- Hans Weber
- August 16, 2024
Neues Glasmuseum in alter Glashütte
Cesty skla – Der Weg des Glases heißt die Dauerausstellung im Zentrum für Glasskunst, František Hütte (Centrum sklářského umění, Huť František) in der kleinen Stadt Sázava, das anzusehen sich schon deshalb lohnt, weil nicht nur die Sammlung beeindruckend ist, sondern weil sie auch mit der Geschichte des Museumsgebäudes eine harmonische Einheit bildet.
Denn die Glasausstellung wurde 2014 in einer alten historischen Glashütte eröffnet. Die ist schon für sich genommen als Kulturdenkmal eines bedeutenden Kapitels der Industriellen Revolution in Böhmen eine nähere Betrachtung wert. Der Namen František Hütte verewigt den Gründer, den Kaufmann und Tüftler František Kavalír. Der hatte 1821 zusammen mit seiner Frau Antonia, die aus einer örtlichen Glasmacherfamilie stammte, in der Ortschaft Těchobuz eine kleine Fensterglaserei eröffnet, versuchte dann 1828 vergeblich in Pohled eine neue Firma zu gründen, um darob 1830 als Pächter eine kleinen Glashütte in Ostředek zu reüssieren. 1834 zog er dann das große Los, als er in Sázava auf dem Grund einer alten Mühle und eines Landguts die Gelegenheit bekam, eine eigene Glashütte zu bauen, die 1837 ihren Betrieb aufnahm.
Die Glassfirma Kavalier (wie Františeks Sohn und Nachfolger Josef sie später umbenannte, weil das irgendwie internationaler klang) gibt es immer noch und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das war nicht selbstverständlich, denn die damaligen Glashütten brachten das Glas mit Holzverbrennung zum Schmelzen und meist ging nach einigen Jahrzehnten der lokale Holzvorrat zur Neige. Kavalirs Firma machte sich die Schiffbarkeit des Sázavaflusses zu Nutzen, um den Transport von weiterher zu ermöglichen, was später durch die Eisenbahn ergänzt wurde. Aber vor allem verschaffte ihm die Qualität einen großen Absatzmarkt, der sich bald international ausweitete. Insbesondere das von ihm entwickelte harte Kalium-Kalzium-Glas setzte Standards bei der Laborglastechnik für Apotheken. Sohn Josef schaffte dann einen neuen technischen Durchbruch, denn ab 1883 wurde die Hütte nicht mehr mit Holz, sondern mit Gas (Holzvergasung) betrieben, womit sich höhere Schmelztemperaturen und bessere Glasqualität erreichen ließ. Kavalier wurde zu einem Weltmarktführer.
Die Firma gründete noch etliche Produktionsstandorte in der Umgebung, von denen viele in Betrieb sind, aber diese hier spiegelt die Zeit desAnfangs und der ersten großen Blüte des Unternehmens wieder. Als Familienunternehmen expandierte Kavalier über emehrere Generationen – bis in die Zeiten der Währungskrise der 1920er Jahre, die den Auslandsmarkt zusammenbrechen ließ. 1926 übernahm die Legiobank, auch Bank der Tschechoslowakischen Legion genannt, die Firma. Das war eine Kreditbank und ein Versorgungswerk für Veteranen der Tschechoslowakischen Legionen des Ersten Weltkriegs (frühere Beiträge u.a. hier, hier, hier und hier). Die Bank musste ihre Tätigkeit bald nach Beginn der Nazibesetzung einstellen und das Unternehmen an einen Großkonzern namens Martinek verkaufen, dessen Geschäftsmodell es war, Glasfirmen von Tschechen, die von den Deutschen aus den durch das Münchner Abkommen 1938 Hitler übergebenen Sudetenlanden vertrieben worden waren, billig aufzukaufen. Nach dem Krieg wurde Kavalier zwar umgehend rekonstituiert, wurde aber noch vor Machtübernahme der Kommunisten verstaatlicht.
Unter altem Namen, aber in Staatsbesitz ließ man der Firma aber eine gewisse Autonomie und gliederte sie nicht, wie sonst üblich, in ein großes Konglomerat ein. In Sázava expandierte die Firma, die sich aufgrund von Qualität immer noch gut am internationalen Markt hielt. Es wurden große Firmengebäude errichtet (wie das Verwaltungsgebäude im Bild rechts) – mit der Nebenfolge, dass das historische Gebäude ein wenig unter die Räder geriet und vernachlässigt wurde. Was auch so blieb, als die Firma nach Ende des Kommunismus (1989) im Dezember 1990 zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt und privatisiert wurde. Nach einigen Schwierigkeiten wurde sie im Jahr 2010 unter dem Namen Kavalierglass von der Firma Ojgar übernommen, in dessen Besitz sie immer noch ist, worauf sie wieder zu einem Weltmarkenführer in Sachen Labor- und Haushaltsglas wurde.
