Von der Kirche zum Eventzentrum

Für Freunde des Beuroner Stils in Prag ist es ein Geheimtipp: Das Kloster Sacre Coeur (Herz Jesu) in der Holečkova 103/31 im Stadtteil Smíchov. Es steht nämlich irgendwie im Schatten der Kirche des Hl. Gabriel (Kostel sv. Gabriela), die sich fast genau gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet, und über die wir ja bereits berichtet haben. Die ist zwar größer und bekannter, aber Sacre Coeur hat als hochrangiges Kulturdenkmal kaum minder viel zu bieten. Es gehört zu den Meisterwerken seiner Art.

Der Beuroner Stil verdankt seine Entstehung einer 1868 von Künstlern, die zugleich Benediktinermönche waren (etwa Desiderius Lenz), gegründeten christlichen Kunstbewegung, die ihre Wurzeln im Kloster Beuron in der Schwäbischen Alb hat. Die Kunstschule von Beuron wollte die (katholische) Sakralkunst grundsätzlich erneuern. Die Beuroner Kunstschule zielte dabei auf eine Rückbesinnung auf urchristliche Ideen ab, die sich künstlerisch durch Anspielungen auf archaisierend-antike Kunststile oder die Romanik ausdrückte. Es sollte ein bildlicher Zugang zum Verständnis christlicher Mystik sein. Ein wenig griff man auch auf die zu Beginn des 19. Jahrhunderts populären Nazarener zurück. Die geometrisierende Formgebung der Beuroner Malerei inspirierte mit Sicherheit den späteren Jugendstil, dessen Stilelemente sie zum Teil um Jahrzehnte vorwegnahm.

Das Kloster in Prag sollte primär der Ausbildung von Mädchen aus Adelsfamilien dienen. Es war die einzige Anstalt dieser Art in Böhmen und wurde von der französischen Kongregation Dames du Sacré Coeur ins Leben gerufen. Im Jahre 1872 kaufte die Generaloberin des Ordens, Marie Joséphine Goetz, das Areal der ehemaligen Villa des Industrialisten Viktor Riedl von Riedenstein. Die Grundsteinlegung erfolgte zehn Jahre (und 8 Jahre nach dem Tod von Oberin Goetz 1874) später im Juni 1882. Die Pläne entwarf der Ordensmönch und Architekten Ghislaine de Béthune (der auch St. Gabriel gegenüber gestaltet hatte) zusammen mit seinem böhmischen Kollegen Václav Láska. Die Gebäude wurden im Stil der Neoromanik gestaltet, der in seiner strengen Formgebung gut und harmonisch zu den Idealen der Beuroner Schule passte.

Durchgeführt wurden die Bauarbeiten von dem Architekten Ferdinand Zehengruber, der 1877 schon das gleichnamige Kloster Sacre Coeur für den Orden in Wien gebaut hatte. Nach Fertigstellung des Rohbaus begannen Beuroner Künstler mit der Ausstattung der Kirche mit wunderschönen Wandmalereien. Kaiserin Maria Anna, die Witwe von Kaiser Ferdinand, unterstützte das Projekt und spendete für die Krypta der Kirche Reliquien der Heiligen Flavia aus Rom, die im Hauptaltar untergebracht wurden. Kein Zweifel: Die klösterliche Bildungseinrichtung war ein Vorzeigeprojekt – allerdings eines, das nicht sehr lange seiner Bestimmung folgen konnte (im Gegensatz zum Wiener Gegenstück, das immer noch eine katholische Bildungsstätte ist). Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel das erzkatholische Habsburgerreich und die Erste Tschechoslowakische Republik wurde gegründet. Und das hatte Folgen.

