Und der Architekt zog gleich selbst ein…

Prag – nicht nur Altstadtromantik. Man ist immer wieder überrascht, welche Schätze des zwischenkriegszeitlichen Funktionalismus Prag für den Besucher bereithält. Bei einem Hundespaziergang in der engen kleinen Straße Apolinářská, die steil von der Neustadt hoch nach Vinohrady führt, stießen wir unerwartet auf diese Villa mit der Hausnummer 436/3.

Eine kühne und sehr expressionistisch gestaltete Konstruktion, fürwahr! Hinzu kommt die Lage. Wer hier wohnt, hat auf der einen Seite einen wundervollen Ausblick auf den Alten Botanischen Garten (wir berichteten hier) und auf der anderen Seite zum Areal der barocken Klosterkirche der Schmerzensreichen Mutter Gottes (klášterní kostel Panny Marie Bolestné), über die wir hier berichteten. Man kann schlechter wohnen…

Und das ließ sich darüber herausfinden: Das Wohn- und Mietshaus wurde im Jahr 1932 erbaut, und zwar direkt verbunden mit dem unmittelbar benachbarten Städtischen Heil-Bad des Ortsteils. Der Grund war nachvollziehbar, denn das Haus wurde für Dr. Josef Malík gebaut, der der Chefarzt des Heilbades war. Als Architekten für seine neue Villa heuerte Malík Jan Jarolím an. Der wiederum war Schüler und Mitarbeiter des ungleich berühmteren funktionalistischen Stararchitekten Ludvík Kysela, mit dem er zum Beispiel bereits 1929 den Palác U Stýblů am Wenzelsplatz entworfen hatte.

Das Ganze kann sich sehen lassen. Die expressionistische Architektur im Eingangsbereich, die man oben im großen Bild sieht, wird durch stilistisch passende Metallgitter ergänzt (da es ein Privathaus ist, kann man leider nicht das wohl überwältigende Art-Déco-Interieur bewundern). Durchaus konservativer wirken Obergeschoss und Spitzdach mit ihrer Ziegelgestaltung (das übrigens nach dem Fall des Kommunismus rekonstruiert werden musste, da es unter dem Regime 1970 abgerissen wurde). Auf diese Weise passt sich der damals hoch avangardistisch-moderne Stil des Hauses in die Ästhetik der Umgebung ein, ohne dass das allerdings wie ein Stilbruch wirkt.

Dem Architekten gefiel das von ihm entworfene Haus wohl sehr. Da der gute Doktor Malík sich hier ein sehr großes Haus mit Mietmöglichkeiten hatte bauen lassen, konnte Architekt Jarolím kurzerhand in die oberen Stockwerke ziehen, um dort zu wohnen und ein Architektenstudio einzurichten. In den Zeiten des Kommunismus wurden Villa und benachbartes Bad arg vernachlässigt. Nach dem Ende des Spuks 1989 fand sich wohl lange Zeit kein zahlungswilliger oder -fähiger Besitzer, weshalb es mit der Bausubstanz steil bergab ging. 2009 übernahmen Hausbesetzer baufällige und einsturzgefährdete Bad und das Haus, wurden aber von der Polizei wieder vertrieben. Das Bad sieht heute immer noch ein wenig verfallen aus. Aber die Villa hat einen Besitzer gefunden, der das Gebäude tipp-topp in Stand setzte. Es hätte auch erstaunt, wenn ein solch schönes Haus in solch einer Lage keinen Liebhaber gefunden hätte, der es wieder auf Vordermann bringen wollte. (DD)

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