Die Sonne scheint hier immer

Für die Menschen, die in diesem Haus wohnen, scheint eigentlich immer die Sonne. Die Vila Helenka (Villa Helena) in der Na Václavce 1078/30 im Stadtteil Smíchov verbreitet für alle, die daran vorbeigehen, irgendwie gleich eine gute Stimmung.

Erbaut wurde die Villa in feinstem Jugendstil im Jahre 1903 nach Plänen des Architekten Alois Korda, über den wenig herauszufinden ist, außer dass er in Smíchov etliche bemerkenswerte und originelle Häuser und Villen hinterlassen hat (ein Beispiel hier). Und die Vila Helenka ist von ihnen zweifellos das bemerkenswerteste und originellste. Das hatte wohl einen guten Grund. Korda baute die Villa für sich selbst, er wohnte hier und hatte in dem markanten Turmanbau sein Atelier. Da musste er schon zeigen, was er konnte. Es war sozusagen sein extravagantes Schauhaus oder Aushängeschild und sollte ganz eindeutig der Eigenwerbung dienen.

Kordas Architektur ist schon als solche und an für sich betrachtet äußerst spektakulär. Das Gebäude ist asymmetrisch und mit einer belebten Verteilung der Proportionsmassen ausgestattet. Die Säulenterasse auf der Ostseite mit ihrem Portal, der sehr mediterran wirkende Turm im Westen mit seinem übergroßen Flachdach und den kleinen Holzbalkonen mit runden Fenstern dahinter und die an böhmische Renaissance erinnernden geschwungenen Giebel repräsentieren eine geradezu wilde SIlhouette, die sich aber zu einem schönen Ganzen zusammenfügt. Die unmittelbare Umgebung ist voller Prachtvillen, aber diese fällt als besonders herausragend auf.

Das tut sie aber nicht nur wegen der kühnen architektonischen Struktur, sondern vor allem wegen ihrer ungewöhnlich phanasiereichen Bemalung. Für die hatte Korda den Maler František Kobliha angeworben, der zu den bedeutenderen Vertretern der Kunstrichtung des Symbolismus in Böhmen gilt, der ja mit dem Jugendstil oft eine enge Symbiose einging. Die zentral oben an der Straßenfassade aufgemalte Sonne (großes Bild oben), die Teil einer Sonnenuhr ist, gehört natürlich zu den auffallenden Bildern, die alle ein wenig an Märchenbuch-Illustrationen erinnern. Nicht minder großartig ist die sehr nachdenklich wirkende Engelsgestalt mit ihren riesigen Flügeln an der Westfassade.

Es dominieren dabei abstrakt wirkende und großzügige florale Motive (auch ein typisches Merkmal des Jugendstils), unter denen der Künstler auf der Straßenseite zentral zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Stock einen kleinen Schriftzug mit dem Hausnamen – Helenka – untergebracht hat. Über den Ursprung dieses Namens habe ich (noch?) nichts herausfinden kennen. Möglicherweise hatte er das Haus seiner gleichnamigen Ehefrau gewidmet, wenn sie denn so hieß. Wie gesagt, ich habe fast nichts über den Architekten Alois Korda herausfinden können und schon gar nicht über sein häusliches Privatleben. Aber neben dem Namenszug hat mit Zirkel und Winkelmaß immerhin zwei eindeutige Symbole der Freimaurerei (über deren Wirken in Prag berichteten wir hier), woraus man schließen kann, dass Korda – wie viele gebildete patriotischen Tschechen der Zeit – auch Freimaurer war.

Interessant ist die Seite mit Terasse und Portal. Über dem großen Balkon befindet sich – eingerahmt von floralen Motiven und Ähren – ein Banner mit dem sehr unregelmäßen und schwer lesbaren, aber sehr „jugendstiligen“ Schriftzug „Svatý Václave, oroduj za nás“ (Heiliger Wenzel, bete für uns). Es handelt sich um ein etwas verküztes Zitat aus dem berühmten Sankt-Wenzels-Choral (Svatováclavský chorál). Der wurde im 12. Jahrhundert komponiert und ist eine der ältesten erhalten Kompositionen in tschechischer Sprachen. In den Zeiten, als das haus gebaut wurde, gehörte der Choral geradezu zum populären patriotischen Bildungskanon unter tschechischen Patrioten.

Die Vila Helenka Wurde in den Zeiten des Kommunismus leider arg vernachlässigt und kam auch noch eine Zeit danach ein wenig herunter. Sie wurde 2009 und 2017 jedes Mal eingehend renoviert, wobei besonders die Farben von Koblihas Malereien aufgefrischt und somit wieder in den Originalzustand gesetzt wurden. Jetzt ist sie wieder ein Anblick, der nur Freude bereitet. Wenn man schon einmal da ist, sollte man auch das Nachbarhaus, die Wenzelsvilla (Vila Václavka), anschauen, die mit ihrem regelmäßigen Neorenaissance-Zuschnitt eine Art Kontrapunkt zu dem kühnen Konstrukt der Vila Helenka setzt, aber – man höre und staune! – vom selben Architekt im selben Jahr erbaut wurde. Darüber wird als nächstes berichtet. (DD)

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