Palast mit Durchgang

Vorne eine kleine Fassade mit viel Prunk, hinten eine große Fassade mit wenig Prunk. Und ein öffentlicher Durchgang, der beide Seiten für den Passanten verbindet – das ist das Palais Hartig (Hartigovský palác).

Das Gebäude – genauer: die kleinere/schönere Seite – befindet sich in der südwestlichen Ecke des oberen Teils des Kleinseitner Rings (Malostranské náměstí 259/12). Bevor hier das Barockpalais errichtet wurde, standen hier zwei gotische Häuser, die später im Stil der Renaissance überarbeitet worden waren. Die beiden Häuser wurden schon 1645 miteinander verbunden und aus der zwischen ihnen hindurchführenden Gasse wurde der heute sichtbare öffentliche Durchgang. 1701 begann man schließlich mit dem Bau des Palais nach den Plänen des bekannten Barockarchitekten Giovanni Battista Alliprandi. Nach dessen Tod 1720 wurde der Bau von seinem Kollegen Franz Maximilian Kaňka weitergeführt und 1722 fertiggestellt. Er gehörte nun Antonia Josepha Gräfin von Czernin, der Witwe des 1710 verstorbenen Hermann Jakob Graf Czernin von Chudenitz, der die Fertigstellung des von ihm in Auftrag gegebenen Bauwerks nicht mehr erlebte. 1735 verkaufte sie das Palais an Maria Theresia Gräfin von Hartig, die Witwe des gerade soeben verstorbenen Diplomaten und Kaiserlichen Statthalters für Böhmen Ludwig Josef Graf von Hartig. Um 1795 wurde die große/schmucklosere Fassade an der Tržiště-Straße durch den Architekten Matthias Hummel gestaltet. Obwohl die Erben das Ganze 1821 wieder verkauften, wurde die Grafenfamilie Hartig Namensgeber des Palais.

Von den Grafen Hartig kaufte es nun der Kaufmann und Astronom John Parish Freiherr von Senftenberg, dessen Nachfahren es 1873 an den Landesausschuss von Böhmen verkauften, der so etwas wie die Landesregierung des böhmischen Teils des Habsburgerreiches war. Der stellte es dem sogenannten Landesfonds (Zemský fond) zur Verfügung, einer formell unabhängigen Institution, die sich um die Finanzierung von Kultur, Bildung und Infrastruktur kümmerte. Damit das Gebäude den neuen öffentlichen Aufgaben gerecht wurde, kam es innen immer wieder zu kleineren Umgestaltungen und Anpassungen. Auf der schönen Fassade ist der geradezu hoheitliche Charakter des Hauses durch einen Böhmischen Löwen in Stuck gekennzeichnet.

Von 1908 bis 1913 kam es zu einem größeren Umbau, als in den Innenhofbereich ein dreistöckiges Haus eingesetzt wurde, das aber von außen nicht sichtbar ist. Im Durchgang selbst merkt man allerdings, das hier – wo sich zuvor noch ein rein barocker Innenhof befand- auf einmal die Moderne einzog. Als Architekt zeigte sich ein gewisser V. Jareš verantwortlich, über den ich sonst keine Informationen finden konnte. Auf jeden Fall ist es ihm aber gelungen, die moderne Architektur sehr geschmackvoll und harmonisch in das alte Gebäude einzupassen.

Geht man vom Kleinseitner Ring unter dem Wappenlöwen und durch den Durchgang hindurch, ist man auf der anderen Seite, die – wie gesagt – schlichter und klassizistischer gestaltet ist. Aber durch seine Größe strahlt er eine gewisse visuelle Dominanz in diesem Teil der Stadt aus, der an Pracht-Palais‘ keineswegs arm ist.

Die Tržiště-Straße führt hier von hier steil nach oben. Von hier aus erreicht man zu Fuß schnell den Palais Lobkowicz (wir stellten ihn hier vor), in dem sich heute die deutsche Botschaft befindet. Dieser Palais ist ebenfalls ein Werk des Architekten Giovanni Battista Alliprandi – genau wie der Hartigovský palác.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zog hier die frisch gegründete Akademie der Bildenden Künste Prag (Akademie múzických umění v Praze, AMU) ein, die hier mit den Fakultäten für Musik, Film und Fernsehen und Theater residiert. Dazu gehört eine kleine Galerie, in der Künstler der AMU Ausstellungen veranstalten.

Ach ja, auf der großen Seite zur Tržiště findet man noch eines der wenigen architektonischen Relikte der vorbarocken Bauphase. Bei der Gestaltung der klassizistischen Fassade ließ man einen (stilistisch passenden) Torbogen aus der Renaissance bestehen und integrierte ihn in die Fassade. Der mit grobem Bossenwerk oder Rustizierung ausgestattete Bogen dient heute als Schaufenster der Buchhandlung der Akademie. Daneben befindet sich ein sehr ähnlicher Torbogen, der aber neueren Datums ist und den Renaissancestil nur nachempfindet. Im Bild sieht man ihn rechts im Hintergrund. Man erkennt ihn daran, dass er über dem Tor einen Schlussstein hat. (DD)

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