Palais gegenüber des Abgeordnetenhauses

Dass man in einer Straße in bester Lage sich leisten kann, seinen Palast deutlich aus der Häuserfront herausragen zu lassen, um so einen besonders privilegierten und ranghohen Eindruck zu vermitteln, zeugt von einem hohen Selbstbewusstsein, das man sich leisten können muss.

Das Adelsgeschlecht Czernin von Chudenitz konnte sich nach ihm benannte Palais Czernín (Černínský palác) in der noblen Sněmovní 174/7 auf der Kleinseite durchaus leisten. Es begann mit Hermann Czernin von Chudenitz, der nach dem Ständeaufstand 1618 treu auf der katholischen und habsburgischen Seite gekämpft hatte und nach dem Sieg bei der Schlacht  am Weißen Berg 1620 (wir berichteten u.a. hier) nicht nur mit dem Grafentitel (1627), zahlreichen höchsten Ämtern und Würden belohnt wurde. Im Juni 1621 überwachte er auf dem Altstädter Ring die Hinrichtung der Anführer der Aufständischen, zu denen auch sein Bruder Diwisch (Diviš) Czernin von Chudenitz (einer wenigen Katholiken unter den Rebellen) gehörte, was man kaltherzig nennen kann, aber den Habsburgern als ganz besonderer Treuebeweis galt. Als Bonus bekam er noch 66 Besitztümer, die von den Unterlegenen konfisziert worden waren.

Somit erwarb er sich auch den Palais, der damals aber noch anders aussah als heute. Ursprünglich stand hier ein gotisches Haus, das aber beim Großen Feuer von 1541, das Kleinseite und Teile der Burgstadt niederbrannte, weitgehend zerstört wurde, und danach durch ein großes Palais im Stil der Renaissance ersetzt wurde und in das Herrman Czernin von Chudenitz nun einzog. Aber auch von diesem Bau finden sich nur noch sehr wenige sichtbare Spuren. Richtig einflussreiche Adelsfamilien in Prag hatten im 17. Jahrhundert oft zwei Palais‘ in der Umgebung der Burg – einen großen oben der Burgstadt (Hradčany) und einen meist kleineren unterhalb auf der Kleinseite. Das galt für Familien wie den Sternbergs (wir berichteten hier über deren Palast bei der Burg und hier über den auf der Kleinseite) oder den Lobkowiczs (oben hier, unten hier). So auch die Czernin von Chudenitzs. Deshalb darf man das Gebäude in der Sněmovní auf der Kleinseite – trotz des selben Namens – nicht mit dem ungleich größeren Palais Czernin (Černínský palác) oben in der Burgstadt verwechseln, das Humprecht Johann Joseph Graf Czernin von Chudenitz, ein Neffe des zuvor genannten, 1664 bauen ließ und das heute das tschechische Außenministerium beherbergt.

Grundsätzliche bauliche Veränderungen unteren Palais ließ erst Franz Joseph, Reichsgraf Czernin von Chudenitz, der es u.a. zum kaiserlichen Erbmundschenk und etlichen Richterämtern gebracht hatte, in den Jahren 1711 bis 1713 durchführen. Für deren Planung heuerte er den bekannten Architekten Franz Maximilian Kaňka (wir erwähnten ihn u.a. bereits hierhierhier und hier) an, einem der großen Meister des Prager Barocks. Es entstand im wesentlichen das Gebäude, das wir heute (zumindest außen) sehen. Kaňka war so etwas wie der Hausarchitekt der Familie, denn er bekam auch bald darauf den Auftrag von den Czernins, den größeren Palais oben in der Burgstadt barock umzugestalten, was dann in den Jahren 1717 bis 1731 geschah.

Das zweistöckige Gebäude mit einer asymmetrischen Fassade (das Eingangstor ist nicht zentriert), die der leichten Krümmung der Straße folgt, ist durch feine Pilaster strukturiert. Insgesamt ist die die Ornamentik stilvoll und wenig überladen (was im Barock passieren konnte). Die dekorativen Fassadenelemente aus Stuck sind größtenteils floraler Natur (etwa Blumenkörbe). Im Zentrum stehen jedoch sehr auffällige eher maritime Motive – ein Walfisch und der antike Meeresgott Neptun, der auf einem Wal reitet. Welche Beziehungen der reichsgräfliche Auftraggeber zu Meer und Seefahrt hatte, ist mir nicht bekannt. Möglicherweise keine, aber solch antike Seemotive waren in dieser Zeit generell en vogue.

