Umfassende Hilfe für Blinde

Als kleines Kind hatte Alois Klar sich nach einem Sturz eine schwere chronische Sehbehinderung zugezogen. Trotzdem legte er eine steile akademische Karriere hin. Erst Gymnasialprofessor in Litoměřice (1786), dann Professor für Altphilologie an der Karlsuniversität (1806), schließlich Dekan der Philosophischen Fakultät (1820). Er hatte gezeigt, dass man es auch mit Sehschwäche schaffen konnte. Und er wollte, dass andere auch diese Chance erhielten, um nicht als Blinde von bloßer Barmherzigkeit anderer abhängen zu müssen. Kurz: Er gründete das Klar’sche Institut für Blinde (Klárův ústav slepců).

1807 hatte Klar schon zusammen mit Prokop Ritter von Platzer die Prager Blinden-Erziehungs-Anstalt ins Leben gerufen, die später durch ein zweites Institut, die Heilanstalt für unbemittelte Augenkranke, ergänzt wurde. Die Finanzierung kleiner Gebäude und der Ausstattung in der Burgstadt verdankte man einer Sammlung und der Förderung des damaligen Oberstburggrafen Josef Graf von Wallis. Das war ein kleiner Anfang. Den Unterricht für die Kinder übernahm oft Klars Frau Rosina. Aber Klar strebte nach größerem. 1832 – ein Jahr nach seiner Emeritierung – rief er das Prager Privat-Institut für arme blinde Kinder und Augenkranke und begann mit einer großen Sammlung. Die wurde ein Erfolg. Sogar Kaiser Franz I. ließ sich nicht lumpen und spendete ein Stück Land an der Prager Kleinseite. Die Fertigstellung erlebte Klar nicht mehr, denn er starb 1833. Aber auf dem gespendeten Grundstück an der heutigen Pod Bruskou131/3 wuchs ab 1836 ein riesiges Gebäude heran, in dem Klars Werk vollendet werden sollte.

Klar hatte noch seine für damalige Zeit höchste modernen Vorstellungen über den Betrieb darlegen können, nach denen nun verfahren werden sollte. Es war ein „ganzheitliches“ Konzept, das lebensnahe Bildung, sportliche Leibesertüchtigung, Heilung und moralischen Beistand (wofür u.a. eine große Kapelle des Erzengels Rafael gebaut wurde) vereinte. Viele Ideen dazu hatte er sich bei Johann Wilhelm Klein geholt, der 1826 die Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien gegründete hatte und als eine der führenden Kapazitäten der Blindenfürsorge in Europa galt. Als 1844 das von den Architekten Vincenc Kulhánek und dem berühmten Dombaumeister Josef Kranner (siehe auch hier) eingeweiht wurde, führte bereits Alois Klars Sohn Paul Alois Klar dessen Lebenswerk fort und leitete die Anstalt. Ab 1880 übernahm der Enkel von Alois, Rudolf Maria Ritter von Klar (inzwischen wurden nämlich die Verdienste der Familie durch einen Adelstitel anerkannt) die Blindenanstalt, die weiterhin als eine vorbildliche Institution galt. Nach dessen Tod im Jahre 1898 wurde Emil Wagner der Direktor.

Unter dem Ritter von Klar hatte die Anstalt eine große Wachstumsphase durchlebt. In den Jahren 1884/85 wurde der Bau daher erweitert und damit endgültig fertiggestellt. Aber der Grundcharakter des streng und schlicht gestalteten zweiflügeligen klassizistischen Gebäudes mit seinem Mittelrisalit blieb. Auf dessen Giebel befindet sich ein Relief des Bildhauers und Malers Josef Max. Es stellt ein passendes alttestamentarisches Motiv dar, nämlich wie Tobias seinen blinden Vater (mit Fischgalle) wieder sehend macht (zum Nachlesen: Bibel Tobias 6). Er wird vom Erzengel Rafael begleitet, dem ja – recht folgerichtig – auch die recht große Kapelle der Anstalt gewidmet ist, deren kleinen Glockenturm mit seinem vergoldeten Ziffernblatt man über dem Gebäude sehen kann. Auf dem Relief sieht man auch einen kleinen Hund, der an dieser Stelle in der Bibel nicht vorkommt. Das musste aber einfach sein, weil die Tschechen ja Hundenarren sind und so etwas lieben.

