Tschechische EU-Ratspräsidentschaft im Ukraine-Krisenmodus

Frankreich übergibt den Vorsitz im Rat der Europäischen Union an Tschechien. Ein Thema dominiert dabei alles: Der russische Krieg gegen das Nachbarland Ukraine. Doch auch eine innenpolitische Affäre in Prag wirft ihre Schatten voraus.

Prag/Brüssel (dpa) – Tschechien übernimmt am 1. Juli für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union – und das mitten in einer historischen Krisensituation. Vor der Haustür tobt der Ukraine-Krieg, das Bangen um die Gasversorgung nimmt zu und die Preise steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. «Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine ist die Welt nicht mehr dieselbe», sagt der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala.

Zum feierlichen Auftakt kommen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Kommissare aus Brüssel ins idyllische Litomysl, knapp 140 Kilometer östlich von Prag. Tschechien übernimmt den Staffelstab von Frankreich und wird damit bis Ende des Jahres dafür zuständig sein, bei umstrittenen EU-Themen Kompromisse zu vermitteln.

Dabei ist dem Land auch die Kooperation mit Berlin wichtig. «Die Unterstützung Deutschlands für unsere Ratspräsidentschaft ist eine der Bedingungen für den Erfolg», sagt Innenminister Vit Rakusan im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Seit mehr als vier Monaten hat der 44-Jährige alle Hände voll zu tun mit der Bewältigung des Flüchtlingsandrangs aus der Ukraine. «Wir stehen heute wirklich am Limit dessen, was unser Land noch imstande ist zu schaffen», sagt der Politiker der konservativen Partei STAN. Mehr als 380 000 Ukrainer haben in Tschechien Zuflucht gefunden, das selbst nur 10,7 Millionen Einwohner hat. Verglichen mit Deutschland wäre das etwa so, als wenn die Bundesrepublik fast drei Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen hätte. Neben den Plänen für den künftigen Wiederaufbau der Ukraine zählt die Flüchtlingshilfe zu den Hauptprioritäten des neuen Vorsitzlandes.

Überschattet wird der Auftakt auf der EU-Bühne indes von heftigen innenpolitischen Turbulenzen. Ausgerechnet ein Parteikollege Rakusans steht im Zentrum einer Affäre um dubiose Aufträge der Prager Verkehrsbetriebe. Die Polizei ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Schulminister Petr Gazdik musste bereits seinen Hut nehmen, nachdem er enge Kontakt mit einem der Verdächtigen eingeräumt hatte.

Unschöne Erinnerungen an die letzte Ratspräsidentschaft Tschechiens 2009 werden wach: Mittendrin stürzte damals die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek über ein Misstrauensvotum im Parlament. Droht nun Ähnliches?

«Es ist sehr unangenehm für unsere Partei», räumt Rakusan ein. Den Zusammenhalt der Koalition aus fünf Parteien sieht er indes nicht in Gefahr. Ähnlich schätzt das auch der Politologe Jiri Pehe ein: «Die Opposition ist nicht stark genug, um die Regierung zu stürzen.»

Das Motto der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft lautet «Europa als Aufgabe». Der Titel ist einer Rede entlehnt, die der 2011 gestorbene frühere Präsident Vaclav Havel 1996 in Aachen hielt. Sie liest sich auch heute noch als leidenschaftliches Plädoyer für die europäische Einigung. Europa befreie den Menschen von der Angst vor anderen und gebe ihm mehr Raum für seine Selbstverwirklichung als Bürger, argumentierte Havel.

Doch tatsächlich beschreiben Beobachter den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala eher als Europa-Pragmatiker. Einer baldigen Einführung des Euros in seinem Land hat er eine Absage erteilt. In der Debatte über ein Verkaufsverbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 plädiert er für eine Entschärfung, was viele Klimaschützer enttäuschen dürfte. Und diejenigen, die sich nur um eine enge Zusammenarbeit der Nationalstaaten bemühen, sind für ihn «um keinen Deut schlechtere Europäer» als jene, die sich für eine stärkere Föderalisierung einsetzen.

Als Gastgeber werden die Tschechen 14 informelle Ministertreffen und mindestens einen Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs ausrichten. Mit allzu großer Begeisterung der Bevölkerung dürfte nicht zu rechnen sein. In einer aktuellen Eurobarometer-Befragung gaben nur 57 Prozent der Tschechen an, die EU-Mitgliedschaft sei für ihr Land wichtig. In Deutschland waren es 76 und im gemeinsamen Nachbarland Polen sogar 83 Prozent.

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