Sie war ein prominentes Gesicht der Dissidentenbewegung und schuf mit dem Lied „Modlitba pro Martu“ (dt. Gebet für Marta) die Hymne der Samtenen Revolution. Heute wird die Sängerin und „Rebellin“ Marta Kubišová 80 Jahre alt.

1959 verweigerte man ihr wegen ihrer bürgerlichen Herkunft die Studienempfehlung. Die Repressalie des kommunistischen Regimes hatte unerwartete Konsequenzen. Denn so wurde sie eine große Sängerin und ein prominentes Gesicht der Dissidentenbewegung. Eher durch Zufall wurde ihr musikalisches Talent entdeckt und nach kleineren Auftritten schaffte sie es schon 1961 in das Finale der Fernsehshow „Hledáme nové zpěváky“ (dt. Wir suchen neue Sänger). Die große Karriere begann. 1965 landete sie mit dem Song „Loudá se půlměsíc“ ihren ersten Hit und im Jahr darauf gewann sie in der populärsten tschechoslowakischen Musikshow der Zeit „Zlatý slavík“ (dt. Goldene Nachtigall) als beste Sängerin. Bester Sänger wurde übrigens Karel Gott, dessen Wege die ihren noch häufiger kreuzen sollten.

Cover von Protestsongs

1968 konnte man sie im Fernsehen in dem Kurzfilm „Náhrdelnik melancholie“ (dt. Perlenkette der Melancholie) bewundern, eine psychedelische Musikpräsentation, gedreht von Regisseur Jan Němec, den Kubišová im darauffolgenden Jahr heiratete. Der Film entsprach in keiner Weise den Konventionen des Sozialistischen Realismus. Der Prager Frühling erlebte damals seinen Höhepunkt und man traute sich, immer nonkonformer aufzutreten. So auch bei den Liedern. Schon von Anfang an legte Kubišová eine Vorliebe für tschechische Versionen anglo-amerikanischer Songs an den Tag. Aber diesen milden Nonkonformismus pflegten die meisten Schlagerstars damals. Doch 1968 war Schlager passé. Es kamen Cover von Protestsongs auf, wie die Single „Vítr to ví“, ihre Version von Bob Dylans „Blowin´ In The Wind“. Aber auch neue Songs, wie „Cesta“ (dt. Weg), ein tiefgründiges Lied voller Sehnsucht nach Freiheit.

Diese Freiheit war ihr zu wertvoll, als dass sie sie hätte kampflos wieder opfern wollen, als die Truppen des Warschauer Pakts den Prager Frühling niederschlugen. Kubišová machte aus ihrer Wut keinen Hehl. Und für die Demonstranten wurde ihr gerade aufgenommenes Lied „Modlitba pro Martu“ (dt. Gebet für Marta) die meistgesungene Hymne des Protests. Das Lied war eine Klage, dass man die Herrschaft über die Dinge verloren habe und sich den Frieden wünsche. Ein unverhülltes politisches Statement.

Verbannung aus dem öffentlichen Leben

Ihrer Karriere schadete das zunächst kaum. Es begann sogar eine Erfolgssträhne, als sie mit den Gesangsstars Václav Neckář und Helena Vondráčková das Terzett „Golden Kids“ gründete und etliche Hits landete. Noch hatte sich das Regime der „Normalisierung“ (wie die Kommunisten die Rückkehr zur moskautreuen Linie nannten) nicht voll etabliert. Dann zirkulierten plötzlich pornographische Aufnahmen von ihr – plumpe Fälschungen der Staatssicherheit, um sie zu diffamieren. Als 1970 das Fernsehpublikum ihr trotzdem die Goldene Nachtigall zuerkannte, manipulierte man das Ergebnis so, dass am Ende Karel Gott den Preis gewann. Sie wurde aus dem öffentlichen Leben verbannt. Mit Tipparbeiten und Tütenkleben hielt sich die inzwischen geschiedene Mutter mühsam über Wasser.

Als Ende 1976 ein Konzert der Rockgruppe „Plastic People of the Universe“ von der Polizei gesprengt wurde, gründete eine Gruppe Intellektueller um den Schriftsteller Václav Havel aus Protest gegen die zunehmende Gängelung die Charta 77. Deren Manifest gelangte schnell in die Weltpresse und bildete den Anfang der Erstarkung der Dissidentenbewegung. Kubišová war Erstunterzeichnerin und gehörte zu den drei Sprechern der Gruppe. Die Repressalien – immer wieder Verhöre – nahmen zu. Sie konnte nur noch bei Untergrundkonzerten auftreten. Kaufen ließ sie sich jedoch nicht. Sie hätte nie die von den Kommunisten lancierte Anti-Charta (die der Charta 77 propagandistisch entgegenwirken sollte) unterzeichnet, um die Karriere zu retten, wie es etwa Karel Gott tat.

Die Hymne der Samtenen Revolution

Kein Wunder, dass sie 1989 an vorderster Front bei der Samtenen Revolution mitwirkte. Als am 21. November 1989 Václav Havel von einem Balkon erstmals vor hunderttausenden Demonstranten sprach, gab sie anschließend ihre Hymne „Modlitba pro Martu“ zum besten – und die Menschen bejubelten ihre Freiheitsheldin und sangen mit. Bei den ersten freien Parlamentswahlen 1990 kandidierte sie für das Oppositionsbündnis Bürgerforum. Das Mandat gab sie kurz darauf auf – die Berufspolitik lag ihr wohl nicht –, aber für Menschenrechte trat sie weiter kompromisslos ein. Besonders das Repressionsregime in China und die Verfolgung von Falun Gong empörte sie. Immer wieder gab sie Konzerte, deren Erlöse Menschenrechtsvereinen zu Gute kamen.

Am 1. November wird Marta Kubišová 80 Jahre alt. Seit Monaten gibt es im ganzen Land Konzerte zu ihren Ehren. In Prag lief den Sommer über ein Musical über sie und am 3. November werden im Lucerna-Palast etliche Gesangsstars ein Festkonzert geben. Kubišová ist eben immer mehr als eine große Künstlerin gewesen. Sie war immer die Rebellin, die jederzeit bereit war, für die Freiheit ihrer Mitmenschen den Kopf hinzuhalten. Dafür lieben die Tschechen sie.

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