- Hans Weber
- March 27, 2025
Tschechien ist das einzige EU-Land, das den Einbruch in der Pandemie noch nicht aufgeholt hat. Das Wirtschaftsmodell des Landes ist gealtert, Ökonomen warnen gar vor einer Wachstumsfalle – und haben schlechte Nachrichten für Deutschland.
Die Entscheidung sorgt in Tschechien für Enttäuschung – aber sie passte ins Bild. In der vergangenen Woche erteilte der Volkswagen-Konzern den Plänen für eine neue Batteriefabrik in der Nähe des tschechischen Pilsen (Plzeň) eine Absage.
Trotz langer Verhandlungen mit der tschechischen Regierung werde man die Gigafactory für E-Auto-Batterien nicht in Tschechien bauen. Für die tschechische Regierung ist es eine Niederlage: Die Fabrik war eines der zentralen wirtschaftspolitischen Projekte der Regierung.
Die Investitionsentscheidung betrifft zwar nur ein einzelnes Projekt, sie ist aber symptomatisch für den Zustand der tschechischen Wirtschaft und für ihre
Zukunftsaussichten. Nach einer fast zwei Jahrzehnte dauernden Aufholjagd wächst die Volkswirtschaft seit vielen Jahren kaum noch und Ökonomen warnen, dass die Wirtschaft ohne tief greifende Änderungen den Anschluss an andere europäische Länder verlieren wird.
POLEN
Tatsächlich ist Tschechien im Moment der wahre kranke Mann Europas. Der eindrücklichste Beleg: Die tschechische Wirtschaft ist unter den 27 Volkswirtschaften der EU die einzige, die sich immer noch nicht vollständig vom Einbruch in der Corona-Krise erholt hat.
Während andere mittel- und osteuropäische Staaten wie Ungarn, Rumänien und die Slowakei die Pandemie-Einbußen längst wieder aufgeholt haben und das Wirtschaftswachstum in Europa anführen, hat Tschechien wirtschaftlich ein halbes Jahrzehnt verloren.
Aktuell liegt die tschechische Wirtschaftsleistung immer noch einen Prozentpunkt unter dem Wert von Ende 2019, und die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erwarten nicht, dass sich die Lücke bis Ende des Jahres schließen wird. Auch für das kommende Jahr rechnen Experten mit einem schwachen Wachstum. „Die tschechische Wirtschaft kämpft mit einer erheblichen Schwächephase“, sagt Tomas Dvorak, leitender Volkswirt beim Analysehaus Oxford Economics.
Tschechiens Volkswirtschaft kämpft schon seit Jahren mit Wachstumsschwäche
Erklären lässt sich die ausbleibende Erholung seit der Pandemie mit einem ganzen Bündel von Faktoren: Tschechische Unternehmen produzieren nicht besonders energieeffizient und haben deshalb sehr unter der Energiekrise nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine gelitten.
Die tschechische Notenbank – das Land ist nicht im Euro – hat bereits sehr früh die Zinsen angehoben und damit bewusst die Wirtschaft abgewürgt, um die im europäischen Vergleich außergewöhnlich hohe Inflation zu bekämpfen. Und anders als in anderen europäischen Ländern auch in Mittel- und Osteuropa war die Regierung bei den Corona- und Energiehilfen gleichzeitig sehr zurückhaltend.
Das alles sind zwar nur vorübergehende Faktoren. Sie treffen aber auf eine Volkswirtschaft, die schon seit Jahren mit Wachstumsschwäche kämpft. Die enttäuschende Entwicklung der letzten Jahre hat sie aber bei vielen Beobachtern erst in den Blick gerückt.
POLEN
Im August schreckte eine Untersuchung der tschechischen Handelskammer mit markigen Worten die Öffentlichkeit auf. Tschechien drohe in die sogenannte Middle-Income-Falle zu geraten, warnten die Wirtschaftslobbyisten: Die Wirtschaft drohe eingeklemmt zu werden zwischen der Konkurrenz aus ärmeren Tieflohnländern und
reichen Hochtechnologieländern wie dem Nachbarland Deutschland.
„Die Tschechische Republik steht am größten Wendepunkt ihrer modernen Geschichte“, heißt es in einer wirtschaftlichen Analyse im Auftrag der Kammer. „Sie hat alle bisherigen Wachstumsfaktoren ausgeschöpft, ihre Wettbewerbsvorteile verloren und ist in die sogenannte Falle des mittleren Einkommens geraten.“
Die Warnung vor der Wachstumsfalle klingt zunächst nach aufmerksamkeitsheischender Dramatik: China, Brasilien oder Albanien sind Volkswirtschaften mit mittleren Einkommen. Tschechien hingegen spielt in einer anderen Liga. Es ist im globalen Vergleich ein hoch entwickeltes wohlhabendes Industrieland mit einem Pro-Kopf-Einkommen, das immerhin 87 Prozent des EU-Durchschnitts erreicht.