Des Ritters Nachfolger Wagner baute die Anstalt noch einmal kräftig aus. Denn es gab ja noch viel Platz. Das Grundstück, auf dem das bereits recht groß dimensionierte Gebäude stand, bot die Möglichkeit eines zusätzlichen neuen Gebäudes. Ein kleiner Park trennte nun das alte vom neuen Haus, das dann in den Jahren von 1906 bis 1909 durch den Architekten Josef Piskač errichtet wurde. Das am heutigen Nábřeží Edvarda Beneše 627/3 erbaute Bauwerk war stilistisch grundverschieden von dem alten klassizistischen Gebäude.

Es herrschte ein opulenter, durch Erker und Türme dekorierter Neorenaissance-Historismus vor, der durch Jugendstil-Ornamentik ergänzt wurde. Unter anderem wurden ein Schwimmbad und eine Turnhalle eingebaut. Man blieb weiterhin an der Spitze des Fortschritts in Sachen Blindenpädogogik.

Die beiden Gebäude dienen heute nicht mehr ihrem gemeinsamen Zweck. Ein kleines Mäuerchen mit Zaun trennt sie heute sogar. Denn das neue, unter Wagner erbaute, Gebäude beherbergt heute die örtliche Bezirksstaatsanwaltschaft. Leider befindet sich das Haus in einem recht heruntergekommenen Zustand, er seiner historischen Bedeutung nich gerecht wird. Man kann nur hoffen, dass da irgendwann einmal etwas unternommen wird.

Und auch das alte Gebäude (das besser in Schuss gehalten wurde) ist schon lange keine Blindenanstalt im umfassenden Sinne, wie es Klar einst vorschwebte, mehr. Ihrem ursprünglichen Zweck diente sie bis kurz nach dem Zweiten weltkrieg. Dann wurde sie in eine Sekundarschule für Blinde verwandelt, die immerhin nach Alois Klar benannt wurde. Dann brachte das Ende des erfreuliche Kommunismus im Jahr 1989 einige bauliche Nebenwirkungen mit sich. Die neuen demokratischen Institutionen mussten sich räumlich neu einrichten. Das Parlament zum Beispiel, das von den Kommunisten in das heutige Neue Gebäude des Nationalmuseums verlegt worden war, wurde wieder in den alten Thun Palast zurückverlegt, und auch der Ministerpräsident brauchte ein provisorisches Domizil bis die dazu vorgesehene Villa Kramář wieder fertig restauriert war. Der wurde deshalb erst einmal hier untergebracht.

Aber dieses provisorische Zwischenspiel endete schließlich im Jahr 1993. In diesem Jahr übernahm das Abgeordnetenhaus, für dessen Betrieb der Thun Palast eigentlich zu klein war, einige Gebäude der Umgebung für administrative Zwecke, darunter auch den Smiřický Palais am nahen Kleinseitner Ring. Hier residierte bis dato die 1919 gegründete staatliche Institution der Tschechischen Geologischen Dienstes (Česká geologická služba), die nun ihrerseits ein neues Domizil brauchte und in der alten Blindenanstalt (genauer: im alten Gebäude) fand. Der Geologische Dienst betreibt hier nun Forschung und Datenerfassung, die für die Öffentlichkeit von Nutzen sind, etwa bei Planung von Infrastrukturprojekten und Umweltgutachten, und kümmert sich um Bildungsprojekte in Sachen Geologie. So endete die Verbindung des Gebäudes mit seinem ursprünglichen Zweck, dem umfassenden Wohl der Blinden, endgültig.

Heute erinnert äußerlich wenig an die bahnbrechende Sozialeinrichtung, die hier einst ins Leben gerufen wurde. Wenn man genau hinschaut, kann man unter den Jugendstil-Ornamenten auf der Fassade des neuen Gebäudes immerhin Motive entdecken, die noch daran erinnern – etwa das rechts abgebildete Relief mit dem Bild eines Blinden. In Ehren gehörten wird das Werk von Alois Klar jedoch immer noch. Das schlägt sich sogar im Ortsnamen nieder. Wir befinden uns ja hier am nördlichen Rand der Kleinseite, ganz nahe beim Waldstein Palast. Und dieser nur wenige Häuserblöcke umfassende Teil der Kleinseite wurde 1922 – also in den Zeiten der Ersten Republik (als man „Deutsche“ wie Klar an sich eher selten würdigte) – feierlich in Klárov umbenannt. Damit ehrten die Tschechen ihn als einen ihrer großen Wohltäter. Und dass er das war, daran bestand nie auch nur der geringste Zweifel. (DD)

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