinerten und in den Vernunftstaat eben vernünftig eingeordneten Untertanen/Bürger voraussetzte. Die Folge waren ein Hang zu zentralistischen Einheitslösungen und eine Tendenz zum Erziehungsstaat (Maria Theresia führte z.B. 1774 die allgemeine Schulunterrichtspflicht ein). Aus einer solchen Gedankenwelt konnte ein gewisses Maß an Zensur sinnvoll erscheinen – wenn sie nur einheitlich und vernünftig war. Und genau deshalb ließ Maria Theresia 1751 eine Allgemeine Bücher-Censur-Hofcommisson gründen. Man kann also zu Recht behaupten, dass mit ihr erstmals überhaupt systematisch eine Zensur im Staat eingeführt wurde (dazu auch hier).

Bis dato fand Zensur meist anlassbezogen und vor allem von der Kirche betrieben statt, die dafür eigene Institutionen hatte. Das fand man im Aufgeklärten Absolutismus zu uneinheitlich, willkürlich und vor allem nicht zielführend, denn gerade die Kirche kam wegen ihrer Rückständigkeit teilweise selbst in den Verdacht, anti-aufklärerisch zu wirken. Ein Beispiel war die Tatsache, dass sie ständig den Vertrieb von Anatomielehrbüchern verbot, weil darin (irgendwie notgedrungen) „Nuditäten“ vorkamen. Insbesondere die Jesuiten wurden von den aufgeklärten Herrschern als Feinde des staatlich propagierten aufgeklärten Religionsverständnis (das damals selbstredend jedweden Atheismus ausschloss) wahgenommen. Als intellektuelle Hauptbetreiber von Zensurmaßnahmen wurden sie zwar anfänglich ein wenig in die Hofcommission eingebunden, aber schon 1764 war der letzte Jesuit daraus verschwunden und eine völlig säkulare Zusammensetzung garantiert. Zunächst einmal hatten die nunmehr uniformen und flächendeckenden Zensurregeln keine echte Verschärfung der Lage für Verleger zur Folge. Manchmal wurde sogar liberalisiert – nicht nur bei Anatomiebüchern, sondern auch politischen Publikationen. So hatten die Jesuiten schon kurz nach dem Erscheinen 1748 fast überall ein Verbot des gemäßigt liberalen Klassikers zum Prinzip der Gewaltenteilung, das Buch De l’esprit des lois (Vom Geist der Gesetze) des französischen Konstitutionalisten Charles de Secondat, Baron de la Brède et Montesquieu, durchgesetzt. 1752 gab die Hofcommission es hingegen frei. Wurden im ganzen österreichischen Machtbereich 1754 von 669 Bücher verboten, war die Zahl 1791 auf 85 gesunken. Aber aller Anfang klingt leicht. Die Regierung schuf sich mit der Vereinheitlichung einen enormen Machtzuwachs und ein enormes Missbrauchspotential. Ganz klappte die Zentralisierung allerdings nicht immer. So versuchte Maria Theresias Nachfolger Joseph II. 1781, alle Zensurmaßnahmen in einer einzigen Großbehörde in Wien zu organisieren, was aber kaum praktikabel war. Böhmen, zum Beispiel, behielt seine Behördenstruktur, um die zentralen Regeln anzuwenden.

Unter Josephs Nachfolgern Leopold II. und ab 1792 Franz I. befand sich Österreich (und damit auch Böhmen) im Krieg mit dem Regime der Französischen Revolution und später mit Napoleon. Die Kriegsnot führte zu einer dramatischen Verschärfung der Zensur.Sie konnte nun Berichte über die Kriegslage und zunehmend auch aufklärerische Bücher betreffen. Die Anzahl verbotener Bücher schoss in die Höhe und die Zensur war effizienter geworden. Und damit sind wir in der Zeit, da in der U Obecního dvora 798/5 in Prags Altstadt Franz Anton Meyer (manchmal auch Mayer) einzog, der als k.k. Hofsekretär im k.k. Bücherrevisionsamt für die Bücherzensur zuständig war. Das Haus, das Meyer nun als Büro und Domzil diente, wurde 1402 erstmal urkunkundlich erwähnt. Im Keller gibt es sogar Reste eines älteren romanischen Gebäudes. Im 16. Jahrhundert war es zum ersten Mal einem Feuer zum Opfer gefallen, um dann im Renaissancestil wieder aufgebaut zu werden., 1689 brannte es wieder ab, um als Barockhaus wieder aufzuerstehen. Und dieses Gebäude ließ Meyer nun von dem Architekten Zacharias Fiegert völlig umgestalten. Das klassizistische Haus, das wir heute hier bewundern können, ist zumindest von Außen immer noch das, das Meyer im Jahre 1795 als sein „Zensurhaus“ bezog, und das über dem Eingang nun seine Initiale „M“ trug.

Hier wurden also Meyer importierte Bücher aus dem nicht-böhmischen Ausland in Fuhren geliefert. Waren die andernorts verlässlich kontrolliert worden und konnten die Lieferanten das belegen, gingen sie schnell in den Buchhandel. Waren die Bücher bereits abschlägig zensuriert, wurden sie plombiert ins Ausland zum Absender zurückgeschickt. Aber es kamen natürlich auch die inländischen Verleger, deren Werke von Meyer an einen der fünf Zensoren mit unterschiedlichen Fachbereichskenntnissen (im frühen 19. Jahrhundert gab es zusätzlich noch eine Anzahl nicht aufgelisteter Hilfszensoren) übergeben wurden. Auch Autoren kamen mit Manuskripten, denn es gab eine rigorose Vorzensur. Meyer wirkte hier bis ins Jahr 1819 als Zensor, was zufällig auch das Jahr ist, in dem die Zensur in allen deutschen Ländern aufgrund der Initiative von Österreichs leitendem Minister (und Außenminister) Fürst Metternich durch die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse von 1819 noch einmal drastisch verschärft wurde (mit dem neuen Schwerpunkt der Bekämpfung nationalistischer Tendenzen). Die schon nicht unbedingt schöne Idee, dass aufgeklärte Wissenschaftler Bücher vergleichsweise milde auf ihre Nützlichkeit prüfen sollten, verschwand. Die Zensur wurde zur reinen polizeilichen Angelegenheit und diente nur der politischen Repression. Erst im Jahre 1848 wurde die Zensur im österreichischen Kaiserreich abgeschafft.

Meyer war da schon lange tot und das Haus in der Gemeindehofstrasse war wieder ein großes Wohnhaus. Den Namen hat es allerdings behalten: Das Haus zum Zensoren. Nach Meyers Abgang wurde hier im Mai 1820 übrigens der berühmte spät-romantische Maler Josef Mánes geboren, der mit seinen Landschaftsgemälden als so etwas wie der tschechische Nationalmaler schlechthin gilt. Zu seinen Ehren hat man eine Bronzetafel mit Portraitrelief neben dem Eingang angebracht. Dabei hat man aus Versehen wohl die falsche Hausnummer, nämlich die des Nachbarhaues 799/7, angegeben. So etwas ist ja schwer wieder zu korrigieren, wenn es einmal in Bronze gegossen ist. Also ließ man es so, wie es jetzt ist. Mánes wurde aber definitiv hier im Haus 798/5, dem Haus des Zensoren, geboren, dessen Tätigkeit er wahrscheinlich klar missbilligt hätte. (DD)

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