Slawisches Götter-Original im Zoo

Er ist kein Tier, sondern ein Gott, obwohl er plötzlich im Prager Zoo vor einem steht: Radegast – als Gott des Lichts, des Feuers, aber auch des Lebens galt er den vorgeschichtlichen Slawen. Je nach Stamm oder Gegend hieß er auch Svarožić, Dažbog oder im Tschechischen oft auch Radhošt. Vielen Menschen, die schon ein wenig in Tschechien herumgekommen sind, kommt diese Statue irgendwie bekannt vor. Steht die nicht eigentlich ganz woanders?

In der Tat ist eine völlig identisch aussehende Figur eine der zentralen Touristenattraktionen auf dem Kamm des 1129 Meter hohen Berg Radhošť in den Mährischen Beskiden im Nordosten des Landes. Oben auf dem Berg sollen die Slawen der vorchristlichen Zeit den Sitz des Gottes vermutet haben, weshalb sie dort anscheinend gerne zur Götterverhrung hinaufpilgerten. Heute tummeln sich hier immer noch unzählige Menschen, um dem Radegastkult zu huldigen, der sich allerdings mehr um die bekannteste und sehr süffige Lokal-Biermarke gleichen Namens dreht, die in der mährisch-schlesischen Region um den Berg herum sehr populär ist. Direkt neben der Statue gibt es einen Souvenirladen mit Trinkbude, wo dem müden Wanderer dieses Hopfengetränkt zur rituellen Erfrischung offeriert wird. Wie man im Bild links sieht, wird das Angebot gerne angenommen.

Zurück in den Zoo: Obwohl die Statue auf dem Radhošt bekannter ist, ist doch die Statue im Prager Zoo (Bild rechts), der eigentlich kein traditioneller Kultort für Radegast ist, genauso ein Original wie die auf dem mährischen Berg, ja sogar im Grunde noch originaler – was selbst in Prag niemand weiß und in den Beskiden niemand zugeben würde. Der Künstler kam sogar aus der mährisch-schlesischen Region. Allerdings war Albín Polášek schon 1901 von Böhmen in die USA ausgewandert, wo er eine große Künstlerkarriere machte. An seinem letzten Wohnort in Winter Park in Florida, wo er 1965 starb, ist ihm heute sogar ein eigenes großes Museum gewidmet. An den Geschehnissen in seiner alten Heimat hatte er aber immer noch Interesse. Gerne schenkte er seine Werke in die ferne Tschechoslowakei (ein Beispiel stellten wir hier vor). 1930 beschloss er, seinem Land einen Radegast zu schenken. Einen? Nein, zwei! Denn – möglicherweise um Transportkosten zu sparen – wählte Polášek die Beton-Gusstechnik für die geplante Statue. So konnte er seinen Entwurf in den USA machen und die Herstellung in einer Prager Gießerei vornehmen lassen. Dort ließ er aus der Form gleichzeitig zwei Statuen des Radegast gießen. Eine war für den Bergkamm des Radhošt, wo sie Teil eines slawischen Götterhains hätte werden sollen. Da wurde sie auch aufgestellt und stand dort bis 1998 unverändert – bis sie durch Wind und Wetter so erodiert war, dass sie durch eine exakte Kopie ersetzt wurde. Die andere, gleichzeitig gegossene Statue, die ja ebenso ein Original war, sollte in dem Garten eines kleinen Hauses in den Beskiden aufgestellt werden, dass sich Polášek als Altersruhesitz ausgeguckt hat, denn seinen Lebensabend wollte er in seiner alten Heimat verbringen.

Daraus wurde nichts. Weder in der Nazizeit, noch nach der Machtübernahme durch die Kommunisten hatte er Lust auf eine Rückkehr. Er kehrte nie mehr in sein Heimatland zurück. Die Idee des Götterhains auf dem Berg wurde aufgegeben. Dass er die Kommunisten nicht mochte, machte er noch einmal 1956 in den USA klar, als er die Statue Victory of Moral Law (Sieg des moralischen Gesetzes) entwarf, die ein wütender Protest gegen die sowjetische Niederschlagung des Aufstands in Ungarn war. Und so blieb der Künstler in Amerika, während eine Originalstatue auf dem Berg stand und die andere Originalstatue… Äh, nun, wo war die?

Das wusste man lange Zeit nicht. Anfang 1960 fanden Arbeiter bei Aushubarbeiten auf dem Gelände der Prager Gießerei, wo die beiden Statuen gegossen worden waren, dann überraschend genau diese Statue unversehrt und gruben sie aus. In den Wirren der Zeit war sie vergraben und vergessen worden. Die zuständige Denkmalbehörde machte sich kurz Gedanken darüber, was man mit dem Fund nun so tun sollte. Sie fand, dass der alte Slawengott eine leicht tierische (zoomorphe) Gestalt habe und auch allerlei Tiersymbolik bei sich trug. Sie beschloss, das Radegast im Prager Zoo aufgestellt werden müsse. Gesagt, getan: 1961 wurde er auf einer Anhöhe im Zoo, etwas über dem heutigen Wolfsgehege, aufgestellt. Und da steht er noch heute.

