- Hans Weber
- April 24, 2025
Wenzel am Wenzelsplatz, Teil I
Der Wenzelsplatz (Václavské náměstí) mag zwar etwas disproportionierlich groß und stadtarchitektonisch durchaus noch optimierbar aussehen, aber er ist und bleibt einer der Touristenmagneten Prags. Das hat etwas mit seiner historischen Bedeutung zu tun. Hier fanden schließlich 1989 die großen Demonstrationen statt, die den Kommunismus zu Fall brachten. Aber ein anderer Grund mag auch der Namensgeber selbst sein, der Heilige Wenzel, (Svatý Václav) den man hier hoch zu Ross bewundern kann.

Wenzel dominiert als riesige Reiterstatue den östlichen Abschluss des Platzes und passt in seinen Dimensionen zum Umfeld. Das tut er seit 1912, als ihn der Bildhauer Josef Václav Myslbek dort aufstellte. Was nur die wenigsten Besucher wissen: Der Platz war früher nicht so riesig und die damalige originale Statue war ebenfalls wesentlich bescheidener bemessen. Fangen wir mit dem Platz an, der 1348 unter König Karl IV. als Teil der neu geplanten Neustadt angelegt wurde, und an dem Pferdehandel betrieben werden sollte, weshalb er zu Beginn auch nur schlicht und einfach Rossmarkt (Koňský trh) hieß. In der Folge gab es im 17. und 18. Jahrhundert nur insignifikante Veränderungen und Vergrößerungen des Platzes, der damals durch Stadtmauern (wir berichteten u.a. hier) und -tore begrenzt war.

Eines der Merkmale des Platzes, den es sogar im Kern beibehalten hat, war die Querung der recht breiten heutigen Jindřišská im westlichen Teil. Die verlieh dem Platz eine damals deutlicher sichtbarere Kreuzform. Hier am Schnittpunkt des Kreuze wurde nun die erste und ursprüngliche Reiterstatue des Heiligen Wenzel aufgestellt, die der Bildhauer Johann Georg Bendl in den Jahren 1678 bis 1680 entworfen hatte und von dem Steinmetz Jan Bureš anfertigen ließ. Es handelt sich um ein typisches Werk des Barock und der Gegenreformation. Bendl hatte in der Tat sehr viel an der skulpturalen Ausgestaltung jesuitischer Kirchen mitgewirkt, und sein bekanntestes Werk ist sicher die später sehr umstrittene Mariensäule (Mariánský sloup) auf dem Altstädter Ring (Staroměstské náměstí) – wir berichteten hier -, die den Sieg der katholischen Habsburger über die böhmischen Protestanten im Dreissigjährigen Krieg zelebrierte.

Ganz im Sinne dieser Geisteshaltung stellte Bendl den Heiligen primär als friedensbringende Herrschergestalt dar, die vor allem durch Herzogshut und prachtvolles barockes Ornat auffällt. Alle eher kriegerischen Attribute, die man mit dem Heiligen assoziiert, etwa die Lanze mit Fahne oder der Schild mit dem Wenzelsadler, fehlen. Das reflektiert letztlich das Selbstbild der Habsburger als Hersteller des Glaubensfriedens. Der Heilige Wenzel, der historisch als früher christlicher Herrscher dokumentiert ist, und der wohl eher aus machtpolitischen, denn religiösen Gründen von seinem Bruder (und Nachfolger) Boleslav um 929 (oder 935) ermordet wurde, und aus dem man darob einen Religionsmärtyrer machte, war immer für die Böhmen/Tschechen zugleich Nationalheiliger und Projektionsfläche für politische Ideen der jeweiligen Zeit. Deshalb kommt z.B. der 1912 entstandene „Nachfolger“ von heute als Produkt der Zeit des tschechischen Nationalismus viel martialischer daher als Bendls Wenzel.

