- Hans Weber
- April 24, 2025
Originelle Kombination
Das ist ein frühes Beispiel fúr das, was man heute manchmal leicht abschätzig Fassadismus nennt. Ein Gebäude wird völlig neu gebaut, aber außen bleibt die alte Fassade erhalten. Im Sinne des Erhalts von alten Stadtbildern ist das oft ja auch sinnvoll, aber es trägt meist keinen eigenen architektonischen Wert in sich. Das hier abgebildete Haus in der Vocelova 935/2 (mit Fassadenseiten zu den Straßen Jugoslávská und Legerova) in Vinohrady (Prag 2) ist eine Ausnahme. Hier entstand ein kreatives Ineinandergreifen von alt und neu.

So begann es: In den Jahren 1895 bis 1896 wurde hier an der Stelle, wo sich zuvor die 1874/75 abgerissene Stadtmauer der Neustadt befunden hatte, ein vierstöckiges Wohn- und Mietshaus gebaut. Der Architekt war Karel Janda, ein Spezialist für große Miets- und Apartmenthäuser. Das Haus folgte dem damaligen Modetrend der Prager Architektur und war ein Stück echten Historismus, in diesem Falle in seiner neobarocken Ausfertigung. Es war stilistisch vielleicht kein Gebäude, das man als grundlegend innovativ oder originell bezeichnet hätte, aber seine Stuckfassade war besonders opulent gestaltet, mit vielen Skulpturen an allen Seiten, Pilastern, Maskaronen und floralen Motiven. Es sah zumindest recht beeindruckend aus. Zu schön, um es zu zerstören.

Normalerweise hatte man da in den Zeiten des Fortschritts-optimismus der 1920er Jahre in der Ersten Republik wenig Skrupel. Historistischer Pomp war out, nüchterner Funktionalismus im Kommen. Und in genau diesen Zeiten wurde der Plan in Angriff genommen, das Gebäude einem anderen Zweck zu widmen und dafür kräftig umzubauen. Der Bildungsunternehmer Tomáš Madera erwarb damals das Haus, um hier eine private Handelsschule einzurichten, die dann 1926 – nach Abschluss der Bauarbeiten – eröffnet wurde..

Das erforderte einen radikalen Umbau, mit dem er die Architekten Pavel Moravec und Tomáš Pražák beauftragte, die später zu den Pionieren des Prager Funktionalismus gehörten (ein Beispiel dafür präsentierten wir hier). Da aber aus irgendeinem Grund beschlossen worden war, die schöne alte Fassade zu erhalten, aber sonst im Kern einen Neubau zu wagen, mussten sich die Architekten hier eine kreative Lösung ausdenken, die nicht phantasieloser Fassadimus war, aber das Neue ästhetisch einpasste und zugleich zweckmäßig war. Letzteres machte ein zusätzliches Stockwerk notwendig. Durch die Vertafelung aus dunklem Metall entstand etwas Neues, das aber einen leichten Anklang an die typischen Walmdächer von (neo-) barocken Häusern erkennen ließ.

Ansonsten wurde die alte Stuckfassade, hinter der sich im Prinzip nun ein neues Gebäude befindet, in eine moderne und optisch abgehobene Struktur eingehängt. An den beiden äußeren Ecken umrahmt das neue Gebäude um die alten Fassaden-Wände. Die vertikalen Strukturen sind beide unterschiedlich, einmal mit einem großen Erker, einmal mit kleinen Balkonen gestaltet (letzteres sieht man im Bild links unterhalb). Wenn es denn Fassadismus ist (wofür wir ein anderes Beispiel in Prag bereits zeigten), dann eine recht kühne Variante davon.

Die Dachaufbauten sind in einem oft Purismus genannten, sehr expressionistischen Stil gehalten, der moderne Abstraktion mit klassischer Formgebung in Einklang bringen wollte. Die eleganten geschwungenen Formen sind zwar (im damaligen Verständnis) ultramodern, passen aber erstaunlich harmonisch zu den geschwungenen Formen, wie für den Barock typisch waren.
Äußerlich blieb das Gebäude bis heute so, wie es auch heute noch ist. Aber hinter den Fassaden gab es wieder große Veränderungen. Die Schule wurde unter den Kommunisten geschlossen und 1951 wieder in ein Wohn- und Mietshaus zurückverwandelt. Das blieb so, auch als der Bau der unmittelbar nahen Metrostation I.P. Pavlova (wir berichteten hier) Teile des Kellers durch den Durchbruch für eine Eingangs-Treppenhaus tangierte. Heute gibt es hier Mieteinheiten und im Erdgeschoss residiert eine Bankfiliale. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude schön renoviert, so dass es würdig als das erscheint, was es ist: Eine originelle Kombination zweier Baustile aus zwei Bauepochen. (DD)
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