Wenzel am Wenzelsplatz, Teil III

Die den Wenzelsplatz (Václavské náměstí) dominierende Reiterstatue des Heiligen Wenzel , die 1912 von dem Bildhauer Josef Václav Myslbek erschaffen wurde, ist in ihrem kämpferischen Pathos ein typisches Produkt des damaligen tschechischen Nationalismus. Man hatte hohe Erwartungen an Volk und Vaterland.

Seither hat die historische Entwicklung doch so einige Wendungen genommen, die ein solches Weltbild nicht mehr ganz zeitgerecht erscheinen lassen. Das Bild des Nationalheiligen war ja immer einem Wandel unterzogen. Der ursprüngliche, sich heute auf dem Vyšehrad befindende barocke Statur von Johann Georg Bendl aus dem Jahr 1678 (wir berichteten) sollte die katholischen Tugenden der Habsburger darstellen, der Wenzel von Myslbek gab sich hingegen irgendwie anti-habsburgisch und pflegt auch kaum katholische Symbolik. Wer es absurd liebt und mit beidem nicht so recht viel anfangen kann, der gehe vom Wenzelsplatz aus in die Einkaufspassage des Luzerna Palais (Palác Lucerna), über den wir schon hier berichteten, die in den Jahren 1906-09 von Vácslav Havel, dem Großvater des späteren Präsidenten Václav Havel, erbaut wurde. Sie befindet sich seither (mit Ausnahme der Zeit des Kommunismus) immer im Besitz der Familie Havel.

Und was finden wir da? Den Wenzel von David Černý, dem Bildhauer und anarchischen enfant terrible der Prager Kunstszene, über dessen köstliche Werke wir schon unter anderem hierhierhier hierhier und hier berichteten. In unseren heutigen Zeit kann man sich schon einmal über den Nationalpathos der Vergangenheit lustig machen, ein Recht, von dem Černý immer wieder gerne Gebrauch macht. Und zwar mit solchem Elan, dass er immer noch von Zeit zu Zeit heftig aneckt. So auch mit dem Wenzel, der von einer Kuppel der Passage herunterhängt, und der unverkennbar eine Parodie auf das berühmte Myslbeksche Denkmal auf dem Wenzelsplatz ist. Der Heilige sitzt auf dem Bauch seines Pferdes, das mit zusammengebundenen Beinen an der Decke hängt. Die heraushängende Zunge (man erkennt sie gut im Bild rechts) suggeriert stark, dass das Tier tot ist. Und wo der Myslbek-Wenzel eine beeindruckende Lanze mit Fahne trägt, hält dieser Wenzel ein lächerliches Wimpelchen in der Hand. Auch ist er nicht aus schwerer Bronze gegossen, sondern besteht aus Plastik, genauer gesagt aus Polystrol (was es wahrscheinlich leichter machte, in an der Kuppelkonstruktion aufzuhängen).

Kurzum: Das sieht schon schräge aus. Natürlich hat sich der Künstler schon ernste Gedanken gemacht. Der Myslbek stand für das Ideal einer vollendeten tschechischen Nation. Und Černý wollte verdeutlichen, dass das durch den Lauf derGeschichte ab und an mit Fragezeichen versehen müsse. Wieso scheiterte die Erste Republik? Entsprechen die aktuellen Politiker auch nur annähernd einem Wenzelideal? In Tschechien funktioniere wenig, aber man täte so, als ob alles klappte, sinnierte Černý dazu. Hinzu kämen die Brüche der Geschichte, Nazismus, Kommunismus, die Invasion von 1968 und so weiter. Der Künstler wollte berechtigte Fragen über die „Wahrheit“ und die Entstehung nationaler Mythologien aufwerfen. Den ernsten Gedanken hinter dem offenkundigen Humor verstanden aber nicht alle Mitbürger. Manche waren arg pikiert über den recht wenig nach Nationalikone aussehenden Heiligen.

So sollte die Statue ursprünglich im Rahmen einer Ausstellung 99CZ, die Installationen junger Künstler des Landes präsentierte, im Hauptpostamt in der nahen Jindřišská angebracht werden. Aber das ist schließlich ein von hochoffiziösen Beamten betriebenes staatliches Gebäude. Da empfand man Černýs Werk irgendwie als unpatriotische Schmähung des Nationalheiligen. Dabei hatte der Künstler vorsichtshalber sein „Denkmal“ gar nicht nach dem Heiligen Wenzel benannt, sondern taufte es einfach unverfänglich Kůň (Pferd). Darauf fielen die Beamten nicht rein. Die Statue wurde nicht im Hauptpostamt aufgehängt. Stattdesssen wurde sie vom 8. bis 10. Oktober 1999 erst einmal öffentlich am unteren (westlichen) Teil des Wenzelsplatzes ausgestellt. Und dann wurde die Lucerna-Passage von der Familie Havel als Standort angeboten. Dort ist der Černý’sche Wenzel seit dem 23. Februar 2000 installiert.

Als dieser Standort vereinbart wurde, soll Černý, so hieß es später, einen vielleicht nicht ganz Ernst gemeinten Pakt mit Dagmar Havlová, der Ehefrau des damaligen Präsidenten Václav Havel , die die heutige Besitzerin der Lucerna Passage ist, geschlossen haben, dass der Wenzel auf dem toten Pferd erst wieder abgehängt werden dürfe, wenn die konstitutionelle Monarchie wieder eingeführt sei. Darauf wird man möglicherweise länger warten müssen. Und das ist wohl auch gut so, denn so bleibt Prag und dem Wenzelsplatz ein Kontrastprogramm von zwei optisch ähnlichen, aber doch völlig anders gedachten Wenzelkonzeptionen erhalten – und ein zusätzlicher und unterhaltsamer Touristenmagnet mit einem Schuss tschechischen Humors für die Stadt. (DD)

Siehe auch: Wenzel am Wenzelsplatz, Teil I

Und: Wenzel am Wenzelsplatz, Teil II

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