Diese ideologischen Wandlungen erlebte das Reiterstandbild in seiner Zeit hier öfters. Als 1713 die Pest in Prag wütete, war die Statue der heilige Schutzpatron schlechthin. Da man wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr in Kirchen beten durfte, hielt man damals um die Statue herum Messen unter freiem Himmel ab und bat den gütigen Heiligen mit Demut um Schutz. Am12. Juni 1848 hielt der Priester und demoikratische Aktivist Jan Arnold an der Statue eine Messe ab, die gemeinhin als der Beginn der Revolution von 1848 in Prag (Juniaufstand) gilt – übrigens das erste Ereignis in Prag, das auf einer Daguerreotypie festgehalten wurde. Einer der Revolutionäre, der Publizist Karel Havlíček Borovský (erwähnten wir hier), schlug kurz darauf vor, den Rossmarkt in Wenzelsplatz umzubenennen. Seither trägt der Platz offiziell den Namen des nationalen Großheiligen. Ganz klar: Aus dem Schutzheiligen war ein nationales Revolutionssymbol geworden, das in diesem Falle eigentlich so gar nicht zu der geradezu unrevolutionär-habsburgischen Herrscherpose der Statue passte. In dieser Zeit war das Bendlsche Denkmal übrigens bereits umgezogen, An seiner ursprünglichen Stelle hatte es auf einem Sockel in einem barocken Brunnen gestanden. 1827 wurde das Denkmal weiter nach Osten versetzt, etwa dorthin, wo heute das Grandhotel Evropa steht. Statt in einem Brunnen stand es nun auf einem klassizistischen Sockel, der von dem bekannten Architekten Josef Kranner (siehe auch hier, hier und hier) entworfen worden war.

Es war eine Frage der Zeit, bis auch den steinernen Wenzel der Wandel der Zeiten einholte. Zwischen 1875 und 1890 wurden Stück für Stück die alten Stadtmauern und Stadttore abgerissen, so dass der Wenzelsplatz sich großzügig und weit ausdehnen ausdehnen konnte – vor allem nach Osten, wo an erhöhter Stelle ab 1891 das Nationalmuseum (Národní Muzeum), über das wir hier berichteten, den pompös krönenden Abschluss des Platzes bildete. Um das Bild zu vervollkommnen, schrieb man 1894 einen Wettbewerb für eine ebenfalls pompöse und dem nationalen Pathos entsprechende Wenzelsstatue aus, die dann direkt beim Museum aufgestellt werden sollte – was dann 1912 mit Myslbeks Statue realisiert wurde. Bendls originale Reiterstatue stand das schon längst nicht mehr auf dem Wenzelsplatz. Im Zuge der umfassenden Umbauten des Platzes wurde er bereits 1879 abgebaut und in einem städtischen Lager untergebracht. Dass das nicht das Ende seiner öffentlichen Präsenz wurde, verdankte es dem eifrigen Domprobst Václav Štulc des Kapitels auf dem Vyšehrad, der 1873/4 neben der dortigen Basilika St. Paul und St. Peter (Bazilika svatého Petra a Pavla) einen Park einrichten ließ, der heute Štulc-Park (Štulcovy sady) heißt. Zu Štulcs sehr tschechisch-nationalem Katholizismus passte die alte Wenzeldarstellung Bendls bestens.

Die Statue wurde erst vor dem Probsteihaus aufgestellt, und dann im Jahre 1905 auf Veranlassung von Mikuláš Karlach (einem von Štulcs Nachfolgern als Domprobst) zentraler auf dem Štulcs-Park aufgestellt – an jener Stelle, wo man den Heiligen heute noch bewundern kann. Nun ja, allerdings dann doch nicht Bendls Originalwenzel. Den wollte man als Kunstdenkmal irgendwann gegen die Einflüsse der Witterung schützen. 1960 verschwand die echte Bendlsche Statue im Lapidarium, der Skulpturensammlung des Nationalmuseums im fernen Stadtteil Holešovice (wir berichteten). Dort kann man die originale Statue übrigens in hervorragendem Zustand und gut geschützt immer noch bewundern (siehe Bild rechts). Auf dem Vyšehrad wurde eine exakte Kopie aufgestellt, die in den Jahren 1959/60 von den Bildhauern Jiří Novák und Zdeněk Menšík angefertigt wurde. Und nur die wenigstens Besucher des Parks wissen, dass so dereinst die ursprüngliche Wenzelsstatue auf dem Wenzelsplatz aussah. (DD)
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