Václav Havels erste Inhaftierung

Nein, eigentlich sieht dieses Haus nicht nach einem Gefängnis aus. Trotz des Gitters zum Innenhof. Lebte er heute noch, könnte Václav Havel jedoch erzählen, wie schrecklich es unten im Keller des Gebäudes vor dem Freiheitsjahr 1989 zuging. Hier war er zum ersten Mal inhaftiert worden. Der mutige Dissident gegen die Kommunistenherrschaft, der dann nach dem Ende der Tyrannei 1989 der erste demokratisch gewählte Präsident wurde, sollte noch so ziemlich jedes Gefängnis des Landes kennenlernen.

Das Gebäude in der Bartolomějská 308/9 ist heute ein gepflegtes und hübsches Hotel. Und dem Haus war auch nicht in die Wiege gelegt worden, dass Havel (und unzählige andere Dissidenten) dereinst hier im Keller von der Staatssicherheit (StB) in kleinen Zellen eingesperrt werden sollten. Nicht nur einmal soll er hier festgehalten worden sein, meist nur für Verhöre und zur Untersuchungshaft. Dabei hatte das Haus zweistöckige Gebäude ursprünglich einem frommen und guten Zweck gedient. Es diente als ein Nebengebäude des Konvikt mit der kleinen Bartholomäuskirche (konvikt s kostelem sv. Bartoloměje), einer Internat, das zunächst von den Jesuiten betrieben wurde. Es zwischen 1726 und 1731 wurde es nach Plänen des bedeutenden Barockarchitekten Kilian Ignaz Dientzenhofer erbaut, der das barocke Prag so geprägt hat, dass wir ihn schon u.a. hierhierhier und hier erwähnten. Ab 1853 residierte hier die Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth (bisweilen auch die „Grauen Schwestern“ genannt), die den ganzen Komplex als Kloster nutzte. Auf dem Bild links sieht man den Eingang der Klosterkirche neben dem Gebäude 308/9.

1949, schon ein Jahr nach ihrer Machtergreifung, zerschlugen die Kommunisten den Orden und die Schwestern wurden verschleppt. Im Jahr darauf zog der StB hier ein, der direkt nebenan in der Bartolomějská 306/7 sein großes Hauptquartier hatte – ein funktionalistischer Bau aus den Jahren 1936-42, den man wegen seiner Kachelung auch manchmal spöttisch als kachlíkárna (Kachelbude) bezeichnete (wir berichteten im vorherigen Beitrag). In dem nicht im Geringsten als dazugehörig aussehenden barocken Gebäude Nr. 308/9 fanden meist Verhöre statt und es wurden im Keller sieben Zellen für die zu verhörenden männlichen Untersuchungshäftlinge eingerichtet. Und eine davon trug die Nummer P06.

Der prominenteste Insasse von P06, Václav Havel, wurde vom StB am 7. Januar 1977 hier das erste Mal eingeliefert. Am Tag zuvor war es ihm mit einigen Mitstreitern gelungen, die Charta 77 geschickt in die (vor allem auch westliche) Weltpresse zu platzieren. Es war der eigentliche Beginn einer größeren Dissidentenbewegung. Die Charta erinnerte daran, dass die Staaten des Warschauer Paktes – und damit auch die Tschechoslowakei -in der Schlussakte von Helsinki (1975) sich zur zur Einhaltung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der  Gedanken-,  Gewissens-,  Religions-  oder  Überzeugungsfreiheit  für  alle  ohne  Unterschied  der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ verpflichtet hatten. Schon alleine, weil die Gruppe das Manifest erfolgreich an die westliche Presse geschleust hatte, wo es enormes Furore machte, sah sich das Regime bedroht und schlug hart zu. Etliche Unterzeichner landeten erst einmal im Gewahrsam der Staatssicherheit.

Erst im Mai wird Havel aus der Untersuchungshaft entlassen und bald darauf zu 14 Monaten Haft wegen „Schädigung der Interessen der Republik im Ausland“ auf Bewährung verurteilt,. Er wird nicht das letzte Mal sein, dass man den ungebrochen Widerständigen einsperrt. Er lernt viele Gefängnisse im Lande kennen. 1978 gründet er mit anderen Charta-Mitgliedern das Komitee für die Verteidigung zu Unrecht Verfolgter (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných; Abk.: VONS) und landet darob wieder in der Untersuchungszelle in der Bartolomějská und wird anschließend sechs Monate unter Hausarrest gestellt. Kaum ist die vorüber, verurteilt man ihn (und etliche Mitstreiter) im Mai 1979 zu 4,5 Jahren Gefängnis, die er zuerst im Gefängnis im mährischen Ostrava-Heřmanice, dann ab 1981 im Gefängnis in Bory bei Pilsen absitzen muss, wo er die Häftlingsnummer 2789 trägt. Hier schrieb er seine erschütternden, aber von Freiheitswillen getragenen Briefe an Olga, seine Frau und mutige Mitstreiterin. Wegen der unmenschlichen Haftbedingungen begann seine seine Gesundheit dramatsich zu leiden. Nur seine mittlerweile große internationale Berühmtheit (die auch seiner schriftstellerischen Tätigkeit geschudet ist) retten ihm das Leben. Heftige Proteste aus dem Ausland führen zur vorzeitigen Freilassung.

