- Hans Weber
- November 1, 2024
Volksarchitektur
Gerade in der Zeit der Ersten Republik gab man sich in Prag in Sachen Architektur gerne progressiv. Kubismus und Funktionalismus waren angesagt. Das entsprach auch dem Selbstbild, das die politischen Eliten von sich pflegten. Aber dieser Avantgardismus war nicht immer jedermanns Sache. Davon zeugt das gerne als Blockhaus (roubeník) bezeichnete Wohnhaus in der Pod Zvonařkou 1746/7 im Stadtteil Vinohrady.
Volksarchitektur (lidová architektura) nannte man das. Es handelte sich um heimelig anmutende Nachempfindungen älterer, meist volkstümlich-bäuerlicher Baustile. Das Blockhaus von Vinohrady war eindeutig von den hölzernen Hütten von Bergbauern in den nördlichen Gebirgsregionen inspiriert. Natürlich war das in keiner Weise eine echte Bauernhütte oder gar eine exakte Kopie davon. Dafür war es mit drei Etagen und 20 Zimmern schon zu groß bemessen. Drinnen gab es natürlich städtischen Luxus, den man in ländlichen Bauernhäuschen eher selten fand – Elektrizität, Badezimmer mit fließendem Wasser und eine Zentralheizung. Aber man achtete darauf, dass der urtümliche Schein gewahrt blieb, indem man etwa die zur Zentralheizung gehörenden Heizkörper mit Holzverschalungen kaschierte. Es erscheint ein wenig wie der auch heute in städtischen Milieus vorkommende Espapismus, der sich in eine imaginierte und vermeintlich schöne Vergangenheit versetzen will, ohne auf die Vorteile der so verachteten Zivilisation wirklich verzichten zu müssen.
Solche zivilisations- kritischen Motive mögen vielleicht eine Rolle beim Entwurf des Gebäudes gespielt haben, als das Haus im Jahren 1921 von dem Architekten und Bauunternehmer Maximilian Duchoslav für Josef Janeček, dem Direktor der Bergwerke in Kladno, erbaut wurde. Aber nicht nur. Das Haus liegt nämlich in einem kleinen grünen Areal neben den Nusle Treppen, die mit 182 Stufen den oberen Teil von Vinohrady mit der Talbereich verbindet.
Das Alles liegt in der Sicherheitszone über dem großen Eisenbahntunnel von Vinohrady, mit dem man 1871 die Verbindung des neuen Hauptbahnhofs zu den südlichen Landesteilen sicherstellte, und der sich unterhalb wenige dutzende Meter entfernt befindet. Um hier zu bauen, bedurfte es der Genehmigung des Staatsbahndirektorium. Das erlaubte nur eine provisorische Bebauung für 20 Jahre. Das erklärt, warum man auf eine Holzbauweise zurückgriff. Aber trotzdem war der folkloristische Rückgriff natürlich schon eine Geschmacksentscheidung (man kann mit Holz auch modern bauen).
Aber wie so oft wurde das Provisorium zum Dauerzustand. Janeček lebte hier nur ein Jahr, dann verkaufte er das Haus an Richard Dubský, dem Besitzer einer Glashütte. Der floh 1939 vor den Nazis in die USA. Die wiederum missbrauchten es als Herberge für die Hitlerjugend. 1950 funktionierte man es zum universitären Studentenheim um. Nach dem Ende des Kommunismus wurde es 1990 kurz der Sitz des Prognostischen Instituts der Akademie der Wissenschaften bevor es privatisiert wurde. Dann verkaufte man es an einen Investor. Das brachte auch so seine Probleme mit sich. Im Jahre 2015 demonstrierten vor dem Haus über 500 aufgebrachte Bürger. Der Investor wollte im Garten des Blockhauses einen Wohnblock mit 35 Wohnungen, Läden und Garagen errichten, der direkt an das Gebäude angebaut werden sollte. Eine Art Glasturm sollte das Blockhaus hoch überragen. Das hätte sicherlich den bewusst „ländlichen“ Grundcharakter des seit 1981 als Denkmal eingetragenen und seit 2004 explizit denkmalgeschützten Blockhauses arg verändert.
Das Bauprojekt wurde kurzerhand abgeblasen und 2018 übernahm ein neuer Investor Gebäude und Grundstück. Der versprach eine umgehende und umfassende Renovierung und Restauration. Davon ist zur Zeit allerdings nicht viel zu sehen. Der Garten ist völlig verwildert, der Zaun teilweise kaputt und immer mehr Teile der schönen Holzfassade vermodern und fallen herunter. Ein Banner der Bürgervereinigung, die damals gegen das Bauprojekt demonstriert hatte, hängt am Zaun. Zachraňme roubenku! – Lasst uns das Blockhaus retten! Das geschieht hoffentlich bald. Denn trotz des einsetzenden Verfalls wirkt das Gebäude mit seinem aus der Zeit gefallenen Stil immer noch sehr imposant. (DD)
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