Als der Reichsgraf 1733 starb, verloren seine Erben schnell irgendwie das Interesse am Palais. Im Jahr 1739 verkaufte man es an den Kaiserlichen Kämmerer und Oberpostmeister Johann Peter Nell von Nellenberg. Danach gab es etliche Eigner, etwa den Geheimen Hofrat Johann Nepomuk Karl Wenzel Freiherr Henniger zu Seeberg, der 1800 durch den Architekt Zacharias Fiegerth geringfügige Veränderungen im klassizistischen Stil durchführen ließ – ein wenig sichtbar der Fassade des Innenhofs. Weitere kleinere Umbauten erfolgten 1868. Und auch etliche prominente Bewohner des Gebäudes gab es, das wahrscheinlich Ende des 19. Jahrhunderts aufhörte ein Palast zu sein, sondern in Mietswohnungen und Büro aufgeteilt wurde. In den 1950er Jahren lebte hier der Filmregisseur Václav Krška, der u.a. bekannt wurde durch seine Verfilmung der Oper Dalibor von Bedřich Smetana, die 1956 bei den Filmfestspielen in Cannes ein großer Erfolg war. Ein Jahr nach dessen Tod 1969 zog der bekannte Schauspieler Eduard Cupák ein, der u.a. in dem erfolgreichen Film Jan Hus von 1954 mitgewirkt hatte.

Nach dem Ende des Kommunismus 1989 wurde das Gebäude mehrmals gründlich und außerordentlich hübsch renoviert. Sieht man sich die heutigen Mieter an, so sieht man, dass man sich ganz in der Nähes des Abgeordnetenhauses (das ist die Erste Parlamentskammer) im  Palais Thun (Thunovský palác) befindet – genauer gesagt: Direkt gegenüber. Vom Eingang des Palais‘ aus kann man den Eingang des Parlaments sehen (siehe Bild rechts). So hat sich im Erdgeschoss den privilegierten Platz an der Sonne des tschechischen Volkssouveräns und der Legislative zum Beispiel das Konsulat des Fürstentums Monaco gesichert. Besser konnte man es nicht getroffen haben! Auch zum Senat (der zweiten Kammer des Parlaments) ist es auch nur einige Schritte weit.

Im ganzen Erdgeschoss hat sich das Eventzentrum Sněmovní 7 niedergelassen. Hier finden in verschiedenen Eventräumen Seminare, Workshops, aber auch gesellige Events in unmittelbarer Nähe des Parlaments statt. Wer die vollen Terminkalender von Abgeordneten kennt und weiß, dass die nie viel Zeit haben, hat hier die ideale Location gefunden, denn will man mit den Abgeordneten bei einem Seminar diskutieren, müssen die sich bei dem kurzen Weg über die Straße nicht viel Zeit nehmen. Kern des Zentrum ist der architektonisch sehr interessante Säulensaal (sloupový sál), der bei der post-kommunistsichen Renovierung entstand. Dieser größte der Konferenzräume spielt geschickt auch barocke Vorbilder an, ist aber mit seiner Betonkonstruktion durch und durch modern.

In den Seminarpausen kann man dann die Atmosphäre des Palais‘ genießen. Wem der Lärm der Straße die kontemplative Stimmung nimmt, der bleibt am besten in dem geschmackvoll und zurückhaltend gestalteten quadratischen Innenhof, der so etwas wie eine gepflegte Ruheoase ist – wie es sich für einen Barockpalais gehört. Alles sehr friedlich und auf demokratischen Dialog in gepflegter Umgebung angelegt, was man trotz des martialischen und recht rohen Beginns des Aufstiegs der Familie Czernin von Chudenitz, die es sich einst leisten konnte, ihren Palast in die Straße hineinragen zu lassen, konzedieren muss. (DD)

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