„Tschechien braucht ein neues Wirtschaftsmodell“
Ökonomen halten die Warnung trotzdem für berechtigt. „Das Bild ist hilfreich, wenn es darum geht, die langfristigen Probleme der tschechischen Wirtschaft zu diagnostizieren“, sagt Krystof Krulis, Forscher bei der Association for International Affairs (AMO) in Prag. Er hat bereits vor einigen Jahren in einer Analyse davor
gewarnt, dass Tschechien in die Wachstumsfalle geraten könnte. „Wir reden hier schließlich über den langfristigen Umbau der tschechischen Wirtschaft.“
Seine Diagnose der tschechischen Wirtschaft: Zu teuer, um mit billigeren Niedriglohnländern zu konkurrieren, aber noch nicht technisch anspruchsvoll genug, um mit Hochtechnologieländern wie dem benachbarten Deutschland mitzuhalten. „Tschechien braucht ein neues Wirtschaftsmodell“, sagt auch Oxford-Ökonom Dvorak.
Gut ausgebildete Arbeitskräfte mit technischem Sachverstand und niedrige Lohnkosten haben lange für Wachstum gesorgt. Aber irgendwann stößt dieses Modell an seine Grenzen: Sobald der Wohlstand und die Löhne das gleiche Niveau wie in Westeuropa erreichen, fällt ein wichtiger Wettbewerbsvorteil weg. Auf eine Produktion mit höherer Wertschöpfung umzustellen, das hat die tschechische Wirtschaft bisher nicht geschafft.
Dass Tschechiens Wachstumsmotoren schon vor längerer Zeit die Puste ausgegangen ist, zeigt sich jetzt im Rückblick. Bereits seit 2009 haben sich die
Geschicke der tschechischen Wirtschaft von der Entwicklung benachbarter Volkswirtschaften entkoppelt: Während Deutschland in der goldenen Dekade vor der Pandemie ökonomisch von Rekord zu Rekord eilte und Polen seine Wirtschaftskraft ausbaute, verlor Tschechien in der ökonomischen Aufholjagd an Boden.
Die Folge: Der Wohlstand stagniert und das Ziel, zum Wohlstandsniveau Westeuropas aufzuschließen, rückt weiter in die Ferne. Polen etwa hat seinen Abstand zum Pro-Kopf-Einkommen der EU seit 2009 um ein Fünftel verringert. Tschechien hingegen im gleichen Zeitraum um lediglich vier Prozent.
Das Fazit der Handelskammer-Ökonomen: „Wenn die gegenwärtigen Trends weitergehen, kann Polen die Tschechische Republik in den kommenden Jahren überholen.“ Solch eine Entwicklung war noch vor zehn Jahren undenkbar.
WIRTSCHAFTSWEISE GRIMM
„Die Lage ist deutlich unangenehmer als bisher gedacht“
Sie ist auch eine Warnung an Deutschland. Denn die Probleme sind hierzulande ganz ähnlich gelagert. Gerade erst haben die fünf Wirtschaftsweisen gewarnt, dass das deutsche Wirtschaftswachstum künftig kaum noch ausreichen dürfte, um den
Wohlstand zu halten, wenn Wirtschaft und Politik nicht einen neuen Strukturwandel einleiten und aufhören, Industrien zu unterstützen, die hierzulande langfristig nicht überlebensfähig sind.
Die Rezepte sind in Deutschland wie in Tschechien die gleichen: Mehr Geld in Bildung, in Forschung und Entwicklung. Weniger Bürokratie. Investitionen in Maschinen, Roboter und Software, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Und mehr hochwertige Produktion, die international so überlegen ist, dass hohe Lohn- und Standortkosten nicht ins Gewicht fallen.
Allerdings: „Das ist leichter gesagt als getan“, sagt Oxford-Ökonom Dvorak. „So etwas ist für die Politik schwierig zu steuern. Selbst wenn man weiß, wo die Reise hingehen soll, ist es nicht leicht, das umzusetzen, sonst würde es jeder tun.“
Trotzdem sieht er für Tschechien auch viele Optionen wie gut ausgebildete Arbeitskräfte, technologisches Know-How und geopolitischen Rückenwind: Immer mehr Unternehmen verlagern die Produktion von China wieder näher an die
Heimatmärkte oder in befreundete Staaten. Für Tschechien und andere Staaten in Mittel- und Osteuropa eine gewaltige Chance.
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