Das alte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert musste noch ein wenig auf ein Happy End warten. 2003 wurde im bereits etwas heruntergekommenen Gebäude jegliche Produktion eingestellt. Die Rettung kam (posthum) durch den örtlichen Unternehmer und zeitweisen Bürgermeister von Sázava, Josef Viewegh (der Vater des bekannten gleichnamigen Filmproduzenten und des Schriftstellers Michal Viewegh). Der hatte kurz vor seinem Tod 2006 die Josef Viewegh Stiftung (Nadace Josefa Viewegha) ins Leben gerufen, die sich dem Anliegen widmen sollte, die Glastradition des Ortes wieder sichtbar zu machen und gleichzeitig ein in Tschechien einzigartiges Museum für moderne Glaskunst einzurichten. Mit Hilfe des Stiftungsvermögens, eifrig gesammelten Spenden und Zuschüssen der Stadt wurde 2011 das alte Hüttengebäude gekauft und zwischen 2012 und 2014 unter der Leitung des Architekten Zdeněk Žilka rekonstruiert und zu einem Museum ausgebaut, das Teile der alten Produktionshallen mit neuester Museumsdidaktik kombiniert.
Aber die bemerkenswerte und sehr ansprechende Museumsarchitektur musste natürlich auch mit entsprechender Glaskunst gefüllt werden. Da gelang der Stiftung, die zugleich den Trägerverein Cesty Skla stützt, schon im Vorfeldder Eröffnung im Jahre 2011 der große Coup. Man erwarb in der nördlich von Prag gelegenen Stadt Nový Bor, wo 1967 das große Glaskombinat Crystalex aufgebaut wurde, die riesige Glassammlung der dort seit 1982 abgehaltenen IGS International Glass Symposia, wo sich die Elite von tschechischen, aber auch internationalen Glaskunst zu einer Art Wettbewerb und ihre Produkte dort hinterließ. Um die 400 von rund 1500 originellen Exponaten, die die Stiftung erwarb, sind in einem ebenfalls originellen Museumsraum unter dem Namen Arche Noah von hinten beleuchtet in Fächern zu sehen (Bild oberhalb rechts).
Alleine in diesem Raum kann man sich stundenlang mit den unterschiedlichsten Kreationen beschäftigen, teils schick designte Gebrauchskunst, teils purer künstlerischer Schabernack, wie etwa die beiden schwarzen Vögel, die anscheinend eifrig beim Futterpicken sind (Bild links). Weil es ja eine Arche sein soll, wird das Ganze übrigens von Meeresrauschen akkustisch begleitet, während ein kleiner Fernsehbildschirm die schäumende See in Endlosschleife zeigt.
Aber auch darüber hinaus hat sich für die Dauerausstellung schon eine Menge höchst ungewöhnliches Design angehäuft, sodass das Museum sogar einen Unterhaltungswert erreicht, der es familien- und kindergerecht erscheinen lässt. Kunstgenuss und Spaß in Kombination, also – so wie die rechts abgebildeten drei Köpfe auf Säulen, darunter, neben einem bebrillten Mann, Micky Maus und der ägyptische Gott Anubis. Oder der fast lebensgroße Schweinekopf auf Teller im großen Bild oben. Dazu passt, dass in den noch überlebt habenden Produktionsanlagen, den Öfen, auch Kurse und praktische Vorführungen angeboten werden, die das Glasmetier noch greifbarer machen sollen.
Zahlreiche in der Glasdesigner-Szene bekannte Künstler, wie etwa der Prager Jiří Suchý, sind in der Ausstellung reich vertreten. Aber auch Künstler, die nur ab und an mit Glas Kunst gestalten, sind mit ihren Ausnahmewerken dabei. Etwa David Černý, der zu anarchischen Provokationen neigende Bildhauer, der in Prag viele recht glasfreie Skulpturen aufgestellt hat (wir berichteten schon unter anderem hier, hier, hier und hier), der im Museum in Sázava mit einer seltsam anmutenden Sammlung übergroßer gläserner Augen in einem ebenfalls gläsernen Kasten vertreten ist. „Ich denke, es gibt drei sinnvolle Dinge, für die Glas heute verwendet wird. Trinkgläser, Linsen für Kameras und Ferngläser und Ersatzaugen. Ich habe mich für ein Auge entschieden“, räsonnierte der Künstler, als er die Augen 2015 für eines der IGS-Happenings herstellte.
Nur rund 40 Kilometer vom Prager Zentrum entfernt liegt Sázava und kann mit dem Regionalzug leicht erreicht werden (und das Glasmuseum liegt auch noch ganz nahe beim Bahnhof). Es gibt also keinen Grund, nicht einmal einen kleinen Ausflug hierhin zu machen, zumal mit seinem weltberühmten Kloster die Stadt noch eine Sehenwürdigkeit ersten Ranges zu bieten hat. Die Gelegenheit, auf so witztige und intelligente Weise zu lernen, was man so alles an Kreativem aus Glas machen kann, bietet sich nirgendwo so schön wie in diesem Museum mit Geschichte. (DD)
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