Obdachlosigkeit in Prag – das harte Leben unter freiem Himmel

Als unsere LandesBloggerin Helene nach Prag zog, fielen ihr die vielen Menschen auf, die auf der Straße schlafen. Corona, Krieg und Inflation haben das Problem in den vergangenen Jahren verschärft.

Das Jahr neigt sich langsam dem Ende. Die Tage werden kürzer, die Nächte kühler. Die Zeit, die dickere Daunendecke zu beziehen und die Heizung aufzudrehen, rückt immer näher. Mit Beginn des Herbstes geht für viele Menschen die Zeit der Gemütlichkeit los. Nicht aber für Menschen, die ohne Dach über dem Kopf auf den kalten und nassen Straßen leben und überleben müssen.

Als ich nach Prag zog, fiel mir die erschreckende Menge an Menschen auf, die auf der Straße leben. Überall wo ich hinsah – in den Eingängen vor Geschäften, Wohnungen, Lebensmittelläden oder in den Parks – sah ich Menschen auf der Straße schlafen. Besonders am Busbahnhof Florenc und in der Nähe des Shopping-Centers in Smíchov, in Prag 5, war ich erschrocken, wie viele junge Frauen bettelten. Aus meiner Zeit in Hamburg war ich an diese Kehrseite unserer Konsumgesellschaft gewöhnt. Gerade auf dem Kiez in Sankt Pauli gehören die Obdachlosen zum Stadtbild dazu. Manche von ihnen erlangten durch Fernsehformate sogar einen gewissen Kultstatus. In Prag erschütterte mich jedoch, dass ich  nicht nur in den Touristenvierteln, sondern auch in familiären Wohnsiedlungen Obdachlose sah.

Krisen verschärfen das Problem 

Eine Studie des tschechischen Ministeriums für Arbeit und Soziales fand im vergangenen Jahr heraus, dass 270.000 Menschen in der Tschechischen Republik an Wohnungsnot leiden oder obdachlos sind. Die häufigsten Gründe für Obdachlosigkeit sind nach wie vor der Verlust des Arbeitsplatzes, Trennungen vom Partner oder Abhängigkeiten, meistens von Alkohol.

Unter Wohnungsnot leidenden Menschen verstehen die Initiatoren der Studie Menschen, die beispielsweise in einer stark überfüllten Wohnung leben. Darunter fallen häufig Kinder, die mit mehreren Geschwistern auf engstem Raum zusammenleben. Auch Personen, die in einer Wohnung ohne fließend Wasser oder Strom beheimatet sind, werden in der Studie mit inbegriffen. „Obdachlos“ sind Menschen, die Opfer des Extremfalls geworden sind und weder ein Dach über dem Kopf haben noch über ein geregeltes Einkommen verfügen, um für ihre Lebenshaltungskosten zu sorgen. In Tschechien leben im Jahr 2022 schätzungsweise 12.000 Menschen ohne Dach über dem Kopf oder in sogenannten Notunterkünften.

Da die letzte Studie aus dem Jahr vor der Energiekrise 2022 stammt, lässt sich nur vermuten, dass die Zahl der Wohnungslosen hierzulande noch weiter gestiegen ist. Denn besonders hart traf diese europaweit vor allem Menschen, die bereits unter Armut litten. Dies zeichnete sich schon bei der weltweiten Wirtschaftskrise im Jahr 2008 ab. Auch die Corona-Pandemie verschärfte die Situation der Wohnungslosen. Viele Obdachlosenunterkünfte und Hilfsangebote schlossen ihre Pforten. Obdachlose wurden sich selbst überlassen. Erschwerend kam hinzu, dass die Einnahmequellen der Wohnungslosen wegfielen. Kleingeld, das vor allem auf der Touristenmeile um den Altstädter Ring erbettelt werden konnte, Pfandflaschen oder der Erlös von sogenannten „Obdachlosenzeitungen“- all das fiel weg.

Hilfsangebote in Prag

Auf der Internetseite des Prager Sozialdienst-Zentrums werden obdachlosen Menschen vielfältige Hilfsmöglichkeiten angeboten. Neben Unterbringungen auf Zeit und humanitären Hilfsangeboten, wie die Versorgung mit Kleidung, Lebensmitteln und Hygieneartikeln, gibt es das sogenannte „Feldprogramm“.

Diese „Feldprogramme“ werden auf zwei Arten umgesetzt. Zum einen wird Menschen ohne Bleibe soziale und psychologische Beratung angeboten und ihnen wird – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten – eine Grundbehandlung durch medizinisches Fachpersonal angeboten. Dabei steht vor allem die Prävention von Infektionskrankheiten und deren Ausbreitung in den Obdachlosenunterkünften.

Ein weiterer Aspekt der Feldprogramme ist es, die Obdachlosen, die auf dem Territorium der tschechischen Hauptstadt leben, zu überwachen. Überwachen klingt ein wenig drastisch, aber dabei geht es weniger um Kontrolle, sondern darum, dass sich die Organisation um den Aufenthalt, Migrationsangelegenheiten und professionelle Sozialberatung kümmert. Konkret bedeutet dies, die Obdachlosen über ihre Rechte und ihre Pflichten aufzuklären. „Wesentlicher Inhalt der Arbeit ist die Vermittlung zusätzlicher sozialer Hilfen und deren Unterstützung bei deren Inanspruchnahme sowie die Einbindung der Klienten in das Netzwerk der angebotenen sozialen Dienste, heißt es auf der Seite der Organisation.“

Die Hauptzielgruppe der Programme sind Obdachlose in Prag, aber auch Personen, die allgemein von sozialer Ausgrenzung bedroht sind.

Mehr Informationen zu den Hilfsangeboten und wie man selbst aktiv werden kann, sind auf der Webseite https://www.csspraha.cz/terenni-programy-pro-osoby-bez-pristresi zu finden.

Article by Helene Schaarschmidt

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