Die unsichtbare Burg

Eine schöne Gegend für einen idyllischen Spaziergang am See, aber sieht man irgendwo die versprochene mittelalterliche Burganlage, die sich hier befinden soll? Nun, die Veste Wenzels IV. (Tvrz Václava IV.) – Veste ist eine mittelalterliche Bezeichnung für eine kleine Burg – liegt teilweise unter der Erde, teilweise sogar unter dem Wasserspiegel auf der kleinen Insel auf diesem Photo,

Die heutige Unsichtbarkeit macht die Sache nicht uninteressanter - vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall. Auf jeden Fall befinden wir uns hier am Ufer des Hamerský rybník (Hammer Teich) im rund vier Kilometer vom Stadtzentrum gelegenen Stadtteil Záběhlice (Prag 10). Der Teich wird von dem kleinen Fluss Botič, einem Zufluss der Moldau, gespeist. Er wurde um 1770 angelegt und sollte die Hammermühlen und ihre Schmieden unterhalb des Damms mit Wasserenergie versorgen – daher auch der Name. Und wo er schon einmal da war, verwendete man ihn gleich auch als Fischteich, denn schon damals verzichtete der Böhme/Tscheche zu Weihnachten nur ungerne auf seinen traditionellen Karpfen.

Der heutige Stadtteil Záběhlice wurde immerhin 1088 erstmals in einer Urkunde erwähnt, ist also alt genug, um eine mittelalterlichen Festung zu haben. Am Rande des Teichs und direkt neben der Burginsel befindet sich zum Beispiel die Kirche der Geburt der Jungfrau Maria (Kostel Narození Panny Marie), deren Bau sich bis ins 12. Jahrhundert datieren lässt. Sie wurde im 14. Jahrhundert gotisiert und 1876 bis 1880 insbesondere durch den neoromanischen Turm wieder behutsam der ursprünglichen Gestalt angenähert. Eine größere Burg war (im Unterschied zu dem ins 14. Jahrhundert zurückdatierbaren Schloss Záběhlice, das nur wenig entfernt gelegen ist) jedoch in der Nähe kaum wahrnehmbar. Aber irgendwo musste sie doch sein, vermutete man lange zurecht.

Denn: Im späten 19. Jahrhundert fand der Historiker und Burgenforscher August Sedláček, dem man das bis heute noch vorbildliche Verzeichnis aller böhmischen Burgen, Hrady, zámky a tvrze království Českého (Burgen, Burgen und Festungen des Königreichs Böhmen) verdankt, dessen 15 Bände zwischen 1882 bis 1927 (der letzte Band postum) veröffentlicht wurden, in Chroniken Nachweise, dass sich hier eine königliche Veste befunden haben muss. Die sei wohl von den Hussiten im Krieg 1421 weitgehend zerstört worden. Genaueres wusste man dadurch aber immer noch nicht. Das änderte sich im Jahr 1960. Man fand, dass der Teich wegen langer Vernachlässigung völlig verschlammt war und die Uferbefestigungen anfingen, reparaturfällig zu werden. Also begann man mit der Revitalisierung von Teich und unmittelbarer Umgebung. Dazu wurde auch das Wasser des Teiches abgelassen.

Diese Chance nutzte der Abteilungsleiter für Präshistorische Archäologie im Museum der Hauptstadt Prag (Muzeum Hlavního Mesta Prahy), Norbert Mašek, der die nun definitv erforschbare und zum „Festland“ gewordene Insel im Teich erforschte, von der man schon lange annahm, dass die Veste hier gestanden haben müsse, Und er würde fündig. Als erstes fand man die Fundamente eines 7×11 Meter großen Raumes mit dicken Mauern und einem Fließenboden. Ein weiterer Raum, der möglicherweise zu eine Bastion gehörte wurde ebenfalls gefunden, wobei auch hier die lange unter Wasser befindlichen Mauerreste kaum mehr als 20 bis 30 Zentimeter hoch waren. Von drei weiteren Räumen, die insgesamt 25×25 meter maßen, fand man im Wasser nur noch recht unbestimmbare Spuren. Die genaue Größe des Komplexes konnte nicht eruiert werden, da an der östlichen und nördlichen Seite der Insel die Bagger beim Aushub großen Schaden angerichtet hatten. Insgesamt 120 Quadratmeter wurden bei der Ausgrabung erforscht, was, so Mašeks Schätzung in seinem Forschungsbericht von 1967, ungefähr ein Viertel der eigentlichen Gesamtfläche der Anlage ausgemacht haben dürfte.

Auch fand man unzählige Keramikreste, die eine Datierung auf die Zeit zu Beginn des 15. Jahrhunderts ermöglichten. Daneben fand man einige eher unbedeutende Glasteile, ein halbes Hufeisen und eine Gürtelschnalle. Das war nicht viel, ließ aber den Schluss zu, dass Sedláčeks Vermutung, hier habe eine Burg gestanden, die in den Hussitenkriegen zerstört worden sei, völlig korrekt war. Historiker gehen heute meist davon aus, dass die Befestigung wohl im Auftrag des böhmischen Königs Wenzel IV. erbaut worden war. Sie dürfte ungefähr in den Jahren 1407/08 entstanden sein, nahe einer Handelsroute, die sie wohl schützen sollte. Ein längerer Aufenthalt Wenzels in Záběhlice in dieser Zeit ist wohl dokumentiert. Damals war Prag ein unruhiger Ort. Die Hussiten, die er zuerst unterstützt hatte, wurden aufmüpfig, und im Adel gab es Absetzungpläne.

Wenzel hielt sich deshalb lieber etwas außerhalb Prags auf. Vielleicht wartete er hier auf der Veste Záběhlice, die damals noch nicht vom Teich umrundet war, auf die Fertigstellung der von ihm geplanten Neuen Burg (Nový hrad) im nahen Kunratice (wir berichteten hier), die dann 1412 fertiggestellt war. Nach dem Tod des Königs 1419 machten die Hussiten anscheinend nicht nur die Neue Burg, sondern auch die Veste in Záběhlice dem Erdboden gleich. Sie wollten wohl verhindern, dass Wenzels Bruder, Kaiser Sigismund, irgendwelche strategisch wichtigen Stützpunkte in seine Hand bekam, war dieser doch für den Feuertod Jan Hus‘ verantwortlich gewesen. Es ging den Hussiten darum, seine Thronbesteigung zu verhindern.

Und so verschwand die Burg. Ihre Reste schlummern verborgen unter der Insel im Teich von Záběhlice. Unsichtbar, aber noch verhanden. Aber wir wissen doch mittlerweile mehr über ihre Geschichte, wenngleich Rätsel bleiben. Über die kann man machdenken, wenn man sich auf ein en Spaziergang rum um Teich und Insel und zur romanischen Kirche begibt. Und auch ohne sichtbare Reste der Burg kann man sich der Schönheit der Umgebung (übrigens ein artenreiches Biotop) hier hingeben. (DD)

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