Für eine zeitlang steckt man ihn nun aus Furcht vor negativer Publicity nicht mehr ins Gefängnis. Selbst seine recht öffentlich und provokant inszenierte Urlaubsreise nach Bratislava 1985, wo er Freunde aus der Dissidentenszene, wie etwa die Schauspielerin Vlasta Chramostová, besucht – ein Ereignis, das 2004 in dem Film Občan Havel jede na dovolenou (Bürger Havel geht auf Urlaub) mit Havel selbst nachgestellt wird – führt nicht ins Gefängnis, sondern „nur“ zu zwei kleinen Verhören durch die Polizei. So geht es bis zum Oktober 1988. Da hält er bei einer eigentlich erlaubten Kundgebung eine allzu regimekritische Rede und wird Gefängnis von Ruzyně (Prag 6) für fast eine Woche eingesperrt. Schon im November landet er wieder dort für vier Tage, weil er auf einen internationalen Symposium Československo ´88 (Tschechoslowakei 88) teilgenommen hatte, an dem viele Dissidenten erstmal öffentlich mit westlichen Intellektuellen diskutiert hatten.

In Januar 1989 jährt sich der Tod von Jan Palach zum 20. Male, jenem Studenten, der sich gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannt hatte (wir berichteten u.a. hier und hier). Havel nahm an einer illegalen Gedenkveranstaltung teil und diesmal wollten die Kommunisten wieder einmal ein Exempel statuieren. Für neun Monate sollte er ins Prager Gefängnis Prag Pankrác ab Februar gesperrt werden. Aber die Samtene Revolution und das Ende des kommunistischen Schreckens stand schon vor der Tür. Schon im Mai wird er – auch aus Gesundheitsgründen – nach Protesten im In- und Ausland wieder freigelassen. Es sollte das letzte Mal sein, dass Havel inhaftiert wird. Im Dezember wird er der erste nicht-kommunistische Präsident seit 1948 und führt das Land in die Freiheit.

Es gibt also viele potentielle Gedenkstätten, die an die ebenfalls vielen Inhaftierungen Havels erinnern könnten. Aber der Untersuchungszelle in dem gar nicht gefängnisartigen Haus in der Bartolomějská gebührt die „Ehre“ die erste von ihnen zu sein. Das Haus gehört übrigens nicht mehr der Staatssicherheit, die ja gottlob sofort nach dem Sturz des Kommunismus aufgelöst wurde. Es wurde an die Kirche restituiert und die Nonnen des Konvikts versuchten zuerst in diesem Teil des Klosterkomplexes eine kleine Pension – insbesondere für fromme Pilger – einzurichten, wozu man das Gebäude 1992 erst einmal teuer renovierte. Dazu gab es auch Zuschüsse gemeinnütziger Stiftungen, wie etwa dem Prague Heritage Fund, den kein Geringerer als Prinz Charles gegründet hatte, der dann hier 1993 auch zusammen mit Václav Havel auftauchte und sich von diesem die Geschichte seiner er Inhaftierung erzählen ließ. Und, wie oben gesagt, tauchte Havel noch einmal 2004 zu den Dreharbeiten zu Občan Havel jede na dovolenou hier auf. In der bestehenden Form ließ sich die Pension allerdings anscheinend kaum rentabel aufrecht erhalten, so dass sie 2006 noch einmal renoviert und umgebaut wurde. Seither wird das Gebäude als Hotel Unitas voll professionell betrieben, wozu es sich eigentlich schon wegen der Altstadtlage und der Hübschen Barockarchitektur hervorragend eignet.

Das Hotel hat die Zelle P06 im Keller wohl weitgehend erhalten. Nur das primitive Stehklo wurde demontiert, aber das Waschbecken ist noch original. Klein und eng ist der Raum. Trotzdem wurden hier vier bis sechs Pritschenbetten hereingestellt. Die wurden in der Zeit der Nutzung der Zelle durch die Staatssicherheit tagsüber an die Wand gelehnt, damit für die Insassen überhaupt Platz war. Um 22 Uhr wurden sie wieder auf Befehl zum Schlafen hergerichtet. Für Havel war dies hier der Vorgeschmack für das, was ihm noch weiter wiederfahren sollte.

Anscheinend zeigt das Hotelmanagement ab und an ausgesuchten Besuchern die Zelle im Keller. Meine Anfragen per Mail wurden allerdings nie beantwortet. Deshalb gibt es für diesen Beitrag nur Photos des Gebäudes von außen. Und das lässt heute nichts von dem Erahnen, was sich hier dereinst abspielte. (DD)

Source

Recent posts

See All
  • Hans Weber
  • April 29, 2024

Embassy of Ukraine in Prague / Velvyslanectví Ukrajiny v Praze

  • Hans Weber
  • April 29, 2024

Ambasada României în Republica Cehă

  • Hans Weber
  • April 29, 2024

Lietuvos ambasada Prahoje / Embassy of Lithuania in Prague

Prague Forum Membership

Join us

Be part of building bridges and channels to engage all the international key voices and decision makers living in the Czech Republic.

Become a member

Prague Forum Membership

Join us

    Close