Denn die Republik hatte sowohl einen Hang zum antiklerikalen als auch zu einem etwas deutschfeindlichen Nationalismus. Die meist deutschsprachigen Schwestern des Ordens zogen es (obwohl keine Gefahr für Leib und Leben bestand) vor, nach Österreich zu emigrieren. Die (meist gut Deutsch sprechenden) tschechischen Nonnen schlossen sich ihnen loyal an. Ende 1919 war das Kloster quasi außer Betrieb. 1924 wurde die Kirche desekriert. Etliche Kunstwerke wurden versteigert, darunter die Altarbilder des renommierten Malers Leo Lerch. Das tschechoslowakische Post- und Telegraphenministerium, das auch schon das gegenüber liegende Kloster des Heiligen Gabriel erworben hatte, zog als neuer Besitzer ein, um drinnen Büros einzurichten. Die Post nutzte das Gebäude auch in kommunistischen Zeiten und erwartungsgemäß erodierte und verfiel die nicht mehr sachgerecht behandelte Bausubstanz dabei.

Nach dem Ende des Kommunismus wurde der gesamte Baukomplex privatisiert. Im Gegensatz zum Kloster St. Gabriel, dessen Kirche eine Filiale der Kirches des Heiligen Wenzel (Kostel sv. Václava) in Smíchov ist, übt Sacre Coeur seither keine Gemeindekirchen-Funktion aus. Sie wurde nicht wieder resekriert und dient daher formell nur noch weltlichen Zwecken.

1998 wurde eine sorgfältige Restaurierung unternommen. Seitdem ist der Kirchenbereich im Besitz einer passend Sacre Coeur genannten Eventagentur, die die Räumlichkeiten kommerziell vermietet. Hier in den Kapellen, der Sakristei und der Kirche finden nun Bankette, Tanzveranstaltungen, Modeschauen, Theatervorführungen, Konzerte, Photo shootings, Ausstellungen, Konferenzen statt und man kann hier sogar heiraten. Auch Dreharbeiten für Filme finden hier ab und an statt, heißt es. Und man kann nur sagen, dass es für alles dies eine ungewöhnliche, aber sehr stimmungsvoll passende Location ist.

Innen besichtigen kann man die Kirche nur, wenn man zu einen entsprechenden Event eingeladen ist oder ihn organisiert. Oder man findet eine Spezialführung oder wartet auf einen Tage der offenen Tür, die es in Prag häufig gibt (etwa dies und das). Es lohnt sich. Trotz des nunmehr sehr veränderten Verwendungszwecks hat man es geschafft, den künstlerischen Grundcharakter der Kirche sorgfältig wiederherzustellen. Obwohl ebenfalls der Beuroner Schule verpflichtet, ist die Gestaltung der Kirche Sacre Coeur recht andersartig ausgefallen als dies bei der auf der anderen Seite liegenden Kirche St. Gabriel der Fall ist. Dominieren in St. Gabriel noch viele figürliche Darstellungen von Heiligen, so zeichnet sich Sacre Coeure durch eine fast durchgängige geometrische Ornamentik aus (siehe Wandmalerei links oberhalb, oder das große Fenster weiter oben rechts).

Da die Klosteranlage ja auf dem ehemaligen Villengrundstück eines Industriellen erbaut wurde, hat man damals auch dessen privaten Park mit übernommen, der zu einem schön arrangierten Klostergarten wurde. Heute gehört dieser Park nicht mehr zum Besitz des ehemaligen, zum Event-Center gewordenen Klosters, sondern ist ein öffentlicher Park, dem man aber den Namen Park Sacre Coeur beließ. Von den alten Bäumen und der damaligen Gartengestaltung ist fast gar nichts mehr zu sehen, aber es trägt zu einem positiven Gesamtbild bei, dass das Ex-Kloster teilweise von schönem Grün umgeben ist. Nur einige Schritte weiter kann man von der Höhes des Parks über Smíchov (einem alten Industrieviertel) hinüber zur großen Basilika St. Paul und St. Peter (Bazilika svatého Petra a Pavla) auf dem Vyšehrad schauen, was den Besuch der schönen Kirche Sacre Coeur angemessen abschließt. (DD)

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