Muss die EU ihren Einsatz erhöhen?

In Prag werden abermals Forderungen nach deutschen Panzern für die Ukraine laut. Kanzler Scholz steht aber vor allem wegen eines anderen Themas im Kreuzfeuer: des riesigen Entlastungspakets in der Energiekrise.

Die Tschechen hielten am Freitag eine besondere Überraschung zum 70. Geburtstag Wladimir Putins bereit. Mehr als 11­ 000 private Spender sammelten gut 1,3 Millionen Euro, um einen modernisierten T-72-Panzer von einem privaten Unternehmen zu kaufen. Ausgeliefert wird er allerdings an Kiew, nicht an Moskau. Das sei doch ein „passendes Geschenk“, scherzte Verteidigungsministerin Jana Cernochova; sie hatte die Crowdfunding-Initiative unterstützt.

Es war die humorvolle Seite eines Tages, an dem die Staats- und Regierungschefs in der tschechischen Hauptstadt Ernstes zu besprechen hatten. Mit der russischen Mobilmachung und den Annexionen einerseits, den ukrainischen Rückeroberungen andererseits ist der Krieg in eine neue Phase getreten. Beide Seiten haben ihren Einsatz erhöht – muss die EU das auch tun? Als die Chefs am Morgen vor der Prager Burg vorfuhren, hielten Demonstranten ein Schild hoch. „Westliche Panzer für die Ukraine“ stand darauf. Roberta Metsola, die als Präsidentin des Europäischen Parlaments zu Beginn jedes Rats eine halbe Stunde sprechen darf, stieß in dasselbe Horn: „Die Ukraine braucht schwere Waffen, und sie braucht Panzer“, sagte sie. Wenn Russland den Krieg eskaliere und zunehmend „verzweifelt“ sei, müsse man darauf in gleicher Weise reagieren. Ausdrücklich forderte sie deutsche Leopard-2-Panzer. Am Vortag hatte das Straßburger Parlament die Mitgliedstaaten fast einstimmig aufgefordert, ihre militärische Hilfe massiv aufzustocken, „insbesondere in den von der ukrainischen Regierung geforderten Bereichen“.

Energieinfrastruktur soll besser geschützt werden

Bundeskanzler Olaf Scholz trug dazu im Europäischen Rat seine bekannte Haltung vor: Es werde keinen deutschen Alleingang geben. So blieb nur eine weitere Tranche von 500 Millionen Euro, welche die versammelten Regierungschefs befürworteten, an sichtbarer Unterstützung für Kiew. Damit steigt die Waffenhilfe aus der sogenannten Friedensfazilität auf drei Milliarden Euro. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, ist der Topf im nächsten Frühjahr leer. Mehrere Staaten machten sich dafür stark, ihn aufzufüllen, aber eine Entscheidung dazu wird sich wohl noch hinziehen.

Schweden und Dänemark berichteten in der Sitzung über ihre Untersuchungen zu den Lecks an den Nordstream-Leitungen in der Ostsee. Die bisherigen Erkenntnisse „verstärken den Verdacht, dass es sich in der Tat um Sabotage handelt“, fasste die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson zusammen. Eine Schuldzuschreibung nahm sie nicht vor. Freilich zweifelt kaum jemand im Europäischen Rat daran, dass Moskau dafür verantwortlich sei. Der Kreml habe demonstrieren wollen, wozu er fähig sei, lautet eine gängige Erklärung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentierte einige vage Ideen, wie die Energieinfrastruktur besser geschützt werden könne. So soll das EU-Satellitenzentrum zur Überwachung eingesetzt und die Zusammenarbeit mit der NATO ausgebaut werden.

Die zweite Debatte am Freitag betraf die hohen Energiepreise: wie sie gesenkt werden können, welche Rolle die Union und die Nationalstaaten dabei spielen. Da richteten sich die Blicke besonders auf Scholz. Schon am Vortag hatten mehrere Regierungschefs ihr Unbehagen über das von der Bundesregierung geplante 200 Milliarden schwere Paket zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen geäußert. Es dürfe nicht sein, dass die EU-Energiepolitik „unter dem Diktat Deutschlands umgesetzt wird“, wetterte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki – weil Berlin einen europäischen Gaspreisdeckel bisher abgelehnt hat und auch die EU-Kommission sich skeptisch zeigte. Deutschland habe schon in der Corona- und in der Finanzkrise „andere belehrt und sich sehr arrogant“ verhalten. Heute wolle es seine Wirtschaftskraft nutzen, um „allein seiner Industrie zu helfen“.

Scholz verteidigt deutsches Milliardenpaket

Am Freitag schlug der nationalkonservative Politiker einen gemäßigteren Ton an. „Meine Botschaft an Deutschland ist: Seid gemeinschaftlich, solidarisch mit allen anderen“, sagte er. In schwierigen Zeiten müssten sich alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen und nicht auf den, der nur für ein Land passend sei. Die Bundesregierung hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie aus Warschau kritisiert wird. Dabei blieb es aber nicht. Auch Staaten, die Berlin finanzpolitisch traditionell nahe stehen, machten ihrem Ärger Luft. Nachdem Lettland vor „Marktverzerrungen“ gewarnt hatte, weil nicht alle Staaten dieselben Haushaltsspielräume wie Deutschland hätten, legte die estnische Regierungschefin nach. „Wenn Länder, die viel Geld haben, sich wechselseitig überbieten, wird das unsere Probleme nicht lösen“, sagte Kaja Kallas. Diese Kritik bezog sich darauf, dass Deutschland seine Gasspeicher ohne Rücksicht auf die Kosten füllte und so die Preise hochtrieb.

Auffällig war, wie auch die Kommissionspräsidentin auf Distanz zu Berlin ging, auf das sie bisher viel Rücksicht nahm. Es sei wichtig, dass alle Unternehmen die gleichen Chancen hätten, am Binnenmarkt teilzunehmen, sagte Ursula von der Leyen. Wettbewerb dürfe es nur über die Qualität geben, nicht über Subventionen. Auch für einen generellen Gaspreisdeckel zeigte sie sich offen, nachdem sie bisher stets auf die Risiken für die Versorgungssicherheit verwiesen hatte. Die Staaten seien nun besser vorbereitet, die Speicher gefüllt. Die Debatte über die genaue Ausgestaltung eines Preisdeckels begann am Freitag. Wenn sich die Regierungschefs in zwei Wochen zu einem formellen Rat in Brüssel treffen, könnten erste Beschlüsse folgen. Einige Staaten dringen auch darauf, neue, gemeinsame Kredite zu vergeben, um die hohen Preise abzufedern.

Dieser Debatte wollte Scholz den Wind aus den Segeln nehmen und erklären, warum das deutsche Milliardenpaket kein Ausreißer sei. Aus Sicht der Bundesregierung wenden andere Staaten ähnlich viel Geld auf, um ihre Verbraucher zu entlasten. Verwiesen wird etwa auf Frankreich, wo der Strompreis seit langem staatlich geregelt ist und weniger als ein Drittel des deutschen Niveaus beträgt. Auch Griechenland und die Niederlande werden genannt. Von Den Haag bekam Scholz auch volle Unterstützung, ebenso von Wien. „Wenn die Kommission nicht in die Gänge kommt, dann fangen die Nationalstaaten an, sich selbst zu helfen“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer.

Von der Leyen wird in den nächsten zwei Wochen an einem Gaspreisdeckel arbeiten. Ebenso lange wird es dauern, bis Berlin die Details der deutschen Entlastung klärt. Von beidem hängt ab, wie groß der Druck auf Scholz und der Drang zu neuen EU-Schulden noch werden.

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