Präsidentenhaus wieder Bürgernah

Dass der Königliche Garten (Královská zahrada) neben der Prager Burg in den 1980er Jahren für normale Menschen fast vollständig gesperrt war, hat etwas mit diesem Gebäude zu tun: Dem Präsidentenhaus (prezidentský domek).

Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, denn der Garten wimmelt in der Urlaubssaison nur so von Touristen aus aller Welt, die die schöne Gartenanlage und die unübertrefflichsten Renaissancebauten Prags bewundern, den berühmte Ballsaal (Míčovna), über den wir hier berichteten, und das sogenannten Lustschlösschen der Königin Anna (Letohrádek královny Anny, siehe auch hier). Kurz: Er ist eine Top-Attraktion. Weshalb sollten Besucher diesen Garten nicht betreten dürfen? Und was hat das mit dem Präsidentenhaus zu tun. Nun, obwohl nicht das auffälligste Gebäude in diesem Garten, kann es doch eine interessante Vorgeschichte aufweisen.

Der erste Präsident nach der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918, Tomáš Garrigue Masaryk, hatte einen Flügel der Burg durch den slowenischen Architekten Josip Plečnik zum Amtssitz des Präsidenten umbauen lassen. Als Masaryk 1937 beabsichtigte sein Nachfolger, der ehemalige Außenminister Edvard Beneš, den Amtssitz um eine Residenz, d.h. einen Wohnsitz, zu ergänzen, der möglichst nahe am Amtssitz. Auf dem Königlichen Garten fand man ein Gebäude, das das Potential für ein angemessenes Präsidentenheim hatte. Es handelte sich um Reste einer königlichen Orangerie, die in den Jahren 1731 bis 1737 nach Plänen des berühmten Barockarchitekten Kilian Ignaz Dientzenhofer, über den wir u.a. schon hierhierhier und hier berichteten, erbaut wurde. Ursprünglich hatte Beneš an das reichlich überdimensionierte Ballhaus gedacht, aber der von ihm angeheuerte Star-Architekt Pavel Janák (siehe frühere Beiträge u.a. hierhier und hier) redete ihm das mit Hilfe der stilsicheren Ehefrau des Präsidenten, Hana Benešová, wieder aus.

Das Fragment der alten Orangerie bot für Janák, der als einer der großen Meister des Kubismus und Funktionalismus in der Republik galt, die Möglichkeit, eine reizvolle Kombination barocker und moderner Architektur zu entwickeln. Von der Orangerie blieb das Mittelstück erhalten, das nun symmetrisch von zwei dezent klassizistisch angehauchten modernen Flügeln eingerahmt wurde (siehe großes Bild oben). Wer den heutigen – barocken – Mittelteil durch den Haupteingang betritt, kann dort noch schöne – ebenso barocke – Deckenmalereien und Stuckaturen bewundern, während der Rest des Gebäudes elegant funktional gestaltet ist. Bis Ende der 1980er Jahre benutzten alle Präsidenten nach Beneš das Haus als ihre Residenz. Zu denen gehörte auch der erste kommunistische Präsident Klement Gottwald. Nicht immer ging man unter den Kommunisten gut mit diesem Gebäude um. Antonín Novotný ließ in den 1960ern Zwischengeschosse entfernen und Gustav Husák in den 1970ern Schwimmbad, Sauna und einen zusätzlichen Balkon einbauen. Heute würde man eventuell mit Werken von Dientzenhofer und Janák behutsamer umgehen.

Die kommunistischen Präsidenten schienen sich ihrer vorgeblichen Volksnähe und Popularität nicht so sicher zu sein, Sie fühlten sich irgendwie stets bedroht. Es wurden immer mehr Sicherheitsvorkehrungen getroffen, zu denen auch eine Ausweitung der Sicherheitszone um das Haus gehörte. Oder in anderen Worten: Immer mehr Teile des Königlichen Garten wurden für die Öffentlichkeit gesperrt. Noch einige Zeit konnte man wenigsten den weit abgelegenen Ostteil des Gartens mit dem Lustschlösschen betreten. Unter Husák entwickelte sich in den 1980ern das Ganze zur Paranoia (oder war es eine Vorahnung, dass das Regime am Ende des Jahrzehnts fallen würde?). Bald wurde der ganze Garten geschlossen. Auch der benachbarte Hirschgraben (Jelení příkop), über den wir hier berichteten, wurde geschlossen – genau wie der Turm des Veitsdoms (Katedrála sv. Víta , wir berichteten u.a. hier), auf dem sich ja Scharfschützen unter die Touristen hätten mischen können. Alle Gebäude der Umgebung mussten nachts verdunkelte Fenster haben.

1989: Die Demokratie kam und mit ihr Václav Havel als neuer Präsident. Der fand, dass sein privates Domizil ausreiche, und dass er die Residenz nicht brauche. Sein Nachfolger Václav Klaus beschloss, die Villa ganz aufzugeben, um ein günstiger gelegenes Domizil zu nutzen. Die klassizistische Lumbe Villa, die rum 900 Meter westlich des alten Präsidentenhauses gelegen ist, wurde renoviert und von Klaus fortan als Residenz bewohnt. Sein Nachfolger Miloš Zeman tat es ihm gleich. Seit dem Frühjahr 2023 ist nunmehr der ehemalige General Petr Pavel gewählter Präsident. Der erklärte gleich, dass er und seine Frau Eva an Werktagen ebenfalls in der Lumbe Villa residieren möchten, aber die Wochenenden lieber im 30 Kilometer nördlich von Prag gelegenen privaten Wohnhaus in Černouček verbringen wollten.

Das wirft die Frage auf: Was geschieht mit dem alten Präsidentenhaus, das dereinst im Auftrag von Präsident Beneš erbaut wurde? Immerhin handelt es sich ja um eine nicht unbedeutendes Baudenkmal. Nun, schon unter Klaus und Zeman wurde das Gebäude ab und an für die Übernactung von Staatsgästen verwendet. 2016 wurde das Gebäude gründlich renoviert, weitere Renovierungen sind geplant. Unter Präsident Pavel wird das Haus nicht nur für Staatsgäste genutzt, sondern ab und an auch für öffentliche Kulturveranstaltungen. Das Photo rechts stammt von einer im Oktober 2023 vom Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren (Pražský literární dům autorů německého jazyka), über das wir schon hier berichteten, organisierten Lesung mit dem Poeten Petr Borkovec, den die Prager Stadtregierung 2022 zum offiziellen Prager Stadtdichter auswählte.

Das Präsidentenhaus ist zwar kein wirkliches Präsidentenhaus mehr, aber es weist nun mehr echte Bürgernähe auf als je zuvor eine Bürgernähe, die es in den Zeiten Husáks vollständig verloren hatte. (DD)

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