- Hans Weber
- December 12, 2024
Neobarocker Finanztempel
Von einer großen Bank erwartet man eigentlich einen Prachtbau in der besten Einkaufsmeile. Die in Wien ansässige Credit-Anstalt hat in den Jahren 1894 bis 1896 alles getan, um diese Erwartung zu erfüllen.
Ihr Prager Hauptgebäude baute sie sich damals in der feinen Na příkopě 850/8 in der Nähe des Wenzelsplatzes. Und das sieht in der Tat wie ein prunkvolles Festival opulentesten Pseudobarocks aus. Und obwohl Wien die Zentrale der Bank war, spielte Prag eine so große Rolle im Geschäft, dass sie solch ein Gebäude angemessen erscheinen ließ. Schließlich waren bei der Gründung der k.k. Priv. Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe (so damals der volle Name) im Jahre 1855 führende böhmische Adlige wie Johann Adolf Fürst Schwarzenberg oder Otto Graf Chotek mit dabei.
Den Entwurf für das Prager Gebäude erstellte der in Wien lebende Architekt Emil Ritter von Förster. Der hatte sich im ganzen Habsburgerreich mit zahlreichen Großprokjekten und öffentlichen Bauten einen großen Namen verschafft und er konnte als Architekt des Wiener Gebäudes der Allgemeinen Österreichischen Bodencreditanstalt (1885-87) auch schon veritable Erfahrungen mit der Gestaltung von Finanzinstituten vorweisen. Und als ein sehr traditionalistischer Historist entwarf er nun ein Gebäude, dass Pracht mit Gediegenheit kombinierte – im schönsten Neobarock, was man besonders schön an den Dachaufbauten erkennen kann.
Am wesentlichsten zu dem „barocken“ Charakter des vierstöckigen Hauses hat jedoch wohl der Bildhauer Antonín Popp beigetragen (der uns schon u.a. hier, hier und hier begegnete), der sich für die skulpturale Dekoration des Gebäudes verantwortlich zeigte. Dazu gehören nicht nur die Putten, die dekorativ auf beiden vorderen Ecken des Dachfirstes stehen.
Als erstes dürften jedoch dem vorbeigehenden Passanten die beiden riesigen Atlanten oberhalb des Hauptportals auffallen, die einen kleinen Balkon auf ihren Schultern tragen und dabei etwas grimmig und gefährlich dreinschauend den Eingang unter ihnen zu bewachen scheinen. Da hier von keinem erfolgreichen Banküberfall etwas bekannt ist, haben sie wohl diese Aufgabe gut erfüllt. Man sieht sie auch im großen Bild oben.
Heute wird man die Mitarbeiter der Credit-Anstaltung dort vergebens suchen. Die geriet mit der Weltwirtschaftskrise 1929 in Not und wurde 1931 mit einem Rettungspaket und einer Zwangsfusionierung vom österreichischen Staat „gerettet“ und dann 1934 von der austrofaschistischen Regierung verstaatlicht. In einem schrittweisen Prozess wurde sie 1997 durch den Verkauf an die Bank Austria verkauft. Das ganze hieß nun Bank Austria Creditanstalt, was immerhin ein wenig an den alten Namen erinnerte. Aber auch diese Gebilde wurde am Ende weiterverkauft, und zwar im Jahr 2008 an die italienische Unicredit, in die sie nun völlig eingegliedert wurde. Damit war der Name auch spurlos verschwunden.
Und für die Prager Filiale hatte das sowieso kaum eine Bedeutung. Nach der Gründung der vom Habsburgerreich unabhängigen Tschechoslowakei 1918 wurden die Verbindungen zum ehemaligen Mutterhaus schrittweise gelöst. Und unter den Kommunisten gab es die Bank natürlich nicht mehr. Als der Kommunismus fiel, gab es die alte Struktur der österreichischen Credit-Anstalt schon nicht mehr. Deshalb befinden sich in dem wunderschönen neobarocken Finanztempel von dereinst heute im Erdgeschoss nur noch einige Modeläden und in den Stockwerken darüber verschiedene Büros und Kanzleien. (DD)
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