Die gut erhaltene 3,20 Meter hohe und 1400 Kilogramm schwere Betonstatue stellt Radegast so dar, wie man ihn sich wohl zu Zeiten Polášeks wildromantisch vorstellte. Detaillierte Kunstwerke mit Radegasts Abbild aus der Zeit der vorchristlichen Slawen im heutigen Mähren gibt es nicht. Genauere Beschreibungen tauchen erst in späteren (christlichen) Chroniken auf, etwa der um 1076 entstandenen Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (Taten der Bischöfe von Hamburg) des  Adam von Bremen, deren Schilderungen man aber nicht immer wörtlich nehmen sollte, da sie aus einem parteiischen Standpunkt heraus und mit geringer Ortskenntnis verfasst wurden. Spätere Darstellungen folgten solchen Beschreibungen. So hat Polášek in eine sehr Phantasievorstellung von der Gestalt des Slawengottes (mich erinnert sie eher an indonesische Skulpturen) mit überlieferten Insignien kombiniert. Zu denen gehört natürlich zuvörderst das auf dem Brustpanzer befindliche Sonnensymbol, ohne das wohl kein echter Gott des Lichtes und des Feuers auskommen kann. Man kann das schön auf dem großen Bild oben erkennen.

Und dann ist da die reiche Tiersymbolik, die die Behörden am Ende dazu verleitete, Radegast im Zoo aufzustellen. Dazu gehört der ebenfalls im Bild oben erkennbare Helm aus einem Stierkopf. Und dann ist das noch die seltsame Ente, die er in der Hand hält, und die auf einem Füllhorn sitzt.

Was die Tiersymbolik genau bedeuten soll, erklärt sich schwer (insbesondere bei der Füllhornente, obwohl die Verehrung von Enten bekanntermaßen ein vollendeter Ausdruck hochkultureller Entwicklung ist), aber die Attribute von Radegast sind Teil eines Kanons, den man unter patriotischen Panslawisten seit Ende des 19. Jahrhunderts generell verwendete. Für seine Popularisierung sorgte unter anderem Josef Růžička, ein tschechischer Professor für Mediävistik mit Hang zum Mystischen, dessen Bücher Slovanské bájesloví von 1906 oder das populärwissenschaftliche Werk Slovanská mythologie: pro lid českoslovanský (Slawische Mythologie für die tschechoslowakischen Menschen) von 1924 einen großen Einfluss auf die Darstellung der slawischen Götterwelt ausübte. Auch der damals ungeheuer bekannte Historienmaler Mikoláš Aleš (frühere Beiträge u.a. hier und hier) sorgte mit seinem Bilderzyklus Život starých Slovanů (Das Leben der alten Slawen) von 1891 für ein feststehendes Bild des alten Gottes, das dann den Bildhauer Polášek inspirierte.

Zu dem Attributekanon der Radegast-Darstellung gehörte auch meist eine Axt. Das hat Polášek bei der Ausführung zu der Idee verleitet, ein wenig echtes Lokalkolorit hinzuzufügen. Radegast stützt sich bei seiner Statue auf eine Art Wanderstock mit einem Beil, das auch als Griff dient. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Valaška, eine für die Gegenden der Tatra und der Beskiden typische Hirtenaxt, die man bei den Bewohnern der Gegend um den Radhošť-Berg oft fand.

Wie gesagt: Die Statue auf dem Berg wurde 1998 gegen eine Kopie ausgetauscht. Dabei war sie schon einmal im Jahre 1982 gründlich restauriert worden, wobei die Ente, die schon 1931 durch einen Blitzschlag zerstört worden war, nach einer Photographie wiederhergestellt wurde. Deshalb ist man in Prag stolz, noch ein echtes Original zu haben, wie es echter nicht sein kann. Ganz richtig ist das aber nicht. Möglicherweise ist auch die dortige Infotafel (Bild rechts), die das behauptet, nicht aktualisiert worden. Denn die erodierte und ausgetauschte Reststatue vom Berg Radhošt wurde in die nahegelegene Stadt Frenštát pod Radhoštěm (dem Geburtsort von Polášek) transportiert. Da hörte man lange Zeit nichts mehr von ihr. Aber sie wurde dort so gut es ging restauriert und dann erst im Jahre 2014 im örtlichen Rathaus-Foyer aufgestellt. Sollte man also mal irgendeine bürokratisch relevante Angelegenheit dort zu erledigen haben, kann man also doch noch ein Original besichtigen. Aber das sollte man nicht den Leuten vom Prager Zoo erzählen, die doch so stolz verkünden, der Welt das einzig wahre zugängliche Original zu zeigen. (DD)

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