Stahl – dem Brudervolk entrisse

Der in den Jahren 1976/77 gebaute Wasserturm Děvín (Vodárenská věž Děvín) thront hoch über dem Naturschutzgebiet des Prokoptals (Prokopské údolí) und neben dem denkmalgeschützten Areal der altslawischen Wallburg von Děvín (hrad Děvín) – über die wir hier berichteten – im Südwesten Prags. Man glaubt es kaum, aber das im Stil des sozialistischen Brutalismus als Stahl, Glas und Beton konstruierte Gebäude nimmt sich tatsächlich recht dekorativ aus in seiner Umgebung.

In den 1970er Jahren wurden etwas unterhalb größere Wohnsiedlungen im Ortsteil Dívčí Hrady erbaut. Die benötigten natürlich eine Wasserversorgung. Mit dem Bau des dazu notwendigen Wasserturms beauftragte man die (damals staatliche) Firma Stavoprojekt, die dann 1972 für die Planung die Architekten Karel Hubáček und seinen Kollegen Zdeněk Patrman anheuerte, die bereits wegen ihres gemeinsamen Entwurfs für den imposanten Fernsehturm Ještěd (1973) im Jeschkengebirge berühmt geworden waren. Man zog also durchaus Meister ihres Fachs heran, damit hier ein Turm entstehen möge, der sich nicht als schrecklicher Fremdkörper in der Landschaft erweisen sollte – eine ästhetische Rücksichtnahme, die man in kommunistischen Zeiten nicht immer walten ließ. Unter den vielen Wassertürmen, die in dieser Zeit gebaut wurden, ragt er optisch schon positiv heraus.

Die Architekten schufen einen aus drei gleichwinklig zueinander stehenden Pfeilern mit Stahl-Ummantelung bestehenden Turm, dessen Zwischenräume mit Glas versiegelt wurden, sodass die Treppe innen windgeschützt war. Das ist eine recht einzigartige Konstruktion für Nutzgebäude dieser Art. Auch technisch unterscheidet sich der satte 50 Meter hohe Wasserturm von anderen Wassertürmen. Das erahnt man das schon eventuell als Experte, wenn man ihn von weitem sieht. Es ist oben anscheinend kein großer Tankraum für die Ansammlung von Trinkwasser, das sich dann mit Schwerkraftwirkung in die Leitungen drückt, wie das bei traditionellen Wassertürmen der Fall ist (Beispiele stellten wir u.a. hier und hier vor). Das Pumpwerk sollte der Dämpfung von Druckstößen dienen, die durch den Wasserzufluss der weitab und vor allem höher gelegenen Talsperren Jesenice und Švihov kamen. Das Pumpwerk besteht heute aus drei Pumpen mit einer Leistung von 1800 Litern pro Sekunde.

Als 1976 die Bauarbeiten begannen, war die Wohnsiedlung, deren Wasserversorgung durch den Turm gesichert werden sollte, fast fertiggestellt. Dann kam es zu einem Eklat. Einer der Firmen, die den Stahl liefern sollte, die Klement Gottwald Eisenwerke Vitkovice (Vítkovické železárny Klementa Gottwalda), wollte anscheinend ihrem schändlichen Namen gerecht werden. Klement Gottwald, der Namenspate, war der erste kommunistische Präsident der Tschechoslowakei und führte 1948 das Land in die stalinistische Diktatur. Da das sozialistische Bruderland, die Sowjetunion, der Firma einen kurzfristigen Auftrag erteilt hatte, den man nicht abzulehnen können meinte (der Bruder war ja in Wirklichkeit der allmächtige Boss), beschloss man einfach, die vertragliche Verpflichtung gegenüber den wackeren Turmbauern nicht einzuhalten. Die mussten bei den lokalen Behörden alle Hebel in Bewegung setzen, bis am Ende Anweisungen von höchster Stelle kamen, den Stahl doch zu liefern. Um ein Haar wären Menschen in ihre Wohnungen gezogen, um dann auf längere Zeit kein fließendes Wasser geliefert zu bekommen. Das konnte im letzten Moment noch abgebogen werden. Was die Sowjets dazu sagten, dass man ihnen den bereits sicher geglaubten Stahl entrissen hatte, ist mir nicht bekannt.

Ganz oben hat man schon vor einer technischen Erneuerung des Turms in den Jahren 2019/20 unzählige Antennen an einem Gerüst angebracht, um Prags Funk-Kommunikation zu verbessern. Das ist zwar vom Nutzensgesichtspunkt sicherlich sinnvoll, aber ästhetisch betrachtet sehr schade. Der Ursprungsbau von war noch von keinem Antennengewirr umgeben. Da man, dass Architekt Hubáček ganz oben die drei Stahlpfeiler mit je eier Querverbindung verknüpft hatte, damit dann seine Namensinitiale „H“ in alle Himmelsrichtung sichtbar wurde – ein Stück witziger Eigenwerbung also. Das ist – wie das Bild rechts zeigt – nunmehr allenfalls mit Mühen erkennbar. Aber auf alten Photos (siehe Bild 3 dieser Photogalerie) kann man das „H“ noch deutlich sehen. (DD).

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